LV.

[89] Harun Raschid konnte eine Nacht kein Auge zumachen. [Rand: Alaim.] Er stand auf, gieng von einem Saale in den andern, warf sich von einem Sofa auf's andere. Umsonst, es war eine der schlaflosen Nächte, deren dieser Chalife mehrere hatte, und in denen er sich Geschichten erzählen ließ, weniger um den Schlaf zu[89] vertreiben als herbeyzulocken. Gegen Morgen ließ er Asmai, Hussein und Alchalii, die drey ersten Geschichterzähler seines Hofes, rufen, und befahl ihnen, ihm etwas zu erzählen, für oder wider den Schlaf. Hussein nahm folgendermaßen das Wort:

Ich durchstrich während eines der heißesten Sommertage die Straßen der Stadt Bassora, und setzte mich vor dem Thore eines großen Hauses nieder um auszuruhen. In dem Vorhause erblickte ich einen Engel von Mädchen, in ein Hemd von rosenfarbem Musselin gekleidet, durch das ihr weißer Busen, wie der junge Tag durch die Morgenröthe durchschien. Zwey Diamanten hiengen an ihren Ohren wie Thautropfen an einer Rose. Sie wandelte allein zwischen den Hallen, und Wohlgeruch verbreitete sich, wo sie gieng. Ich bat sie, einem armen Fremden, der vor Durst verschmachtete, ein wenig Wasser zu geben. Willst du von diesem Wasser? sprach sie, indem sie sich Thränen aus den Augen wischte.

Ich fragte sie um die Ursache ihrer Thränen. – Ach! seufzte sie, ich liebe, und habe keine Hoffnung wieder geliebt zu werden. – Wo ist das Felsenherz, rief ich, das unempfindlich bleiben könnte für so viel Reize! – Du wirst ihn sehen, denn er wird bald hier vorbeykommen. – Ihre Thränen flossen häufiger bey diesen Worten. Jeden Morgen, sprach sie, wenn die Sonne hinter den Bergen heraufsteigt, entspringe[90] ich meinem Lager, weil ich glaube, es sey der Glanz des Angesichts meines Geliebten, der die Augen blendet, und so verstreichen die Tage in Wahnsinn. – Du dauerst mich, armes Mädchen, die Rosen deiner Wangen verwelken, deine Schönheit verblüht, ohne deine unglückliche Leidenschaft wärest du die Schönste der Schönsten Bassora's. – Ach! ich war es in den glückseligen Tagen meiner Gleichgültigkeit; Alle Edeln und Fürsten Bassora's verliebten sich in mich, bis ich mich selbst verliebte in einen jungen Menschen. O, selige Tage! als er mich liebte wie ich ihn. – Und warum hat er denn aufgehört dich zu lieben? – Eines Tages schäckerte ich wie ein Kind mit einer meiner Gespielinnen; wir sprangen und rangen, und trieben tausend Narrheiten zusammen, bis wir aus Zufall beyde zugleich zur Erde fielen. Sie hielt mich in ihren Armen, und gab mir lachend einen Kuß, als mein Geliebter eintrat. Böse über das, was er gesehen, floh er wie ein wildes Füllen, so das Geklirre des Zaumes hört, und seitdem kam er nicht wieder. Er sieht mich nicht an, er spricht nicht mit mir, er schreibt mir nicht. – Ist er ein geborner Araber oder Perser? – Er ist einer der Fürsten Baßora's. – Jung oder alt? – Welche Frage! Er ist in der Blüthe der Jugend. – Sein Name? – Soll dir unbekannt bleiben, es sey denn, du wollest einen Brief übernehmen für ihn. – Gerne, sehr gerne. – Er heißt: Samra, der Sohn[91] Mogaira's. Sie rief um Dinte, Feder und Papier. Sie schürzte ihre Silberarme auf und schrieb: »Mein Herr und Gebieter! Ich fange meinen Brief nicht an mit Gruß zuvor, ich drücke einen Kuß auf die Stirne desselben, und befeuchte ihn mit meinen Thränen. Du hast mir unermeßliches Unrecht gethan in Deiner Meinung; erlaube, daß der Ueberbringer Dir die Wahrheit entdecke. Meine Tage schmachten hin in der Hitze eines verzehrenden Feuers, die Nächte hindurch schwimm' ich in Thränen. Erbarme Dich meiner, und komm, diejenige zu sehen, welche Dir Heil wünschet, und für welche kein Heil ist außer Dir.«

Ich nahm den Brief, und gieng damit in's Haus Mohammeds, des Sohnes Suleimans, wo sich damals Samra befand. Als die Gesellschaft hinweggegangen war, übergab ich ihm den Brief. Er nahm ihn, las ihn, und reichte denselben dann einer schönen Sklavin hin, die neben ihm saß. Diese erblaßte, wie sie las, stand auf, und floh auf der Stelle. Als ich das Feld frey sah, fieng ich an, dem jungen Menschen mit Gründen zuzusetzen, und ihn zu überzeugen, wie ungegründet sein Verdacht gewesen. Er schrieb seiner Geliebten zurück:

»Im Namen Gottes des Allerbarmers, des Allgütigen. Daß er mir das Unrecht verzeihen möge, so ich Dir angethan! Möchtest Du dasselbe verzeihen dem Reuigen, der in Deine Arme fliegt, um[92] das Heil zu finden, das er dir indessen durch diese Zeilen sendet.«

Sie söhnten sich aus. Zum Lohne der Vermittelung ward mir ein prächtiges Geschenk, und der noch schönere Lohn von Freundschaft und Dankbarkeit.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 89-93.
Lizenz:
Kategorien: