11. Die Fische während der Flut.

[289] Fischsagen gibt es verhältnismäßig wenige, da sie nur an Küsten entstehen und selten ins Binnenland wandern. An die Sündflut knüpfen,[289] soweit ich sehe, nur zwei dieser Sagen an. Ein vlämisches Märchen1 erklärt, warum manche Fische platt sind, und ein pommersches2 gibt die Ursache für das schiefe Maul der Flunder an.


Als die Wasser sich verliefen, so erzählt der Niederländer, stand der Herr mit gekreuzten Armen auf einem hohen Felsen, das Vernichtungswerk anzusehen, und er war zufrieden mit sich selbst, daß er dies sündhafte Volk beseitigte. Da erscholl hinter ihm ein spöttisches Lachen. »Uns hast du doch nicht töten können, he?« Erzürnt blickte der Herr sich um und bemerkte eine Menge Fische, die den Kopf aus dem Wasser streckten. Da schlug er mit seinem langen, starken Arm nach ihnen, und so wurde eine Anzahl gegen den Felsen geworfen. Von da an gibt es platte Fische.

Diesem Märchen steht das aus Pommern ziemlich nahe. Als ein Geschöpf nach dem andern rettungslos in den Fluten versank, hatten die Fische inniges Mitleid mit ihnen, nur die Flunder nicht. Diese riß vielmehr das Maul weit auf und brüstete sich mit ihren angeblichen Verdiensten. Zur Strafe für diese Überhebung blieb ihr das Maul so sitzen, wie sie es verzogen hatte, und so ist es bis auf den heutigen Tag geblieben.


Hier scheint das bekannte Märchenthema vom schiefen Fischmaul willkürlich in die Sündflutsage hineingetragen zu sein.

Fußnoten

1 Mont en Cock, Vlaamsche Vertelsels S. 435.


2 Blätter f. pomm. Volksk. V, 139, Nr. 4.


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 290.
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