IV. Überlieferung ohne naturdeutenden Schluß.

[178] Alle drei Sagenformen mit der so völlig verschiedenen Art ihres Schlusses beruhen vermutlich auf einer vierten Form, die gar keine Ursprungserklärung aufweist, sondern einfach damit endigt, daß Petrus eine heilsame Lehre erhielt.


1. Literarische Überlieferung.


Petrus hört, als er mit Jesus in die Nähe eines Dorfes kommt, zur Kirchweih aufspielen und bittet den Herrn um die Erlaubnis, im Wirtshaus einzukehren. Jesus warnt:


Den vollen Baurn laß jhren Wein,

Es m cht dir sonst wol vbelglingen,

M chst für den Wein st ß da von bringen.


Petrus wiederholt gleichwohl seine Bitte und erhält unter nochmaliger ernster Verwarnung die Erlaubnis:


Da Petrus hin gieng zu dem Wein,

Henckt der Herr auff sein Rücken fein

Eine Sackpfeiffen in der still.

Solches den Bauren wol gefiel.

Da Petrus hin zu jhnen kam,

Ein voller Baur beym Arm jhn nam

Vnd sprach: kom, Spielman, trinck mit mir,

Ein halben Batzen schenck ich dir,

Doch must mir pfeiffen einen Tantz,

Denn ich werd wagen eine schantz.

Petrus dacht, ich kan pfeiffen nicht,

Drumb mich dasselbe nit anficht.

Wenn sie ein Pfeiffer haben w llen,

So m gen sie jhn ein bestellen:

Petrus trunck, biß er hett genug,

Vnd dacht: nun reiß ich auß mit fug.


Doch der volle Bauer hält ihn fest: wozu habe er denn die Sackpfeife? Petrus leugnet, eine zu haben, der Bauer reißt sie ihm vom Rücken, schlägt sie ihm auf den Kopf und wirft ihn die Treppe hinunter.

[178] Traurig kehrt Petrus zum Herrn zurück, der zu ihm sagt:


Hettst gefolget mir,

So wers also nit gangen dir.


Laß du den Bauern ihren Wein und trinke Wasser!


  • Literatur: Sandrub, Poetische Kurzweil Nr. 124.

2. Schweizer Sagen.


a) (Christus und Petrus kommen an einem Wirtshaus vorbei.) »Herr,« begann St. Petrus, »wie ists heute so heiß! Laß uns hier ein wenig ausruhen bei diesen fröhlichen Leuten! Ist doch auch in der Schrift gesagt: es ist meine Freude, bei den Menschenkindern zu sein!« »Ei, Petre,« versetzte der Herr und erhob einen warnenden Finger, »freilich ist so gesagt für die Kinder Gottes; aber für die Kinder dieser Welt sagt auch ein Sprichwort: Einem Fuder Heu und einem trunkenen Bauern muß man ausweichen. Doch wie du willst!« (Petrus hört nicht auf die Warnung und eilt hastig ins Haus). Dies mißfiel dem Herrn sehr, und er bedachte, wie dem ungewitzigten Jünger für heute ein neuer Denkzettel gebühre; eben als jener auf die Schwelle des Hauses trat, geschah daher ein Wunder an ihm, und eine Geige hing ihm so plötzlich am Rücken, daß er sie, ohne es selbst zu merken, mit in die Zechstube hineintrug. (Alles jubelt ihm zu, er solle eins aufspielen. Petrus versichert, er sei gar kein Geiger, aber man reißt ihm die Geige vom Rücken und befiehlt ihm anzufangen. Durch Drohungen eingeschüchtert, kratzt er drauflos, sodaß man ihn schweigen heißt und ihn an den kleinen Tisch hinten beim Ofen jagt, wo es entsetzlich heiß ist. Er erhält nichts zu trinken und gerät durch fortwährende Drohungen in große Angst. Er wünscht den Herrn herbei, und als dieser kommt, bittet er ihn, nicht weiterzugehen, da die Bauern ihm mit Knütteln auflauern wollten, sondern über Nacht hier zu bleiben. Es folgt dann die Geschichte von Petrus, der im Bett erst vorn, dann hinten an der Wand liegt und zweimal von den Bauern verprügelt wird.)


  • Literatur: Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau 2, 309.

b) Ein andermal kamen die beiden an einem Wirtshause vorbei, wo ein Zimmermann eben Hochzeit hielt. Petrus fühlte heftigen Durst, und da der Herr nicht trinken mochte und auch den Jünger warnte, ging dieser ungehorsamerweise doch in die Kneipe. Zur Strafe machte ihm Jesus gleich eine Geige auf den Rücken. Petrus, der es nicht merkte, ward von den Hochzeitsgästen mit vollen Gläsern begrüßt, indem sie sagten: »Gut, daß du kommst, wir hatten keine Spielleute; nun trinke wacker, dann spiel auf!« Das Trinken verstand Petrus, aber die Worte vom Geigen hielt er für puren Scherz, und als er den Ernst sah, versicherte auch er ernstlich, daß er, ein Fischer, nicht geigen könne und wolle. Jetzt fiel eine Tracht Schläge von nervigen Fäusten auf ihn nieder. Die Nutzanwendung gab ihm bald darauf Jesus, dem er es klagte, zu verstehen.


  • Literatur: Lütolf, Sagen S. 109/110.

3. Aus Iudicarien (Welschtirol).


Jesus und Petrus kommen an einer Herberge vorbei, wo sich das Volk an Trank, Spiel und derlei Kurzweil erlustigt, nur die Musik fehlt. Petrus »hätte ums Leben gern wieder einmal ein Wirtshaus besucht, was ihm sein Herr und Meister nie mehr gestattete.« Er bittet den Herrn um die Erlaubnis, dieser aber warnt ihn: Uns stünde solches nicht wohl an. »Petrus aber war von Natur etwas eigensinnig«, ließ sich nicht abschrecken und fuhr fort mit Bitten. Da sprach[179] endlich der Herr: »So geh denn, aber merk dir, du wirst es bereuen. Ich selbst will mittlerweile hier außen warten.« St. Peter ging. Der Herr aber schuf ihm eine große Baßgeige auf den Rücken, allen sichtbar, nur dem Träger selbst nicht. Als Petrus hineingeht, halten ihn alle für einen Spielmann, und als er nicht aufspielen will und auch die Baßgeige ableugnet, werfen sie ihn unter Püffen und Schelten zur Tür hinaus. Der Herr hebt ihn lächelnd auf, »St. Peter aber hatte nun fürder keine Sehnsucht nach weltlicher Kurzweil


  • Literatur: Zschr. d. Ferdinandeums 1870, S. 227.

4. Aus den Abruzzen.


Petrus ist hungrig und bittet Christus um die Erlaubnis, sich bei den Soldaten Brot zu verschaffen. Christus warnt ihn: »Geh nur, du wirst schon Prügel kriegen!« Als Petrus gleichwohl fortgeht, läßt er ihm eine Guitarre auf dem Rücken erscheinen. Die Soldaten bewirten Petrus in Erwartung seines Spieles, und als er dann nicht spielen kann, kriegt er Prügel.


  • Literatur: De Nino, Usi e costumi abruzzesi 4, 93.
Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 178-180.
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