IV. Schutzspendende Bäume.

A. Bäume, die vor Verfolgung schützen.

[40] Wie es Bäume geben soll, die sich huldigend neigten, so erzählt man auch von schützenden Bäumen, die ihre Zweige niederbreiteten und gleichsam in ihren Armen eine Zufluchtsstätte darboten. Die nahe Verwandtschaft mit den vorigen Sagen geht besonders aus den zunächst angeführten Sagen hervor:


1. Aus den Niederlanden.


a) Sankt Josef und Unsere Liebe Frau waren mit dem Jesuskindlein auf der Flucht. Sie waren just an einem großen Walde angelangt, als sie nicht weit davon Herodes' Soldaten hörten. Was nun? Sie standen am Fuße eines schönen Palmbaumes, fielen auf die Knie nieder und flehten zu dem allmächtigen Vater: »O Gott, errette das Kind aus den Händen seiner Feinde!« Kaum war das Gebet ausgesprochen, da erhob sich oben im Wipfel ein leises Rauschen: die langen blätterreichen Zweige des Baumes senkten sich, kamen bis auf den Erdboden herab und umschlossen so die heilige Familie wie mit einer Ringmauer. Die Soldaten fluchten und wetterten, weil sie überall vergebens laufen müßten, und gingen ahnungslos an der Palme vorbei. Als sie ein Stück entfernt waren, begann es wieder zu rauschen: die Zweige bewegten sich aufwärts und kamen auf ihren alten Platz zurück. Sankt Josef und Maria dankten Gott und zogen dann eilends nach Ägypten weiter.


  • Literatur: Joos, Vertelsels 1, S. 67, Nr. 35.

[40] b) In Westflandern wird von der Trauerweide erzählt, sie habe ihre Zweige über die hl. Familie herabgesenkt und sie vor Herodes' Soldaten verborgen.


  • Literatur: Vgl. die ausführlich und hübsch erzählte Legende bei Mont en Cock, Vlaamsche Vertelsels S. 124.

2. Aus Italien.


a) Die Trauerweide läßt ihre Zweige zur Erde hängen, seit sie Maria und dem Jesuskind auf der Flucht nach Ägypten als Versteck gedient hat.


  • Literatur: Gubernatis, Mythologie des plantes 2, 31.

b) Joseph mußte wandern, blieb aber fast immer hinter den Seinen zurück. Einmal sahen sie Pharisäer heranreiten. Maria sagte: »Lauf, Joseph, lauf!« Sie waren gerade inmitten von Wacholdergebüsch, und Maria bat einen Strauch, das Kind zu verbergen. Der Strauch öffnete sich, nahm das Kind zu sich und schloß sich dann wieder. Als dann die Pharisäer kamen, sahen sie nur eine Frau und einen Greis. Nach einer Weile kam ein zweiter Trupp Pharisäer. Und da sie auf einem Felsen waren, so war nichts als eine Stechpalme in der Nähe. Und sie breitete ihre Zweige aus, und Maria und Joseph und das Kind gingen hinein. Die Pharisäer gingen wieder fort.

Maria segnete dann die Stechpalme und sagte ihr: »Du wirst immer grünen.« [Die Segnung des Wacholders fehlt.]


  • Literatur: de Nino, Sacre leggende S. 44.

c) Der Wacholderbusch öffnete gastlich seine Zweige und schloß sie dann wieder, so daß er Maria mit dem Kinde verbarg. Maria segnete darauf den Wacholderbusch. Darum hängt man ihn in den Städten Italiens am Weihnachtstage auf.


  • Literatur: Gubernatis, Mythologie des plantes 2, 153.

d) Auf der Flucht nach Ägypten verbarg sich Maria unter einer Esche, und um sie dafür zu belohnen, daß sie sie verborgen hatte, sagte sie:

»Esche, schöne Esche, du sollst grün besser brennen, als die andern trocken.«


  • Literatur: Rivista delle tradizioni 1, 270.

3. Aus Andalusien.


In Andalusien heißt es, daß der Rosmarin der Jungfrau Maria auf der Flucht nach Ägypten Schutz geboten habe. (Näheres fehlt.)


  • Literatur: Gubernatis, Mythologie des plantes 2, 317 nach Caballero.

4. Aus dem Archipel.


Als Jesus von den Juden verfolgt wurde, verbarg er sich unter einem Wacholderstrauch. Da die Zweige des schützenden Strauches sehr dicht waren, konnten die Juden Jesus nicht entdecken. Da segnete Jesus den Wacholderstrauch, und seitdem verbreitet er einen würzigen Wohlgeruch.


  • Literatur: La Tradition 10, 72.

5. Aus Malta.


Auf der Flucht wollte die Mutter Gottes ihr Kindchen verstecken, da die Häscher nahe waren. Sie legte es in die Zweige eines Mandelbaumes, doch dieser senkte sich nicht demütig, sondern war stolz auf die kleine Bürde und löste das Gewirr der Zweige auf. Also hätte er das Kind verraten. Da nahm die Mutter Gottes den kleinen Jesus und legte ihn in den Strauch einer Mimose.[41] Diese Pflanze war über die Maßen dankbar und glücklich, bog ein Blättchen übers andere und legte einen Zweig auf den andern, bis sie ein Dächlein fertig hatte. Aber ängstlich war sie doch und begann zu zittern, als die Häscher näher traten. Doch diese sagten: »Sieh nur, wie das stachelige Bäumchen zittert!« und gingen ihrer Wege. Da sprach die Mutter Gottes: »Du, o Mandelbaum, hättest mein Kind verraten! Da du aber nicht aus böswilliger Absicht, sondern aus Überhebung gehandelt hast, so soll der Kern deiner Frucht süß und nur die Schale bitter sein!« Zur Mimose aber sagte sie: »Du hättest mein Kind beinahe verraten durch übergroße Furcht! Zur Strafe dafür sollst du stets zittern müssen! Da du aber auch deinen guten Willen gezeigt hast, sollst du hinfort imstande sein, dein Inneres zu bedecken, wie du an meinem Kinde getan hast.« Seit der Zeit vermag sich die Mimose zu schließen, sobald sie berührt wird.


  • Literatur: Bisher ungedruckt. Frdl. Mitteilung von Frl. B. Ilg in Valletta.

6. Aus Litauen.


Die Mutter Gottes ruhte einst unter einer Espe, als sie mit ihrem Sohn vor Herodes nach Ägyptenland floh, und diese zitterte vor Angst. Seit der Zeit begannen die Blätter aller Espen zu zittern.


  • Literatur: Živaja Starina 4, 253 f.

7. Aus der Ukraine.


Die Zitterpappel rauscht deshalb mit den Blättern, weil, als Joseph und die hl. Jungfrau Maria nach Ägypten zogen, sie sich beim Herannahen der Krieger unter einer solchen versteckten. Alle Bäume waren still, bloß die Pappel hörte nicht auf zu rauschen.


  • Literatur: Čubinskij, Trudy 5, 76 f.

8. Aus Ungarn.


Als die Juden Christus verfolgten, kletterte er auf eine Espe und verbarg sich dort; aber die Juden fanden ihn, zogen ihn von der Espe herab und marterten ihn.

»Nun, du Espe,« sprach Christus, »ich verfluche dich; im Winter und im Sommer sollst du stets vor Frost klappern.«

Der Fluch erfüllte sich auch an der Espe, denn seitdem zittert sie immer und rauscht so traurig, daß man unter ihr nichts hören kann.

Ein andermal erklomm Christus eine Tanne; da fanden ihn die Juden nicht. Als er hinabstieg, segnete er sie:

»Nun, du Tanne, im Winter und im Sommer sollst du grün sein und immer kreuzweis wachsen!«

Darum grünt der Tannenbaum immer, und darum wachsen seine Zweige kreuzweis.


  • Literatur: Arany-Gyulai Magy. Népkölt. Gyüjt. 3, 412. (Vgl. oben: Birke und Pappel, S. 37, unten: Espe und Haselstaude, S. 43.)

9. Legende der Kosaken im Terekgebiet.


König Herodes hatte zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Als er alle kleinen Kinder männlichen Geschlechts töten ließ, befahl er auch seinen eigenen Sohn umzubringen. Die Tochter erfuhr von der Weisung des Vaters und erzählte dem Bruder, welches Schicksal seiner harre. [Die Kinder beschließen zu fliehen, werden verfolgt und holen die Mutter Gottes auf deren Flucht ein. Diese suchte ein sicheres Versteck] und wandte sich an die Blumen des Feldes mit der Bitte, sie und die Kinder zu retten ... Aber nicht eine der Blumen gab ihr einen Zufluchtsort; da wandte sie sich zur Salbei, und die versteckte sie und die Kinder[42] unter ihren Blättern. Herodes' Krieger gingen vorbei, ohne etwas zu bemerken, und als sie verschwunden waren, kam die Mutter Gottes hervor und sprach zur Salbei: »Von nun an bis in Ewigkeit wirst du eine Lieblingsblume der Menschen sein. Ich gebe dir die Kraft, die Menschen zu heilen von jeder Krankheit. Errette sie vom Tode, wie du es auch an mir getan hast!« (Aufguß der Salbei heilt Erkältung.)


  • Literatur: Sborn. materialov dlja opisanja městnostej i plemen kavkaza 34, 2, 4 f.

B. Sagen von der Haselstaude.

1. Aus Polen.


Als die hl. Mutter Maria mit dem kleinen Jesuskind vor dem König Herodes flüchtete, suchte sie Schutz unter einer Espe; doch wollte dieser Baum ihr keine Zuflucht gewähren, indem er sich damit entschuldigte, daß er Furcht habe, vom König Herodes umgehauen zu werden. Die Mutter Gottes mußte also mit ihrem Kindlein unter der Espe heraustreten, und da sie nicht wußte, wo sich gleich zu verstecken, lief sie unter die Haselnuß, die unweit von der Espe wuchs. Die Haselnuß nahm die hl. Familie gern auf und umhüllte sie, so gut sie konnte, mit ihren winzigen Zweigen, so daß König Herodes un verrichteter Dinge heimkehren mußte. Zur Erinnerung daran bestimmte der Herr Jesus, daß die Espe fortan mit dem Laube zittern solle, gleichsam aus Angst, auch wenn klares Wetter am Himmel ist. Aber unter die Haselnuß darf man sich getrost beim Gewitter flüchten, der Blitz wird einen dort nicht erreichen.


  • Literatur: Zbiór wiad. 7, 117, Nr. 38 mit folgender Anmerkung: In Cedzyń geht die Sage, daß Methusalem deshalb am längsten von allen Menschen lebte, weil er sich unter einer Haselnußstaude eine Hütte baute und bis an sein Ende darin wohnte.

2. Aus Oberschlesien.


Man erzählt, die hl. Familie habe auf der Flucht nach Ägypten einen Espenbaum vergeblich um Bergung und Schutz gebeten, weil dieser sich vor des Herodes Leuten fürchtete. Da sprach die hl. Maria: »So zittere du und bebe in Furcht bis ans Ende der Welt.« Die hl. Familie barg sich dann unter dem Schutze von Haselnußbäumen, daher seien diese vor dem Blitze sicher und tragen liebliche Frucht.


  • Literatur: Mitt. d. Schles. Ver. f. Volksk. Heft 4, S. 75.

Die Legende von der Flucht unter die Haselstaude ist hier willkürlich in die Zeit der Flucht nach Ägypten verlegt worden. Sie wird sonst in folgender Weise erzählt:


3. Aus Sizilien.


Sie gilt als ein heilges Bäumchen, in dessen Schatten man ohne Furcht schlafen kann, weil dort das Jesuskindlein in Schlaf gewiegt wurde.


  • Literatur: Pitrè, trad. Sicil. 3, 241.

4. Aus Tirol.


a) Vom Haselnußstrauch heißt es allgemein in Tirol, daß einst, als die Mutter Gottes einen Gang ins Gebirge machte und von einem wilden Wetter überfallen wurde, sie unter einem großen Haselbaum Schutz fand und demselben viele Wunderkräfte gab. Die Weißkünstler haben sich stets der Wünschelruten [die im Neumond von einem Haselstrauch geschnitten werden müssen] als Werkzeuge bedient, deren Gebrauch Gott zuläßt und die niemals bösen und schädlichen Zauber üben.


  • Literatur: Alpenburg, Myth. u. Sagen Tirols S. 393.

[43] b) Am Oberinn heißt es, daß Maria dem Haselzweig die blitzabwehrende Kraft deshalb gab, weil Maria einst über einen Bergrücken gegangen und unter einem Haselstrauche gerastet habe.


  • Literatur: Heyl, Volkssagen aus Tyrol S. 793.

5. Aus Steiermark.


Unter der Hasel ist unsere liebe Frau untergestanden während eines Gewitters, und darum schlägt es in eine Hasel nie ein.


  • Literatur: Baumgarten, Aus der Heimat 1, 135.

6. Vom Lechrain.


Als die Mutter Gottes über das Gebirge ging, wurde sie unterwegs von einem argen Wetter überfallen und flüchtete sich unter eine großmächtige Haselstaude. Der Schutz, den sie damals der hl. Jungfrau gewährte, verlieh ihr für alle Zeiten die Kraft, Blitze abzuwehren.


  • Literatur: Leoprechting, Aus dem Lechrain S. 98.

Wie Karl Weinhold, Über die Bedeutung des Haselstrauches usw. (Ztschr. d.V.f. Vk. 1901, S. 6; vgl. ebd. Bd. 8, 396) bemerkt, vertritt Maria hier nur einen Heidengott, den germanischen Donar, der nicht rastete und Zuflucht suchte, sondern der seiner geweihten Staude auch im Donnerwetter Friede hält.

Aus dem slavischen Europa kann ich nur einen Beleg bei Federowski 1, 561 anführen:


Als der Herr Jesus auf Erden wandelte, mußte er sich zuweilen mit Haselnüssen ernähren. Daher verkriecht sich der Teufel nie unter einen Haselstrauch, und nie trifft diesen der Blitz. (Weißrussisch.)


Zur Heiligkeit der Hasel vgl. noch – außer aber gläubischen Meinungen – zwei Sagen.


Bei Vonbun, Volkssagen aus Vorarlberg, 1847, S. 7, heißt es, daß ein Haselstrauch die hl. Maria gegen eine aufspringende Schlange schützte, als sie im Walde Erdbeeren für das Jesuskind pflückte. Zum Dank habe die Jungfrau dem Strauche die Kraft verliehen, alles Volk gegen Ottern und anderes kriechendes Gewürm zu behüten.

Ähnlich wird – nach Hans Müller, Aus Davos, S. 54 (= Vonbun, Beiträge S. 127, Sagen S. 54, Vernaleken S. 299) – in einer bündnerischen Legende erzählt, daß die Mutter Gottes, als sie einstmals mit dem hl. Knäblein Erdbeeren sammelte, von einer Schlange verfolgt wurde und in der Angst ihres Herzens das giftige Tier mit einer Haselgerte schlug und vertrieb, indem sie sagte:


Wia dia Studa hüt min Schutz iß gsi,

Söll sie 's o de Lüt in Zuekunft si.


[Eine Schlange kann, wie es in Graubünden heißt, nur mit einer Haselrute getötet werden.]


C. Bäume, die vor Unwetter schützen.

Das Motiv der Flucht fehlt in einigen engverwandten Sagen, indem an der Stelle der Gefahr, aus der der mitleidige Baum den Heiland errettet, ein ganz harmloses Ereignis erscheint ist: Jesus sucht Schutz vor Regen, und der Baum beschirmt ihn.[44]


1. Aus Nuckö; schwedisch und estnisch.


Bei einem argen Unwetter ging der Herr Jesus durch einen dichten Wald und suchte unter den Bäumen Schutz vor dem Regen. Alle Bäume aber bogen ihre Zweige zurück oder schüttelten sich, so daß die Tropfen auf den Herrn fielen und er ganz durchnäßt wurde. Nur die Tanne breitete schützend und liebend die Arme aus, und er fand Sicherheit unter ihren Zweigen. Dankend verließ er den Zufluchtsort und sprach über die Tanne den Segen aus, daß sie Sommer und Winter grün sein solle.


  • Literatur: C. Rußwurm, Sagen aus Hapsal, S. 190, Nr. 199 C. Siehe auch Inland 1857, Nr. 17.

2. Aus Kronstadt; estnisch.


Es war einmal eine alte Frau und ein alter Mann, die hatten einen Sohn, der in seiner rechten Hand so ungewöhnliche Kraft besaß, daß er die dickste Eisenstange wie einen Strohhalm zerbrach. Altvater wußte lange nicht, was für ein Amt er ihm geben sollte, und machte ihn zum Waldkönig.

Als der Waldkönig einmal zu Altvater ging, um über seine Angelegenheiten Bericht zu erstatten, wurde er von einem starken Regen überrascht und suchte Schutz unter einer Erle. Die Erle aber rief: »Komm nicht zu mir, mein Laub ist noch zu klein, gestern erst sind die Blätter ausgeschlagen!« Ebenso versagten ihm die Birke und die Weide ihren Schutz, bis eine Tanne ihn freundlich aufnahm. Der König erzürnte über die Laubbäume und sagte, daß das Laub sie nur das halbe Jahr schmücken dürfe, die ganze andere Hälfte müßten sie kahl stehen, während die Nadelbäume das Jahr über grünen könnten.

Als es aufgehört hatte zu regnen, ging der König weiter und kam an einen reißenden Fluß. Eine Herde Ochsen und Pferde weidete am Ufer. Der König bat das Pferd, ihn hinüberzutragen, aber das Pferd sagte unfreundlich, es habe die ganze Zeit gearbeitet und sei erst eben freigekommen und wolle nun fressen. Der Ochse trug ihn bereitwilligst hinüber. Zum Lohn sollten die Ochsen eine kurze Arbeitszeit, aber eine lange Pause zum. Fressen haben, während die Pferde kurze Zeit fressen und lange arbeiten müßten. – Bei Altvater angelangt, fragte ihn dieser, woher das komme, daß die Laubbäume im Winter kahl stünden und daß die Ochsen eine lange, die Pferde aber eine kurze Ruhe- und Freßpause hätten. Und weil der Waldkönig eigenwillig und ohne Altvaters Beistimmung so eigenmächtig gehandelt hatte, entäußerte ihn Altvater seiner Königswürde und machte ihn zu seinem Stallknecht.


  • Literatur: Aus dem handschriftl. Nachlaß von Dr. J. Hurt.

Vergleichen wir diese sehr altertümlich aussehende Sage mit denen vom Haselstrauch, so dürfen wir annehmen, daß der Schutz vor Unwetter den ursprünglichen Sageninhalt darstellt und daß dieser dann in christlicher Zeit umgestaltet worden ist. Vgl. Grimm, Mythol. 3, 4. Ausg., S. 64: Weil die Eiche dem Thor heilig war, erschlägt er die darunter flüchtenden Riesen; aber unter der Buche hat er keine Macht über sie. Ebenda 3, 188: Götter zwischen Baum und Rinde wohnend (vgl. S. 38, Nr. 4).

Im sächsischen Vogtland hat diese Sage eine neue Wendung erhalten:


Als Christus mit seinen Jüngern auf Erden wandelte, kam er auch ins Vogtland. Es regnete, und alle wurden arg durchnäßt. Da gewahrte ein Jünger eine sehr große Tanne und rief: »O, komm doch, Herr, unter diesen breiten Baum!«

[45] Allein der Herr entgegnete: »Wer den Regen schickte, wird auch Sonnenschein senden!« und blieb an seiner Stelle.

Da wollte der Jünger doch etwas Klügeres tun, als von der Hoffnung leben, und begab sich unter den Baum. Der aber schlug mit seinen Ästen wie der Haushahn mit den Flügeln und machte ihn naß bis auf die Haut. Auf das Feld jedoch schien die Sonne.

Zur Erinnerung an diesen Vorfall läßt die Tanne ihre Äste bis heute niederhängen.


  • Literatur: Perger, Deutsche Pflanzensagen, S. 337 f. = Grässe, S. 432.

3. Parallele aus Japan.


Bei C. Pfoundes, The popular literature of Old Japan (= Trans. Roy. soc. of Literature Vol. 12, part. 3, 1881) S. 19 findet sich folgende Übersetzung eines japanischen Volksliedes:


Shin no Shiko

A hawking did go,

The clouds they lowered

Down the rain poured,

Ho, the Emperor must not get wet.


The old pine tree

Good shelter would be,

Beneath its shade did he go,

The branches bent and the leaves folded so

Through the leaves the rain did not get.


'Twas the Emperors whim,

That the pine tree be given,

Of honours a deluge, in name,

This is just how it came

To be called »wait while the rain pours« e'en yet.

Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 40-46.
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