LXXII.

[129] Asmai erzählt: [Rand: Alaim.]

Auf meinem Wege nach der Wüste des Stammes Beni Saad kam ich nach Bassora in den Tagen der Herrschaft Chaled, des Sohns Abdallahs Alkapseri. Ich fand den Hof angefüllt mit einer Menge Volks, die sich um einen Jüngling von schöner edler Gestalt drängte. Ich fragte, was der Auflauf bedeute, und man sagte mir, es sey ein Dieb, der die vorige Nacht eingebrochen habe. Chaled, der Statthalter, heftete die Augen auf ihn mit Wohlgefallen, befahl dem Haufen abzutreten, um ihn allein auszuforschen über seine Schuld. Die Sache ist, antwortete der Jüngling, wie sie sagen, und verhält sich, wie sie es angeben. – Und was konnte dich denn[129] zu dieser That bewegen, dich, dessen edle schöne Gestalt die Ankläger zu Lügen straft? Die Begierde nach Reichthum, und das von Gott dem Herrn verhängte Schicksal brachte mich zum Falle. – Dein Aussehn, deine Sitten, Alles spricht für dich, und bestärkt mich in der Meinung, daß du durch irgend einen außerordentlichen Nothfall gezwungen worden, zu außerordentlicher Hülfe Zuflucht zu nehmen. – Suche mich nicht zu retten, o Fürst, und vollstrecke das Gesetz des Herrn. Richte mich nach den Werken meiner Hände, Gott der Herr ist nicht ungerecht mit seinen Dienern. Chaled schwieg lange nachdenkend, und sagte dann, du bist frey, deine Aussage in Angesicht der Zeugen umzuändern, denn ich halte dich für keinen Dieb. Vertraue mir deine Geschichte an, und du darfst meines Stillschweigens gewiß seyn. – Laß dir, o Fürst, nichts Anderes in den Sinn kommen, als was ich bereits bekannt und gestanden; ich habe dir nichts Anderes zu vertrauen. Ich brach in das Haus, man ergriff mich, und schleppte mich vor dich, um meine verdiente Strafe zu finden. – Chaled befahl der Wache, ihn zu ergreifen, und ließ den Gerichtsausruf ergehen. Da schrieen die Ausrufer durch ganz Bassora: »Wer schauen will, was das Gesetz verhängt über die Diebe, finde sich morgen am Richtplatz ein, wo die Hand fallen wird, so fremdes Gut entwendet hat.«[130]

Als der Jüngling in Ketten gelegt war, hörten ihn die Wächter singen im Kerker:


Chaled wollte mich erschrecken

Mit dem Droh'n, die Hand mir abzuhauen.

Falls ich sollte nicht entdecken,

Was mir Niemand darf im Herzen schäuen,

Mögen sie den Spruch vollstrecken,

Rett' ich nur hiedurch die Ehr' der Frauen! –


Man hinterbrachte die Worte dem Statthalter, und dieser ließ ihn noch spät Abends zu sich rufen, um sich mit ihm zu unterhalten. Er fand, daß seine geistige Bildung seiner Gestalt entsprach, und daß er in allen schönen Künsten bewandert war.

Junger Mensch, sprach Chaled, ich bin überzeugt, du bist kein Verbrecher, und es hat mit deinem Diebstahl eine andere Bewandniß. Morgen, wenn die Ankläger zum letztenmale auftreten, und die Richter zum letztenmale sprechen werden, kannst du noch dich retten, wenn du nur eine wahrscheinliche Ausflucht vorbringst, welche dem Gesetze ausbeugt; sagt doch selbst der Prophet: Beugt den Strafgesetzen durch Zweifel aus. Hierauf sandte er ihn ins Gefängniß zurück.

Am folgenden Morgen versammelte sich ganz Bassora auf dem Richtplatze, um die Vollstreckung des Urtheils zu schauen. Chaled und die Vornehmsten der Einwohner kamen zu Pferde, die Richter folgten ihnen auf schöngezäumten Mauleseln. Der Jüngling ward vorgeführt in Ketten, und kein weibliches[131] Auge blieb bey seinem Anblick trocken. Rundum erscholl Weinen und Wehklagen; Chaled sah sich gezwungen, Stille zu gebieten, und redete dann den Jüngling folgendermaßen an: Diese Leute klagen dich aus Irrthum an, du habest gestohlen, was sagst du hierauf? – Ich sage, sie haben Recht, o Fürst! ich brach in ihr Haus ein, mit dem Vorhaben zu stehlen; – vielleicht hat dich hiezu ein besonderer Zufall verleitet? – Nichts Besonderes hat mich verleitet. Vielleicht hast du gerechte Forderungen an die Eigenthümer des Hauses? – Ich habe keine; so hattest du wenigstens Helfer, die mit dir die Schuld des Diebstahls theilen? – Mit nichten, ich trage die ganze Schuld allein. Chaled, erzürnt, gab dem Jüngling eine Ohrfeige, und rief den Henker, daß er durch das Abhauen der Hand die gesetzmäßige Strafe vollzöge. Schon lag die Hand ausgestreckt auf dem Blocke, schon war der Arm des Henkers zum Streiche gehoben, da brach mit Jammer und Zetergeschrey aus den Reihen der Frauen ein junges Mädchen hervor. Sie warf den Schleyer zurück und erschien wie der Vollmond in Regenwolken. Es erhob sich ein allgemeines Geschrey bey ihrem Anblicke. Halt ein, halt ein, o Fürst! rief sie, mit der Vollstreckung des Urtheils, halt ein, und lies zuvor diese Bittschrift. Mit diesen Worten reichte sie ihm ein Papier dar, auf dem die folgenden Verse geschrieben waren:[132]


Halt Chaled! halt! du bist betrogen,

Es kam von meiner Brauen Bogen

Der Pfeil des Unheils angeflogen;

Lies hier, was sonst verborgen bliebe,

Es machte ihn die reinste Liebe,

Zum Ehrenretter – nicht zum Diebe.


Chaled las die Verse mit Rührung, und ließ das Mädchen sogleich vor sich kommen, um die ganze Geschichte ausführlich zu erzählen. Sie gestand, der Jüngling brenne schon seit langem von Liebe, die sie nicht unerwiedert lasse. Vorgestern habe er sich ins Haus gestohlen, und mit Steinwürfen das abgeredete Zeichen gegeben. Vater und Brüder hätten es gewahrt – und sogleich eine Untersuchung vorgenommen. Da der Jüngling nicht mehr entfliehen konnte, griff er nach einigen Stücken Zeuges, welche ihm unter die Hände kamen, weil er lieber wollte als Dieb ergriffen und bestraft werden, als den guten Namen seiner Geliebten ins Geschrey bringen. Chaled, entzückt über den hohen Sinn und die edle Großmuth des Jünglings, küßte ihn auf der Stirne, ließ den Vater des Mädchens vorrufen, und sprach zu ihm: Scheich! ich war nahe daran, an diesem Jüngling ein ungerechtes Urtheil vollstrecken zu lassen. Gott der Herr hat mich davor bewahret; ich habe ihm zehntausend Dirhems bey der Schatzkammer angewiesen, und ersuche dich nun um die Erlaubniß, ihn mit deiner Tochter vermählen zu dürfen. Von ganzem Herzen, o Fürst, antwortete der Vater des[133] Mädchens. Chaled dankte ihm dafür, und nahm sogleich die Vermählung vor mit aller Feyerlichkeit und nach der gewohnten Formel:

Ich vermähle dich mit diesem Mädchen nach ihrem und ihres Vaters Willen; sie bringt dir zehntausend Dirhems mit. Und der Jüngling antwortete nach Gebrauch: Ich nehme an das Mädchen zur Frau mit dem genannten Haab' und Gut.

Chaled ließ sogleich das gezählte Geld in silberbernen Geschirren in das Haus des Jünglings bringen. Ganz Bassora war im Tumult der Freude. Wo das beglückte Paar vorüberzog, regnete es Zuckerwerk und Mandeln auf sie aus allen Fenstern, und der Tag endete eben so freudig, als er traurig begonnen hatte.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 129-134.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Aristophanes

Die Vögel. (Orinthes)

Die Vögel. (Orinthes)

Zwei weise Athener sind die Streitsucht in ihrer Stadt leid und wollen sich von einem Wiedehopf den Weg in die Emigration zu einem friedlichen Ort weisen lassen, doch keiner der Vorschläge findet ihr Gefallen. So entsteht die Idee eines Vogelstaates zwischen der Menschenwelt und dem Reich der Götter. Uraufgeführt während der Dionysien des Jahres 414 v. Chr. gelten »Die Vögel« aufgrund ihrer Geschlossenheit und der konsequenten Konzentration auf das Motiv der Suche nach einer besseren als dieser Welt als das kompositorisch herausragende Werk des attischen Komikers. »Eulen nach Athen tragen« und »Wolkenkuckucksheim« sind heute noch geläufige Redewendungen aus Aristophanes' Vögeln.

78 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon