CLII.

[280] Es lebte einmal, gleichviel wann und wo, ein [Rand: Dschami. 852.] tugendhafter Mann, der ob des geduldigen Ausharrens in Unglücksfällen allgemein unter dem Namen Geduldvater bekannt war. Er klagte nie über sein Schicksal, und hatte beständig die zwey Worte im Munde: Die Geduld siegt, und die Geduld ist der Schlüssel des Vergnügens. Einmal richtete ein Löwe gewaltiges Unheil unter den Heerden an. Die Einwohner des Orts kamen zu Geduldvater, sich Raths zu erholen. Laß uns ausziehen, sprachen sie, den Löwen zu erschlagen. Habt Geduld, sprach er, der Herr wird uns von selbst davon befreyen. Nach einigen Tagen zog die Jagd des Königs durch das Land, und erlegte den Löwen.

Statt des Löwen bedrängte das Land nun ein tyrannischer Statthalter, dem Gut und Blut des Volks ein Spiel war. Er ward von einigen Verschwornen umgebracht. Die andern Einwohner giengen zu Geduldvater, und baten ihn, sich mit ihnen beym König zu verwenden, damit er ihnen zur Strafe keine Truppen einlege, welche das Land verheeren würden. Thut, was ihr wollt, sprach Geduldvater, ich meines Theils warte ruhig die Dinge ab, die da kommen werden. Die Truppen kamen, die Schuldigen flohen, die Unschuldigen wurden eingefangen; Geduldvater ward mit Vorwürfen überhäuft, die ihn jedoch nicht bewegen konnten, das Geringste[281] in seinem angenommenen Systeme zu ändern. Die Eingebrachten vertheidigten vor dem König ihre Unschuld. – Aber warum seyd ihr nicht eher gekommen, wenn ihr unschuldig waret? – Weil ein tugendhafter Mann, Namens Geduldvater, uns ermahnte, ruhig zu bleiben, und unsere Beschwerde nicht vorzubringen. – Dieser Geduldvater scheint ein Narr zu seyn, sprach der König. Geht nach Hause, und verbannt ihn aus dem Dorfe, damit er Gelegenheit habe, seine Geduld zu bewähren. Geduldvater mußte seinen Heerd verlassen mit Weib und Kinder. Die letzten wurden ihm auf dem Wege von Räubern entführt. Die Mutter weinte; was nützt Weinen und Klagen? Alles wird leichter durch Geduld; Geduld bringt Rosen, sagte Geduldvater.

Das Weib setzte sich nieder; Geduldvater gieng ins Dorf, ein Mittagsmahl zu besorgen. In diesem Augenblicke kam ein Reiter, der sein Weib davon führte. Sie bat und weinte, es war umsonst. Nur so viel hatte sie damit gewonnen, daß sie, was ihr begegnet, mit dem Finger in den Sand schreiben konnte. Geduldvater kam zurück, und las die Sandzeitung. Er hätte verzweifeln mögen; allein er ermannte sich, indem er Geduld! Geduld! ausrief. Duld, duld, antwortete der Wiederhall. In der nächsten Stadt, wohin er kam, herrschte ein despotischer Fürst, der sein Land schwer mit Frohnen drückte, und alle Fremde zu Bauarbeiten anhielt.[282]

Geduldvater wurde, gleich andern, zum Mörteltragen, und Lehmschlagen verwendet. Ein armer Gefangener fiel vor seinen Augen von einer Leiter herunter. – Großer Gott! schrie er, befreye mich vom Uebermaaße meines Leidens. Habe Geduld! und der Herr wird dich befreyen, sprach Geduldvater. Der König, der das Gespräch angehört hatte, ward darüber erbost. – Ich will dir zeigen, sprach er, wer der Befreyer ist, der Himmel oder ich, und ob deine Geduld dir nützen wird. Er schenkte dem Gefangenen auf der Stelle die Freyheit, Geduldvater ward statt seiner in Fesseln geschlagen, und in den Kerker geworfen.

Nicht lange hernach fiel der Tyrann, ein Opfer der öffentlichen Rache. Er hatte einen Bruder gehabt, von der Natur mit herrlichen Gaben ausgestattet. Er hatte ihn längst aus dem Wege geräumt, und das Gerücht unter das Volk gebracht, daß er ihn im Kerker bewahre. Geduldvater hatte in den Augen der Gefängnißwärter seine Stelle vertreten müssen. Das Volk zerschlug die Pforten des Gefängnisses, und Geduldvater, der für den Prinzen gehalten ward, mußte den Thron besteigen. Er fand sein Weib und seine Kinder wieder, bestrafte die Schuldigen, und bewährte auf diese Art die Vortrefflichkeit der Geduld.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 280-283.
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