IV. Der Gang nach Golgatha.

[200] 1. Aus Mecklenburg.


An de ful Esch het de Herr sik rauhgt mit sin Krüz, dorvon steiht se nich still.


Anlehnung an die Sage vom ewigen Juden, die in Mecklenburg ebenfalls erzählt wird. Ein zweiter Erzähler meinte zu der Sage:


Ne, up den Weg na Golgatha het Herr Christus jo gor kenen Bom drapen, un rauhgt het he sik bloß an den Juden sin Dör, äwer de het em dat jo verbaden, un dorvon möt he as de ewige Jud noch ümmer rümmer wanken.


  • Literatur: Wossidlo, Volkstümliches aus Mecklenburg 1. Heft, Nr. 63.

2. Aus dem Erzgebirge.


Als unser Herr und Heiland sich unter der Last des Kreuzes zur Schädelstätte schleppte und die Menschen kein Herz für ihren Schöpfer und Wohltäter hatten, da fühlten die Steine Mitleid. Denn als er niedersank, entsproßten seinem blutigen Schweiße die bescheidenen Blümchen, ihm die Härte des Weges zu lindern. Sie blühen noch heute an kargen Wegrändern. Der Volksmund aber würdigt ihr Verdienst und nennt sie Jesusschweiß [Galium aparine, das schneeweiße kleinblütige Labkraut].


  • Literatur: Ztschr. Glückauf Jg. 11 (Juni 1891), Nr. 6, S. 48.

3. Kosakensage aus dem Terekgebiet.


Als Christus zur Hinrichtung geführt wurde, ließ man ihn das schwere Kreuz selber tragen, an das man ihn später schlug. Christus brach unter der Last des[200] Kreuzes zusammen; die Kräfte reichten nicht, und er stürzte zu Boden. Da schlug ihn einer der Pharisäer mit dem Stocke ins Gesicht. Blut spritzte aus der Wunde hervor. Maria Magdalena warf sich hinzu, das teuere Blut von der Erde aufzusammeln, aber die Krieger des Pharisäers stießen sie fort und zerstampften die Stelle, auf die das Blut geflossen war, mit ihren Füßen. Die Krieger gingen weiter und nahmen Christus mit sich fort, Maria Magdalena aber flehte: »Herr, erhalte dem Volk zum Gedächtnis den Wohlgeruch deines heiligen Blutes!« Und im selben Augenblick kamen aus der Erde, die mit Christi Blut getränkt war, die Blätter des Veilchens hervor, und alsogleich erblühte auch die duftende Blume.


  • Literatur: (Nach einer Variante erblühten die Veilchen auf Golgatha am Fuße des Kreuzes.)
    Sbornik mater. 34, 2, 3 f.
Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 200-201.
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