12. Hams Verfluchung.

[290] Eine jüdische Sage führt den Ursprung der Schwarzen darauf zurück, daß Ham infolge der Verfluchung seines Vaters Noah, dessen Nacktheit seinen Spott herausforderte, an der Hautfarbe gestraft wurde.


  • Literatur: Bereschit Rabba, Par. 37, Kap. 9, V. 25 = Wünsche, S. 163.

Die schwulstigen Lippen, das gekräuselte Haar, die Nacktheit der Chamiten werden auf Einzelheiten in Chams Tat zurückgeführt.


  • Literatur: Grünbaum, Zeitschr. d. deutschen morgenl. Gesellsch. 31, 192, wo Tanchuma zu Gen. 9, 18 zitiert ist.

Ebenso heißt es im Arabischen: Cham verspottete seinen Vater Noah, als er eines Tages schlafend ganz nackt dalag. Darum ward er der Vater aller schwarzen Menschenarten.


  • Literatur: Weil, Bibl. Legenden, S. 46.

Nach Tabarî (Chronique trad. p. Zotenberg I, 115) wurden Cham und Japhet deswegen verflucht. Auch erzählt dieser, daß die weiße Beere, die Harn in seinem Lande anpflanzte, durch Noahs Fluch schwarz geworden sei, und so sei die dunkle Weinbeere (der Rotwein) entstanden.


  • Literatur: Vgl. Baring-Gould, Leg. of Old Test. Char. I, 135.

Bei Ephräm Syrus heißt es: Kenaan habe Noahs Entblößung gesehen und es seinem Vater Cham gesagt. Darauf habe Noah gesagt: »Verflucht[290] sei Kenaan, und möge Gott sein Gesicht schwarz machen,« worauf alsbald das Gesicht Kenaans wie das Chams schwarz wurde.


  • Literatur: Grünbaum, Neue Beiträge, S. 86.

Die bulgarische Volkstradition gipfelt in einer neuen Pointe:


a) Eine Sage bei L. Schischmanoff, Nr. 40, die im wesentlichen den biblischen Bericht wiedergibt, schließt damit, daß infolge des Fluches Noahs alle Trunkenbolde und Vagabunden von Cham abstammen.

b) Auch der Ursprung der Zigeuner wird von Chams Verfehlung hergeleitet. Doch ist dessen Name vergessen, während die Geschichte selbst durchaus an die Bibel anklingt. Man erzählt nämlich:

Ein Mann hatte stets mit einem Maß Wein getrunken, und nie mehr als dieses sein Maß. Einmal hatte er ohne sein Maß getrunken, und weil er durstig war und nicht wußte, wieviel er trank, so hatte er sich eben angetrunken und sich auf der Erde wie ein Betrunkener gewälzt. Er hatte drei Söhne; der älteste war brav, und die jüngeren zwei waren leichtsinnig und konnten den Vater nicht leiden, weil er sie stets schalt: Der älteste war nicht zu Hause und konnte den Vater von der Erde nicht aufheben, und die beiden jüngeren ließen ihn liegen. Endlich, als sie sahen, daß er betrunken war, packten sie ihn mit Zangen bei den Kleidern und zogen ihn auf der Erde entlang und spotteten seiner. Als der älteste Bruder nach Hause kam und dies sah, schrie er sie an und nahm ihnen die Zangen fort, indem er sagte: »Gebt diese Zangen her, sie werden einst für euch gebraucht werden!« Er hob dann den Vater auf und behütete ihn, damit ihn niemand sähe, weil er sich schämte. Als er ihn in das Haus brachte, wickelte er ihn in Kleider ein, damit er so lange schlafe, bis er den Rausch ausgeschlafen habe. Als er erwachte und erfuhr, was die beiden jüngeren Söhne ihm angetan, da hat er sie verflucht und gesagt: »Dir sollt von mir und von Gott verdammt sein, sollt Zigeuner werden, keine Heimat haben und sollt nur Feuer schüren können!« Wie sie der Vater verdammt hatte, geschah es auch; sie wurden walachische Zigeuner, die in Hütten leben, und die, wenn sie heute an einem Orte sind, morgen wieder nach einem anderen Orte ziehen und nur Feuer schüren können.


  • Literatur: Strauß, Bulgaren, S. 53 f. = N. Stojkov (Sabrovo), Sbornik XI.

Eine andere jüdische Sage, die ebenfalls zu den Arabern gelangt ist, setzt an die Stelle des biblischen Vorgangs die Erzählung, daß Cham, der Rabe und der Hund das in der Arche Noah gegebene Verbot ehelichen Umgangs übertreten habe. Dafür sei er schwarz geworden, während die Tiere anders bestraft wurden.


  • Literatur: Bibliographische Nachweisungen bei Grünbaum, Neue Beiträge, S. 86.
Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 290-291.
Lizenz:
Kategorien: