LXXI.

[126] [Rand: Alaim.] Asmai erzählt:

Ich war eines Tages ausgezogen in die Wüste, um seltsame Abentheuer aufzusuchen. Weiße Mauern blinkten mir entgegen, wie das weiße Gefieder einer Taube. Ich gieng hinein und fand ein leeres Gebäude, wo nur Raben und Schakale hausten, und der Wind durch Fenster und Thüren heulte. Endlich glaubte ich eine menschliche Stimme zu vernehmen, aber sie kam mir so wild und fürchterlich in die Ohren, daß ich mein Schwert zog, weil ich sonst nicht sicher zu seyn glaubte, und mit gezogenem Schwerte herumgieng. Ich fand einen Mann auf der Erde sitzend, in einer Hand einen Stab haltend, in der andern eine Statue. Er schlug mit seinem Stabe die Erde, und weinte, und improvisirte:


Messias! gieb mir Wunderkraft,

Zu bändigen die Leidenschaft!

Denn wenn ich nicht den Tod erflehe,

Ich wie der Rauch im Wind vergehe.


Ich stellte mich schnell vor ihn hin, ohne daß er es doch gewahr ward, ich grüßte ihn; er hob den Kopf auf, gab mir den Gruß zurück, und fragte: Woher bist du? und wer hat dich an diesen Ort gebracht? –[126] Gott der Herr, sprach ich. Da hast du Recht, antwortete er, denn auch Gott der Herr hat mich in dieser Einsamkeit von den Menschen abgesondert.

Was machst du denn, fragte ich ihn, mit der Statue in deinen Armen? O meine Geschichte ist seltsam, und mein Abentheuer wunderbar! – Ich bat ihn, mir das Ganze zu erzählen, und keinen Umstand zu verheimlichen. Wisse, fieng er seine Erzählung an, ich bin aus dem Stamme der Beni Temim, und zwar aus demjenigen, die sich zur christlichen Religion bekennen. Dies Bildniß hier ist das Bildniß meiner Base, mit der ich von zarten Kindesjahren auf erzogen ward. Wir liebten uns, ihr Vater aber, der nichts von unserer Liebe wissen wollte, verwahrte sie unter strenger Wache.

Deßungeachtet fand ich Mittel, sie zu sehen. Als ich mich nun eines Tages allein bey ihr befand, klopfte mein Oheim an der Thüre. Sie versteckte mich schnell unter ein Sofa, gieng und machte die Thüre auf. – Wo ist mein Neffe, der Diener des Messias? donnerte mein Onkel. – Ich habe ihn nicht gesehen. – Ich aber habe seine Stimme bey dir gehöret. – Da hast du geträumt, Vater. – Bey Gott! bekenne die Wahrheit und lüge nicht, sonst soll dich der Allmächtige in Stein verwandeln. – Ja, wenn ich lüge. – Mein Oheim hob die Augen und Hände zum Himmel auf, und sprach: Gott,[127] der du der Herr bist der Vor- und Nachzeit, wenn du weißt, daß meine Tochter lügt, so verwandle sie in harten Stein. Sogleich, erschrecklich zu erzählen, erstarrten ihre Glieder. Dies ist die Statue, die ich Tag und Nacht in meine Arme schließe seit vierzig Jahren. Ich nähre mich von den Kräutern der Wüste, und trinke von ihren salzigen Quellen. Des Samum'sbrennender Odem ist kühlender Hauch im Vergleich des Flammenhauches meiner Seele, und der Sand, der dir unter den Füßen glüht, scheint wir erfrischender Thau.

Dann improvisirte er wieder:


Bey Gott, der Herzen enget und erweitert,

Der heitre Tage trübt, und trübe heitert,

Der Lebende zur Erde todt hinstrecket,

Die Todten in das Leben auferwecket.

Bey Gott! dem Ewigen! es macht die Liebe

Das Trübe heiter, und das Heitre trübe,

Sie tödtet und erwecket dann zum Leben,

Der Herr hat seine Allmacht ihr gegeben.


Hierauf stand er auf, und lief herum wie rasend, seine Kleider warf er von sich, und die Augen rollten wild in seinem Vorhaupte herum, dann kam er auf mich zu, und sprach:

Sohn des Weges, dir will ich nun drey Verse sagen, und wenn ich entschlafen bin, so sollst du mich und diese Statue begraben, und die drey Verse als Inschrift auf mein Grab setzen:


Ihr, die nicht glaubt, daß Liebe tödte

Kommt her zu meiner Grabesstätte,[128]

Ich wandelte in diesem Dom

Durch vierzig Jahre ein Phantom,

Bis in des Lebens leerer Wüste,

Der Tod mich endlich freundlich grüßte.


Als er ausgesprochen hatte, sank er mit der Statue nieder, die er fest mit seinen Armen umklammerte.

Er that einen großen Schrey, und gab den Geist auf. Ich nahm meinen Mantel, um denselben statt eines Leichentuches damit zu umwickeln, und begrub ihn sammt der Statue. Auf das Grab schrieb ich die oben angeführten Verse, und besuche es noch jährlich einmal nicht ohne tiefe Rührung.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 126-129.
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