XCIV.

[198] [Rand: Dschami 754.] Harun Raschid fragte einmal in Asmais Gegenwart einen seiner Wahrheitsliebe wegen bekannten Mann, ob die Familie Ommia oder Abbas besser herrsche? Der Gefragte bat den Chalifen zu schwören, daß ihn die Wahrheit nicht verdrießen wolle; Harun schwur und der Andere sagte: Euch Fürsten aus der Familie Abbas mangelt es, um die Wahrheit zu gestehen, an Festigkeit und ausdaurender Kraft; was Ihr pflanzet, reißet ihr mit eigener Hand wieder aus, während die Familie Ommia jeder Pflanze sorgsam wartete, und dieselbe mit steter Pflege groß zog. Herrschaft wird nur durch Kraft befestigt; das Glück thut viel zur Gründung, wenig zur Erhaltung derselben. Den Mann, der Euch große Dienste geleistet, glaubt Ihr ungestraft stürzen zu können; Ihr verlaßt Euch darauf, das Glück werde den Giebel des[198] Hauses aufsetzen, zu dem er die Grundfesten gelegt; aber Ihr betrügt Euch. Der Sturz der Barmekiden ist Euer Verderben. Wie ganz anders benahm sich die Familie Ommia. Hedschadsch, ihr Statthalter in Irak, war ihnen und dem ganzen Reiche verhaßt, und doch hielten sie ihn aufrecht in seiner Würde und Macht, bloß um folgerecht und standhaft zu seyn in einmal ergriffener Maaßregel. Ihr aber baut und zerstöret, pflanzet und reißet aus. – Der Chalife schwieg, der Redner küßte die Erde und gieng von hinnen. Wahrlich! sprach Harun zu Asmai, hätte ich diesen Mann einige Monate früher gefragt, so wären die Barmekiden nicht gefallen.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 198-199.
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