VI. Verwandlung in eine Schildkröte.

[127] (Mischung mit anderen Märchen von der Verwandlung in eine Schildkröte; vgl. z.B. am Urquell 3, 18; weiteres in Bd. 3 der Natursagen.)


Einstmals wurde Christus ein Hausierer, und er kam in die Backstube eines Bäckers und sprach: »Mich hungert, gib mir ein Brot!« Der Bäcker jagte ihn fort, und Christus kam nicht zurück, sondern sagte in einem fort: »Sei es denn in Gottes Namen!« Als der Bäcker sah, daß der Bettler sich auf Worte nicht einließ, nahm er das Mangelholz und ließ Prügel so dicht wie Hagel auf ihn niederfahren. Da verfluchte ihn Christus und sprach: »Du sollst zur Schildkröte werden und oben deinen Backtrog tragen und unten dein Mangelholz!« Und so wurde der Bäcker zur Schildkröte, und darum nennt man sie auch Bäcker.


  • Literatur: Politis, Μελέται Nr. 338.

Zu der Verwandlung vgl. auch die Fabel bei Aesop (Halm 154).


1. Aus Ungarn.


a) Als noch unser Herr Christus auf Erden wandelte im Bettlerkleide, da buk eine Frau Brot und riß ein bißchen ab vom Teig zu einem Brötchen für den Bettler. Und das Brötchen wuchs und wurde größer als das Brot. Sie befahl ihrem Söhnchen: »Mein Sohn, wenn der Bettler her kommt, werde ich mich verstecken, und du sag ihm: meine liebe Mutter ist nicht zu Hause!« Um den Hals hatte sie ein großes dickes warmes Tuch; und sie verbarg sich unter dem Backtrog; unter dem Backtrog lag noch die Backscheibe, und darauf legte sie sich mit dem Bauch.

Und als der Herr zum Hause kam, lief ihm der kleine Knabe entgegen. »Meine liebe Mutter ist nicht daheim,« sprach er, »geht in Gottes Namen weiter, wir können Euch nichts geben.« »Gut, mein Sohn; ob sie nicht daheim ist,« sprach unser Herr Christus, »weiß ich besser als du; doch der Trog bleibe an ihrem Rücken, die Backscheibe unter ihrem Bauch, das Tuch um ihren Hals!«

Und so blieb die Backscheibe am Bauch der Frau, der Trog auf ihrem Rücken, das dicke Tuch um ihren Hals. Und sie wurde eine Schildkröte; noch jetzt sieht man den Ṭrog auf dem Rücken, die Backscheibe am Bauch, das dicke Tuch am Halse, denn als unser Herr Christus fortging, sprach er: »Nun gebe Gott, mein Sohn, daß Ihr weder Trog, noch Backscheibe, noch auch das dicke Tuch fortnehmen könnt!«


  • Literatur: Vgl. Kálmány, Szeged Népe 2, 142. Arany-Gyulai Magyar Népköltési Gyüjtemény 3, 413. Die Schildkröte heißt im 4Ungarischen teknö-béka; teknö = Mulde, Trog; béka = Kröte.

b) Jesus kam einmal als Bettler zu einer Jüdin. Damit sie ihm kein Almosen geben müsse, kroch sie unter den Backtrog und lehrte ihr Töchterlein, dem Bettler zu sagen, daß niemand zu Hause sei. Jesus meinte: »Wenn niemand zu Hause ist, so soll auch niemand hervorkrie chen!« Da wuchs der Jüdin der Backtrog an den Leib, und sie ward zur Schildkröte, und so kroch sie hinweg.


  • Literatur: v. Wlislocki, Volksgl. u. relig. Brauch der Magyaren. S. 79.

2. Rumänisches Märchen aus Siebenbürgen.


Einst ging Christus mit Petrus in Bettlergestalt durch ein Dorf, wo eben eine Frau den Ofen heizte, um zu backen. Auf Christi Befehl trat Petrus zur Frau[128] und bat um etwas Brot. Die Frau aber sprach: »Ihr seid nicht blind noch lahm und könnt welches verdienen.« Darüber ward Christus betrübt, bückte sich nach einem Stückchen Teig, das eben vom Backtrog fiel, und warf es in den Ofen. Über eine Weile kehrten beide zurück, und siehe! aus dem Stückchen Teig, das kaum die Größe einer Erbse hatte, war ein großmächtiges Brot geworden. Die Frau, die eben mit Austun beschäftigt war, staunte nicht wenig, nahm aber das Brot weg und wollte sich damit entfernen. Da erzürnte Christus und sprach: »Eine Kröte sollst du werden und in Ewigkeit eine Mulde auf dem Rücken tragen!«


  • Literatur: Ausland 30 (1857) S. 1028.

3. Aus Rußland (ohne das Motiv der Ungastlichkeit).


Einst walkte eine Frau am Flusse und sah, daß Jesus Christus auf sie zuschritt. Da erschrak sie vor ihm, legte sich auf ein Brett und bedeckte sich mit einem Waschtrog. Jesus sprach zu ihr: »Weil du dich vor mir versteckt hast, soll der Trog und das Brett dir anhaften, und du sollst eine Schildkröte werden!« Und so geschah es.


  • Literatur: Jastrebow, Materiali S. 78.
Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 127-129.
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