V. Das Märchen vom Zauberring.

[147] Ein weitverbreitetes Märchen erzählt von einem Jüngling, der Hund, Katze und Schlange von ihren Quälern befreit und vom Schlangenkönig einen Wunderstein (-Ring) erhält, der ihm alle seine Wünsche erfüllt. Der Held läßt sich ein Schloß bauen und heiratet die Königstochter. Allein nach kurzer Zeit wird ihm der Zaubergegenstand gestohlen, das Schloß und die Gattin werden entrückt, und der Jüngling ist so arm wie zuvor. Doch Hund und Katze, die dankbaren Tiere, bringen ihm das gestohlene Kleinod wieder. Hierbei müssen sie über das Meer, und der Hund trägt die Katze. Es entsteht ein Streit um den Wundergegenstand, den jedes der Tiere seinem Herrn bringen will; zum Unglück fällt er ins Wasser und wird von einem Fische verschluckt. Jedoch gelangen die Tiere wieder in den Besitz des Zaubersteines und überbringen ihn ihrem Herrn, der sich Schloß und Gattin zurückwünscht.1

An jenen Streit der treuen Tiere nun hat sich in einer kroatischen Fassung eine Ätiologie geknüpft, die sich jedoch auf Katze und Maus bezieht, die hier an Stelle von Hund und Katze auftreten.2 Es heißt in diesem Märchen zum Schluß, daß der Fisch das Zauberkorn ausspie; die Maus faßte es schnell und lief davon, allein die Katze war hinterdrein, packte die Maus und fraß sie auf und brachte das Korn dem Herrn. Seit jenem Tage frißt die Katze die Mäuse.

Kein Zweifel ist daran möglich, und die Untersuchungen Aarnes bestätigen es, daß dieser Schluß und somit auch die Ätiologie diesem[147] Märchen ursprünglich fremd sind. Die dankbaren Tiere werden für die Handlung nur ganz äußerlich verwendet, und nicht ihr Schicksal, sondern lediglich das des Helden interessiert Erzähler und Hörer. Es ist also ein willkürliches Hineinflechten des Feindschaftsmotives in das kroatische Märchen vorgenommen worden, und die Schlußsituation samt der Ätiologie stammen natürlich aus all den echten Natursagen her, die Tierfeindschaften erklären wollen.

Aarnes Untersuchung3 belehrt uns, daß zwei Motivierungen für den Verlust des Zaubergegenstandes in der gesamten Überlieferung hauptsächlich in Frage kommen. Nach der ersten, allgemein verbreiteten verlangt der Hund den Gegenstand von der Katze, um ihn zu tragen, und läßt ihn dann fallen, oder derselbe fällt während des Streites ins Wasser Nach der zweiten, nur bei Finnen und Slawen vertretenen Form veranlaßt der Hund die Katze zu einer Äußerung, bei der ihr der Gegenstand aus dem Maule rutscht.4 Vereinzelt finden sich noch andere Motivierungen. Als ursprünglich jedoch kann nach Aarne nur die erste Form betrachtet werden, wegen ihrer Verbreitung sowohl wie um des natürlichen Zuges der Uneinigkeit willen, die auch sonst zwischen Hund und Katze besteht.

Der Streit der Tiere gehört also der vorauszusetzenden Urfassung des Märchens an, womit jedoch noch nichts darüber ausgesagt ist, ob er auch zusammen mit dem Märchen erfunden oder aber von anderer Seite her erst hineingetragen worden ist.

So könnte man den Streit der Tiere etwa aus einem jüdischen Märchen herleiten wollen, das zu der Gruppe von Tristanmärchen gehört, die Köhler in den kleineren Schriften Bd. 2, S. 328 ff. bespricht.

Hier handelt sich's um eine goldhaarige Jungfrau, die ein Jüngling für seinen König sucht. Die Kunde von ihr ist dadurch erfolgt, daß zwei Schwalben, die sich beißen, ein schönes langes Frauenhaar fallen lassen. Der Jüngling findet die Jungfrau, aber ehe sie in die Werbung willigt, hat er mehrere Aufgaben zu lösen, darunter die: Wasser des Lebens und Wasser des Todes zu bringen. Mit Hilfe dankbarer Tiere gelingt es ihm. Bei seinem Herrn angelangt, wird der Jüngling getötet, von der Schönen aber durch das Wasser des Lebens neu belebt. Der König will dies auch versuchen und läßt sich ebenfalls töten, die Königin belebt ihn aber nicht wieder, sondern vermählt sich mit dem Jüngling.

Den wesentlichen Inhalt einer alten jüdischen Version dieses Märchens bringt Köhler S. 333 aus dem sog. Maase-Buch, Kap. 143.5[148]

Hier muß der Rabbi Chanina, nachdem er Wasser aus dem Paradies und Wasser aus der Hölle geholt hat, als zweite Bedingung der Königin die Aufgabe erfüllen, einen ins Meer gefallenen King ihr wieder zu schaffen. Als der Rabbi traurig am Meer betet, kommt ein dankbarer Fisch geschwommen, den er -einst Fischern abgekauft hat, und verspricht ihm Hilfe. Er schwimmt hierauf zum Leviathan und erzählt ihm alles, worauf der Leviathan befiehlt, daß der Fisch, welcher den Ring habe, ihn herausgebe. So bekommt ihn der Fisch des Rabbi, schwimmt an das Ufer, wo der Rabbi wartet, und speit ihn ans Land. Da kommt aber eben ein wild Schwein vorbei und verschlingt ihn. Wie deshalb der Rabbi jammert, kommt jener Hund, den der Rabbi einst gespeist, läuft dem Schwein nach und zerreißt es. So bringt der Rabbi der Königin den Ring, und sie zieht mit ihm nach Israel und gefallt dort dem König gar sehr.

Die übrigen Fassungen dieses Märchens6 stimmen mit der obigen genau überein, und in allen wird der vom Fisch gebrachte Ring von einem Schwein verschlungen und dieses von dem dankbaren Hunde gejagt und zerrissen, welcher Zug nach Köhler7 nur dem jüdischen Märchen aus dem ganzen Kreise eigen ist.

Die engen Berührungen mit dem Märchen vom Zauberring sind unverkennbar, und es fragt sich daher, ob die Handlung, die in der jüdischen Version der Gewinnung des Ringes vorausgeht, die ursprünglichere ist oder nicht. Die Antwort muß auf Grand der Analyse Aarnes verneinend lauten, denn das Ursprüngliche ist: zwei dankbare Tiere gewinnen – verlieren – gewinnen endgültig den Ring. Die jüdische Fassung zeigt dagegen deutlich die Entstellung des alten Herganges.8 Auch hier wird der Ring, obgleich mit Hilfe des Leviathan, durch ein dankbares Tier gewonnen; dann aber tritt plötzlich ganz unmotiviert das wilde Schwein auf (das unreine Tier!) und verschlingt den Ring, wird jedoch vom zweiten dankbaren Tiere, dem Hunde, zerrissen. Damit ist der Ring endgültig für den Rabbi gewonnen. Es fehlt also das charakteristische Durchschwimmen des Meeres, das natürlich fortbleiben mußte, weil eben die Katze des ursprünglichen Märchens durch das Schwein ersetzt worden ist, und der Streit der Tiere hat sich daher in die Jagd des Hundes nach dem Schwein gewandelt.

Die bessere Motivierung und die einfache alte Situation sind in der[149] jüdischen Fassung also nicht erhalten, diese vertritt demnach eine genetisch jüngere Form, die sich aus der Entstellung der uns bekannten Fassungen erklären läßt.

Stammt somit der Streit der überbringenden Tiere nicht aus dem jüdischen Märchen, so bleibt die Frage nach seiner Herkunft offen und kann auf Grund des bis jetzt bekanntgewordenen Materials anscheinend noch nicht beantwortet werden.

Es mögen nun an dieser Stelle drei z.T. sehr stark abweichende Varianten zum Märchen vom Zauberring folgen, in denen sich Ätiologien finden, zuerst die oben S. 147 erwähnte kroatische Fassung.


1. Es war einmal ein altes Weib, das lebte ganz allein und verlassen in der Welt. Nirgends hatte sie etwas ihr Eigen zu nennen, als nur ihren einzigen Sohn. Zu dem sagte sie eines Tages: »Mein Söhnchen, hier hast du ein Bund Garn, gehe ins Dorf und bringe mir Brot dafür oder was du sonst bekommen kannst.« Nahm der Sohn das Garn und ging durchs Feld in das Dorf. Dort traf er Hirten, die gerade eine Katze erschlagen wollten. »Gebt mir die Katze,« sagte er, »ich gebe euch ein Bündel Garn dafür.« Die Hirten berieten sich miteinander und kamen überein, ihm die Katze zu geben und sich aus dem Garn eine Peitsche zu flechten. Der Junge gab ihnen das Garn, und die Hirten gaben ihm die Katze heraus. Da schenkte er ihr die Freiheit. Die Katze aber stellte sich vor den Jungen hin und sprach: »Höre du, wenn du einmal in Bedrängnis bist, so erinnere dich meiner.« Als der Junge nach Hause kam, fragte ihn seine Mutter: »Hast du etwas mitgebracht?« Er antwortete: »Nichts habe ich gebracht« und erzählte, wie es ihm ergangen war. Schnell spann die Mutter noch einmal Garn, gab es ihm und sagte: »Wohlan, gehe noch einmal ins Dorf, aber gib dort den Frauen das Garn, sie werden dir etwas dafür zu essen geben.«

Er ging wieder ins Dorf und fand wieder Hirten, die gerade auf eine Maus losschlugen. Sprach der Junge zu ihnen: »Gebet mir diese Maus, ich gebe euch dafür ein Bund Garn.« Die Hirten erkannten den Jungen wieder und überließen ihm die Maus. Er gab ihnen das Garn, ließ die Maus laufen und machte sich auf den Heimweg. Stellte sich die Maus vor den Jungen und sagte zu ihm: »Höre du, wenn du einmal in Bedrängnis bist, so erinnere dich meiner.« Als der Junge nach Hause kam, fragte ihn die Mutter: »Was hast du mitgebracht?« Er sprach: »Nichts habe ich mitgebracht.« Die Mutter wurde böse, aber was war zu tun? Sie spann zum drittenmal ein Bund Garn und gab es ihm mit den Worten: »Nun gehe wieder ins Dorf und bring es den Frauen. Dafür wirst du etwas von ihnen bekommen.« Der Junge ging ins Dorf und fand dieselben Hirten wieder, als sie auf eine Schlange losschlugen. Sprach er zu den Hirten: »Hört auf zu schlagen, ich gebe euch Garn für sie.« Die Hirten gaben ihm die Schlange, und er gab ihnen das Garn. Als er sich nun heimwärts wandte, stellte sich die Schlange vor ihn hin und sprach zu ihm: »Höre du, komm mit mir zu meiner Mutter, sie wird dich dafür belohnen, daß du mich vom Tode errettet hast.« »Nein,« sagte er, »wie soll ich dich tragen? Wenn ich dich anfaßte, so würdest du mich beißen.« Antwortete die Schlange: »Weißt du was? Du hast doch eine Hängetasche! Lege sie nieder, ich werde hin einkriechen, und während du mich dann trägst, werde ich dir den Weg sagen, den du gehen sollst.« »Gut,« sagte das Kind und tat so. Sie reisten darauf zu der Mutter der Schlange, und als sie am Ziele waren, sprach die Schlange zum Jungen: »Höre, bleib stehen.[150] Ich will dich lehren, wie du glücklich zu meiner Mutter gelangen sollst. Geh hübsch vorsichtig hier in den Hag und gib acht, daß du nicht auf eine Schlange trittst. Du wirst an ein Haus kommen, nimm den Hut vom Kopf, verbeuge dich schön vor meiner Mutter, und sie wird dich alsbald fragen: »Was willst du für einen Lohn dafür haben, daß du meine Tochter vom Tode errettet hast?« »Dann verlange nichts anderes als die Schachtel, die auf dem Tische steht. Darin liegt ein Korn. Wenn du das in die Hand nimmst und an irgend etwas denkst, so wird es dir gleich fertig vor Augen stehen.« Gut also, der Junge kam an das Haus und verbeugte sich höflich. Sogleich fragte die Mutter: »Söhnchen, was willst du zum Lohn dafür, daß du meine Tochter vom Tode errettet hast?« Er antwortete: »Ich verlange nichts andres als diese Schachtel, welche auf dem Tische steht.« »Oho! mein Lieber, wenn ich dir diese Schachtel gäbe, so würdest du Gott vergessen!« Spricht der Junge: »Ich mag nichts andres. Wenn ihr mir nicht diese Schachtel gebt, nehme ich die Tochter wieder mit weg.« Spricht zu ihm die Schlangenmutter: »Oho! mein Lieber. Ich gebe dir meine Tochter nicht, da will ich dir schon lieber meine Schachtel geben. Und nun gehe mit dem lieben Gott!« Der Junge ging heim zu seiner Mutter. Als er ankam, fragte ihn die Mutter: »Was hast du mitgebracht?« »Nichts, Mütterchen, nichts weiter als diese Schachtel.« »O weh, mein Sohn, ich sterbe Hungers. Was soll daraus werden?« »Mütterchen, sei nur still, bekreuze dich hübsch und bete zu Gott, und wir werden keinen Mangel leiden.« Die Alte bekreuzte sich schnell, und der Sohn nahm das Korn in die Hand und drehte es zwischen den Fingern, und alles, was sie zu essen haben wollten, stand in Hülle und Fülle auf dem Tisch. Andern Tags denkt der Sohn: »Ach wenn ich doch ein Haus hätte, hübscher, als es der König hat!« Sofort war das Haus da. Am nächsten Tage denkt der Sohn wiederum: »Ich möchte die Königstochter zur Frau haben!« Und sofort war die Königstochter bei ihm, und er heiratete sie. Gut denn, sie lebten froh und zufrieden beisammen Da denkt die Frau einmal: »Wie kommt es, daß mein Mann solchen Überfluß hat? Jeden Tag haben wir anderes Essen und Trinken, nie braucht er etwas zu kaufen, und wir haben immer genug. Hier ist mehr als bei meinem Vater.« Einmal fragte sie ihn: »Höre du, wo nimmst du das alles her? Haben wir doch jeden Tag andere Kleidung, je nach Belieben, auch anderes Essen, und niemals kaufst du etwas.« »Ach, liebe Frau, das gibt uns Gott.« »Andere Leute,« spricht die Frau, »arbeiten und mühen sich ab und ernähren sich kümmerlich, die Reichen aber, die Überfluß haben, müssen doch auch immer und und immer wieder Sachen kaufen, du aber brauchst nimmer und nirgends irgendetwas zu kaufen. Erkläre mir, wie das zugeht.« »Ach, liebe Frau, du willst mich nur aushorchen! Still, was kümmert's dich!« Aber wie das die Frauen so verstehen, sie drang so lange in ihn, bis sie ihm das Geheimnis entlockte. Da dachte die Frau: »Warte du nur! Wenn ich einmal zu deinem Korn kommen kann, wird es schon anders werden.« Und wahrhaftig, eines Tages ging der Mann aus und ließ sein Korn zu Hause, das er in einem Kleidungsstück vergessen hatte. Kaum war der Ärmste fort, als die Frau anfing, das Korn zu suchen. Und richtig, sie fand es. »Oho, nicht länger mag ich bei dir sein!« rief sie und nimmt das Korn und denkt sich: »Ei; wenn ich jetzt bei meinem Vater und meiner Mutter wäre!« Und sogleich stand sie bei ihrem Vater und ihrer Mutter, und ihr Mann stand in jener alten Hütte und war ihm nichts anderes übriggeblieben als nur hundert Gulden, die er bei sich in der Tasche hatte. Was sollte er anderes beginnen als seine Frau zu suchen? Er machte sich auf den Weg, und nachdem er mehrere Tage lang gewandert war, kam er an einen Wald. Was nun? Er mußte hindurch, und er geht[151] und geht und kommt in die Mitte des Waldes, da sieht er plötzlich Heiducken sitzen, die gerade Feuer anmachen. Er näherte sich, und schon hatten auch sie ihn gesehen. Was sollte er tun? Er ging zu ihnen heran, und – wie sonderbar, alle riefen ihm auf einmal zu: »Heil dir, Bruder!« Und jeder reichte ihm die Hand. Sie glaubten nämlich, daß er ihr Bruder sei, der ihnen verloren gegangen war; diesem Bruder sah er sehr ähnlich. Da fingen sie an zu fragen: »Wie geht's dir, Bruder?« Er antwortete: »Gut geht's.« Sie fragten weiter: »Was hast du erworben, seit wir uns nicht gesehen haben?« Er sagte: »Wenig, teure Brüder, nicht mehr als hundert Gulden.« Darauf fragte auch er sie: »Was habt ihr erworben?« Da sagte der eine: »Sieh jene Schuhe. Wenn ich sie anhabe, kann ich mit Meilenschritten gehen.« Der andere sagte: »Ich erwarb mir jenen Mantel. Wenn ich ihn anziehe, sieht mich niemand.« Der Bursch dachte: »Das ist gut für mich. Wenn ich es ihnen nur abnehmen könnte!« Plötzlich sagte er zu den beiden: »Ich glaube euch nicht, daß ihr so wunderbare Sachen habt.« Da erwiderte der eine: »Ziehe die Stiefeln an,« und der zweite sagte: »Ziehe den Mantel an.« Er zog die Stiefel an, kleidete sich in den Mantel und versuchte, ob er ihnen unbemerkt etwas nehmen könne, was vor ihnen lag. Sie sahen ihn nicht, und nun begann er nach und nach beiseite zu treten. Danach fing er an auszuschreiten und war alsbald bei jenem König, wo seine Frau war, und fragte nach der Königstochter. Man sagte ihm, sie sei zur Trauung in der Kirche. Was nun? Der Bursche ging in die Kirche, wo sie schon vor dem Altar stand. Ihr Bräutigam beichtete bereits. Der Bursche wartete. Nach der Beichte ging er vor den Altar zu der Königstochter, welche der Geistliche trauen wollte. Ging der Pope vor den Altar, um zu trauen, und fing an zu predigen, ihr ins Gewissen zu reden und sie zu ermahnen, daß sie begangenes Unrecht gut machen solle.

Und sie bemerkte ihren ersten Mann nicht, der unmittelbar daneben stand. Als der Pope nun so redete, gab der Mann ihr und dem Bräutigam eine tüchtige Ohrfeige. Stand der Bräutigam auf, wo er kniete und sprach: »Herr, ich mag mit dieser Jungfrau nicht getraut werden.« Fragte ihn die Jungfrau: »Warum nicht?« Antwortete er: »Darum, weil zwischen uns ein Hindernis ist. Mich schlug etwas hinter die Ohren, so stark, daß ich beinahe umfiel.« »Nicht doch!« sagte sie. »Er soll uns nur trauen.« Der Pope fing nun zu trauen an, und der Bursche gab dem Jüngling wieder einen Schlag. Sagte der Jüngling: »Ich will nicht getraut werden. Mir ist, als wenn mich jemand geschlagen hätte.« »Macht nichts!« sagte sie, »mir trauen!« Der Pope fing wiederum zu trauen an. Da kriegte er selbst einen Schlag und keinen kleinen. Da sagte der Pope: »Ich will euch nicht trauen. Auch mich hat etwas geschlagen.« Jetzt legte ihr früherer Mann den Mantel ab, damit sie ihn sehen könnten, und sagte: »Ha, da bist du ja! Willst du zwei Männer haben? Und du, Pfaffe, willst zum zweitenmal trauen?« Da entfloh sie erschrocken aus der Kirche. Der Bräutigam aber ergriff den Mantel und die Stiefel und entführte die Braut in das Land, dem er entstammte. Er war aber über See gekommen. Der andere, der wiederum betrogen war, sah sich hilfesuchend um. Was sollte er nun tun? Wie mochte er zu seinem Korn kommen? Da fing er an zu fragen: »Woher stammt der Jüngling?« Er erfuhr, daß er von jenseits des Meeres sei. Dahin wollte er gehn, und er kam an das Ufer. Wie er nun dastand, dachte er bei sich: »Wie komm ich übers Wasser? Das Wasser ist so groß!« Da fiel ihm die Katze ein, und er sagte: »Ach, wenn meine Katze hier wäre und meine Maus! die könnten mir helfen!« Kaum hatte er das ausgesprochen, als die beiden erschienen. Und sie ragten: »Was befiehlst du, Herr?« Er erzählte ihnen sein Unglück. Sogleich nahm[152] die Katze die Maus, um sie über das Wasser zu tragen, und so kamen sie vor jenes Haus, wo der Jüngling und die Königstochter im festen Schlafe lagen. Wie sollten sie hineinkommen? Die Katze sprang aufs Fenster, die Maus hinter ihr her. Das Fenster war halb offen, und so kamen sie hinein. »Wie werden wir das Korn kriegen?« dachten sie. Der Jüngling hatte aber das Korn im Munde unter der Zunge verborgen. Das erspähte die Katze. Rasch sprang sie auf den Tisch, wo ein Teller Suppe stand, darin noch ein Rest vom Abendessen war. Die Katze tauchte den Schwanz in die Suppe und strich damit über den Mund des Jünglings. Erschrocken fuhr er auf und spie aus, und das Korn flog mit heraus. Schnell sprang die Maus herzu, packte das Korn und lief damit weg, um es dem Herrn zu bringen. Die Katze jagte hinterher und holte sie in der Nähe des Ufers ein. Jedes wollte das Korn dem Herrn geben, und sie fingen an, sich um das Korn zu reißen. Bei diesem Streit fiel das Korn ins Wasser. Was nun? Die Katze ging zum König der Fische und bat ihn: »Höre du, gib den Fischen Befehl, daß sie alle herauskommen, und jeder soll sagen, was er gegessen hat. Mir fiel ein Korn ins Wasser. Vielleicht hat's einer verschluckt.« Der König gab den Befehl, da kam ein Fisch und sagte, er habe das Korn verschluckt. Sprach der König: »Das sollst du ausspeien!« Und der Fisch fing an zu speien! Die Maus lauerte in der Nähe, und als der Fisch das Korn ausspie, faßte sie es schnell und lief damit zum Herrn. Die Katze hinterdrein, faßte die Maus und fraß sie auf.

Darauf brachte sie das Korn selber dem Herrn. Freudig nahm er es und wünschte, daß er und seine Frau wieder in ihrem alten Wohnhause wären, und so geschah's. Und von nun an lebten sie gut miteinander, wie lange, das weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob es wahr ist oder nicht, aber so wird's erzählt, und man sagt, daß die Katze seit jenem Tage die Mäuse frißt.


2. Aus Korea.


Vor langen Jahren lebte an dem Ufer eines großen Flusses, an der Stelle, wo die Boote zu landen pflegten, ein alter Mann mit schneeweißem Haar.

Er war arm, aber ehrlich und gut, hatte weder Weib noch Kind und ernährte sich durch einen Weinausschank. So klein sein Geschäft auch nur war, so hatte dasselbe doch in der ganzen Gegend einen guten Ruf, weil der Wein von der besten Sorte war, und der Alte weder Zank noch Schlägereien bei sich erlaubte. Er zog auch die Kundschaft, die nur zu ihm kam Wein zu kaufen, derjenigen vor, welche kam, um bei ihm zu trinken. Er schien nie auf Reisen zu gehen, neue Einkäufe zu be sorgen, und sein Weinvorrat ging nie zu Ende. Immer schenkte er nur aus der nämlichen Kanne, und niemand hatte gesehen, daß der Alte Fässer im Hause hielt, aus denen er seine Kanne füllte, und doch blieb diese Kanne stets gefüllt, mochten so viele Leute kommen, als da wollten. Die getrocknete, langhalsige, gelbe Kürbisflasche war durch den langen Gebrauch schon ganz schwarz geworden und glänzte wie poliert. Wunderlich war es auch, daß der Schankwirt nicht zu altern schien, er behielt immer dasselbe Aussehen, wie vor undenklichen Zeiten.

All dieses war schon so stadtbekannt, daß gar nicht mehr darüber gesprochen wurde – es sei denn, daß einmal ein Fremder kam, dem der sonderbare Krug auffiel und der die Leute danach ausfragte; auch der verließ dann den Platz mit derselben Meinung, daß der Alte ein guter Mann sei, sein Wein aber noch besser. Im übrigen kümmerte sich niemand darum, wo der Wein herkam, solange es immer dieselbe gute Sorte war, die man erhielt.

Man gewöhnt sich eben an alles.

[153] Die einzigen Genossen, mit denen der alte Mann lebte, waren ein Hund und eine Katze, und mit ihnen teilte er auch sein Bett und seine Mahlzeit. Es gab in der ganzen Welt keinen klügeren Hund, obgleich man nicht gerade behaupten konnte, daß er hübsch war. Sehr geduldig und gutmütig von Natur, wurde er nur ungemütlich, wenn sein Herr von irgendeinem Kunden Unbill erlitt, oder wenn ihn die Flöhe von allen Seiten angriffen, – dann aber kam ihm die Katze zu Hilfe, und bald waren die Feinde besiegt.

Der Kater war ein Original. Zwar schon längst über die Jahre hinaus, in welchen Katzen sich die größte Mühe geben ihren eigenen Schwanz zu fangen, war er doch ebenso hoch- als übermütig. Wenn er seinen Freund, den Hund, schlafen sah, vergnügte er sich manchmal damit, ihm eine tote Ratte auf die Nase fallen zu lassen. Der Hund, auf so unangenehme Weise aus dem Schlaf geweckt, fuhr erschrocken in die Höhe und jagte dann, wie vom Bösen besessen, im Zimmer umher, während der schadenfrohe Kater ein sehr würdevolles Gesicht machte, wie die Unschuld selbst, sich über die schlechten Manieren seines Freundes zu wundern schien, einen Katzenbuckel machte und den Schwanz dick aufgeplustert kerzengerade in die Höhe streckte.

Mit ihrem Herrn lebten beide Tiere aber in der größten Eintracht. Ging der Alte abends vor die Tür, um seine Pfeife zu rauchen, so begleiteten sie ihn und bewiesen durch ihr Gebell und Miauen der Nachbarschaft, daß sie noch vergnüglich lebten und zu jeder Zeit bereit wären, es mit den besten ihres Geschlechts im Kampfe aufzunehmen.

Dem Alten war es nicht immer so gut ergangen wie jetzt, wo er den Weinhandel betrieb. Er hatte auch Zeiten gekannt, in welchen er nicht wußte, woher er seinen Reis für den nächsten Tag nehmen sollte; seine guten Tage zählten erst von der Zeit, wo er den letzten Trunk aus seiner Weinflasche einem müden, alten Bettler gegeben hatte. Als derselbe sich an dem Wein gelabt hatte, gab er dem alten einen kleinen Stein, welcher wie Bernstein aussah, und sagte: »Hier, Alter, wirf das in deine Flasche, und solange der Stein darin bleibt, wird es dir nie an Wein fehlen.«

Der Alte tat, wie ihm der Bettler geheißen, und siehe da, die leere Flasche ward wieder voll, und der Alte mochte so viel trinken, wie er nur konnte, die Flasche blieb immer voll und leerte sich nie. Nun betrachtete er sie von allen Seiten, nahm immer wieder einen Schluck, schüttelte sie und trank noch einmal. Dann guckte er hinein und trank von neuem, bis ihm der alte Bettler einfiel, dem er doch nun auch einen Trunk anbieten wollte. Doch, siehe da, der Bettler war verschwunden. Weil er nun niemand von seinem Weine anbieten konnte, so trank er allein weiter; das machte ihm aber kein Vergnügen, und er dachte bei sich, er könne doch unmöglich den ganzen Tag über trinken, denn da würde er sich berauschen, und es käme dann vielleicht jemand, der ihm seine Flasche raubte. So kam er auf den Gedanken einen Weinausschank zu eröffnen. Mit welchem Erfolg, sahen wir schon. Er war jedoch weise genug, sein Geschäft ganz klein und in der Stille zu betreiben, um nicht die Habgier diebischer Beamten zu erwecken. Nur der Hund und die Katze wußten um das Geheimnis, und sie ließen das Gefäß nie aus den Augen.

Doch jedes Ding währt seine Zeit, so auch hier, und der Weinausschank nahm ein plötzliches Ende.

Eines Tages erzählte man sich in der Nachbarschaft, die Flasche des alten Schankwirts sei leer, und er könne sie nicht wieder füllen. Bald versammelten sich[154] viele Neugierige in seinem Hause, und er mußte ihnen mit Bedauern sagen, daß das Gerücht wahr sei.

Der Hund nahm sich die Sache sehr zu Herzen; er saß aufrecht da, den Kopf zur Erde gesenkt, und seine langen Ohren hingen zu beiden Seiten herunter, so daß es fast den Anschein hatte, als wenn er schliefe.

Der alte Kater hingegen war vor großer Aufregung in steter Bewegung und sprang bald auf den Schanktisch, bald wieder herunter, und als er bemerkte, daß niemand von ihm Notiz nahm, sprang er schließlich vom Tisch auf den Balken, dicht unter der Zimmerdecke, und paßte den Ratten auf.

Alle Nachbarn bemitleideten den Alten; doch noch mehr des guten Weines halber, den er nun nicht mehr ausschänkte, als seiner selbst wegen, und der arme alte Mann ward sehr traurig. Nachts, wenn er schlafen ging, sprach er laut vor sich hin und dachte darüber nach, woher ihm wohl sein Unglück gekommen sei. Er fand schließlich keine andere Erklärung dafür, als daß er den Stein in eines Kunden Flasche hatte fallen lassen, während er aus seiner Kanne Wein goß.

Hund und Katze saßen dann bei ihm und hörten aufmerksam seinem Selbstgespräche zu. Sie blinzelten einander an und ratschlagten, auf welche Weise sie ihrem guten Herrn wohl wieder zu seinem Steine verhelfen könnten, denn auch ihnen war es klar, daß der Stein in eines Kunden Flasche gefallen war. Als der Alte endlich schlief, besprachen die Tiere die Sache ganz eingehend.

»Ich bin ganz sicher den Stein zu finden,« sagte der Kater, »wenn ich ihn nur riechen könnte; doch dann müßte ich ganz nahe daran sein. Aber, wo ihn suchen? das ist die Hauptsache.«

Darauf erwiderte der Hund: »Wir müssen eben jedes Haus in der Nachbarschaft durchsuchen. Wir können zu einem gewöhnlichen Besuch (Kuk Kyung) gehen, und während du die Katzen im Hause besuchst, wobei du nicht versäumen darfst, den besten Gebrauch von der Nase zu machen, will ich mich mit den Hunden außerhalb des Hauses unterhalten; sobald du etwas gerochen hast, kommst du zu mir heraus und sagst es mir.«

Gesagt, getan. Noch in derselben Nacht begannen die Tiere ihre Bunde. Die erste Nacht war erfolglos; so die zweite und dritte, was die Tiere aber keinesfalls entmutigte, denn sie setzten ihre nächtlichen Besuche beharrlich fort.

Einigemale wurde ihr Besuch aber auch nicht angenommen, und ein anderes Mal setzte es erst heiße Kämpfe, ehe sie ihr Vorhaben ausführen konnten. Kein Haus wurde übergangen, und nachdem sie überall gewesen waren, hatten sie doch noch nicht gefunden, was sie suchten. Nun beschlossen sie, die Häuser auf der anderen Seite des Flusses zu besuchen, denn sie kamen zu der Ansicht, der jetzige Besitzer des Steines müsse wohl auf dem gegenüberliegenden Ufer wohnen. Aber nun mußten sie warten, bis der Fluß zugefroren war, damit das Eis ihnen eine Brücke sei, denn sie wußten es wohl, daß man es ihnen nicht erlauben würde in den Passagierbooten mit überzusetzen. Der Hund hätte auch wohl jetzt hinüberschwimmen können, denn das verstand er, aber in der Jahreszeit war ihm das Wasser zu kalt.

Als nun endlich der Fluß zugefroren war, gingen die beiden treuen Tiere zwei Monate lang allnächtlich nach dem jenseitigen Ufer und kehrten jeden Morgen erfolglos zu ihres Herrn Haus zurück. Der Alte verließ seine Wohnung nur, um für seine Sparpfennige Lebensmittel einzukaufen. Die Zeit verging, und der alte Mann, der ganz menschenscheu geworden war, glaubte, seine beiden Tiere hätten ihn ebenso verlassen wie seine Kunden, weil sie sich gar nicht vor ihm sehen ließen.

[155] Mittlerweile war der Frühling ins Land gezogen, ohne daß die zwei vierbeinigen Kameraden einen Erfolg mit ihren Nachforschungen erzielt hätten. Eines Tages je doch, als der Kater wieder auf dem Dache eines Hauses umherjagte, kam ihm ein so bekannter Geruch in die Nase, daß er beinahe vor Überraschung durch- die Decke auf den schlafenden Hausbesitzer gefallen wäre, denn er wußte sogleich: dieser Duft konnte nur von dem Steine herrühren. Der Kater spürte ihm nach und fand, daß er einem steinernen Tabakskasten entströmte. Der jetzige Besitzer des Steines mußte ihn also aus seiner Weinflasche genommen und hierher gelegt haben, ohne seinen Wert zu kennen, wenn er ihm auch zu wertvoll erschienen sein mochte, um ihn gleich auf die Straße zu werfen. Der Deckel des Tabakskastens schloß jedoch so fest und genau, daß man denken konnte, er bestände aus einem Stück, und der Kater war nicht imstande ihn zu öffnen. Er ging also zu seinem Freunde, dem Hunde, und erzählte ihm, was er gefunden. Nun überlegten beide, wie sie sich wohl in Besitz des Steines setzen könnten. Der Hund bedauerte es sehr, daß er nicht auch auf das Dach klettern könnte, sonst würde er die Kiste herunterholen. Darauf meinte der Kater, ihm sei sie viel zu schwer, sonst würde er sie umwerfen, damit sie zerbräche. So war denn guter Rat teuer. Nachdem sie noch eine Weile hin und her überlegt hatten, kam dem Hunde folgender Gedanke: »Du gehst nun zum Chef der Rattenkolonie, die in diesem Hause wohnt,« sagte er zur Katze, »und machst ihm den Vorschlag, wenn er uns in dieser Angelegenheit beistehen würde, so wollten wir uns verpflichten, während voller zehn Jahre Frieden mit den Ratten zu halten, ja selbst keiner Maus in ebensolanger Zeit etwas zuleide zu tun.«

»Wozu sollte das wohl nützen?« fragte die Katze verächtlich.

»Weißt du denn nicht, daß diese Art Stein weicher als Holz ist?« erwiderte der Hund. »Wenn nur der Rattenchef seine Untergebenen abwechselnd unaufhörlich an einer Stelle nagen läßt, so wird bald ein Loch entstehen, und dann können wir ganz leicht zu dem Steine gelangen.«

Dies sah der Kater ein, beugte sich vor der Weisheit seines Freundes und machte sich sogleich auf den Weg, um eine Unterredung mit dem Rattenchef einzuleiten.

Während der Dauer derselben ging der Hund mit großen Schritten vor dem Hause auf und nieder, wedelte mit dem Schwänze und versuchte es, einen Beamten nachzuahmen, der oft an der Wohnung seines Herrn vorüberging und der durch seine vornehme Haltung und sein stolzes Benehmen stets besser als andere Leute erscheinen wollte. Als jedoch der Kater von seiner Konferenz zurückkam, war er höchst erstaunt, seinen würdigen Freund im Kampfe mit anderen Kötern zu finden, welche an seinem Eigendünkel und seiner Unverschämtheit Ärgernis genommen hatten. Weil er seinem Kameraden nicht anders zu helfen wußte, sprang er auf eine Mauer und fing so jämmerlich an zu miauen, daß die Einwohner der naheliegenden Häuser, von dem Lärm geweckt, herauskamen und die sich balgenden Hunde verjagten.

Der Hund des alten Schankwirts bedankte sich nicht einmal bei dem klugen Kater für seinen Beistand, ließ sich aber erzählen, wie die Unterredung verlaufen war. Nachdem die Ratte sich davon überzeugt hatte, daß die Katze wirklich nichts Böses im Schilde führte, kam sie mit ihr bis an den Tabakskasten und hörte an Ort und Stelle ihr Anliegen an. Dann wurde der Kontrakt gleich in Ordnung gebracht; der Rattenchef hatte seine Ratten an die Arbeit zu schicken, um sie in den Kasten ein Loch nagen zu lassen, durch welches man an den Wunderstein gelangte; wenn es groß genug geworden, müsse er den Kater davon benachrichtigen.

[156] Unterdessen war das Eis auf dem Flusse aufgetaut, wodurch unserem wackeren Paare der Rückzug abgeschnitten ward, so daß sie ganz und gar an diesem Ufer bleiben mußten und so gut lebten, wie sie es unter den obwaltenden Umständen konnten. Sie schlössen manche Freundschaften, machten sich aber im ganzen doch mehr Feinde als Freunde, weil sie keine Gelegenheit vorübergehen ließen, sich mit ihresgleichen zu raufen.

Eines Tages war schönes, warmes Wetter, und der Kater saß auf dem Dache des Hauses, aus dem ihm der Wunderstein in die Nase duftete, und beobachtete eine dicke Ratte, welche sich bei ihm vorbei zu schleichen schien. Er machte sich schon sprungbereit, als ihm zum Glück noch der Kontrakt einfiel, nach dem er die Ratte verschonen mußte. Und das war nur gut, sonst wäre ihr Plan gleich zu Wasser geworden, denn die dicke Ratte war niemand anders als der Rattenchef, der ihm Botschaft bringen wollte. Das Loch sei nun fertig, sagte die Ratte, aber es sei nach innen so eng geraten, daß man nicht wüßte, wie der Stein herauszubekommen wäre, es sei denn, daß die Katze versuchte, ihn mit der Pfote herauszuholen.

Diese beratschlagte nun mit dem Hunde, den sie sogleich aufgesucht hatte, was zu machen sei, und dann gingen beide hin, sich die Sache anzusehen. Freilich konnte die Katze die Pfote hineinstecken, aber nicht den Stein erreichen, der am anderen Ende des Kastens lag. Darüber waren sie schon ganz entmutigt, als der Hund nach kurzem Nachdenken wiederum den Ausschlag durch einen guten Rat gab: eine Maus müsse hineinkriechen und den Stein herausholen, meinte er.

Hineinkommen ging auch ganz leicht, um so schwerer war das Herauskommen. Nach vielen vergeblichen Versuchen, nach schmerzlichem Quetschen und Drängen gelang es endlich einem schlanken Mäuslein, mit dem Stein aus dem Tabakskasten herauszukommen, und der Hund nahm ihn sogleich in Verwahrung.

Nachdem das Geschäft so weit erledigt war, wurde die Freundschaft noch einmal mit vielem Wedeln von Seiten des Hundes und mit lautem Schnurren seitens der Katze erneut und befestigt. Die Ratten gingen dann voll Freude über ihre Sicherheit nach Hause, und die beiden treu Verbündeten machten sich auf den Weg, ihrem Herrn den wiedergefundenen Stein zu bringen.

Nun mußte der Hund wieder mit seiner Klugheit ausfindig machen, wie der Fluß zu passieren sei. Und das war keine Kleinigkeit. Endlich kamen sie dahin überein, daß der Kater den Stein in den Mund nehmen, ihn dort gut festhalten sollte, sich selbst aber an den Hund anklammern, der ihn auf den Rücken nehmen und mit ihm den Fluß durchschwimmen wolle. Nachdem der Hund dem Kater die besten Verhaltungsmaßregeln gegeben und ihn ernstlich zur größten Vorsicht ermahnt hatte, traten sie ihre Reise an.

Alles ging auch vortrefflich vonstatten; als sie aber beinahe das Ufer erreicht hatten, bemerkten einige der dort spielenden Kinder das wunderbare Paar und brachen in ein lautes Gelächter aus; einige wälzten sich vor Lachen auf dem Boden, denn sie fanden das Bild, welches sich ihnen darbot, gar zu komisch.

Der Hund war zu müde und abgespannt, um sich um die lachenden Kinder zu kümmern, die Katze aber lachte selbst so herzlich mit, daß sie bei den dadurch verursachten Bewegungen den Kopf des Hundes unter Wasser tauchte, so daß das arme Tier mehr Wasser schluckte, als ihm lieb war. Dies machte den lustigen Kater nur um so übermütiger, so daß er alle Mühe hatte, sich an den Haaren des Hundes festzuhalten. Endlich aber übertrieb er sein Lachen so sehr, daß er das Maul aufriß und dabei vergaß, daß er den Stein auf der Zunge liegen hatte, der nun[157] ins Wasser fiel. Kaum hatte der Hund den Unfall bemerkt, als er sofort nach dem Steine tauchte, um ihn zu erfassen, dabei seinerseits vergessend, daß ihm die Katze auf dem Rücken saß. Diese, welche große Angst vor dem Wasser hatte, krallte sich so fest an den Hund an, daß dieser sich vor Schmerz umdrehte und dann den Stein nicht erschnappen konnte, nach welchem er getaucht hatte. Da ließ der Kater los, der allen Halt verloren hatte, und schwamm, vor Angst mutig geworden, allein ans Land.

Sobald der Hund das Ufer erreicht hatte, schüttelte er sich das Wasser aus dem Fell und sprang dann voll Zorn auf den Kater zu, der durch seinen Leichtsinn die Mühe eines halben Jahres in einem Augenblicke zunichte gemacht hatte. Dieser gewann aber noch gerade soviel Zeit, einen Baum zu erklettern, auf dem er bis zum Sonnenuntergang sitzen blieb.

Während ihm nun die liebe Sonne den Pelz trocknete, spuckte er das unfreiwillig genossene Wasser auf den Hund und hielt ihn sich unter fortwährendem Fauchen und Pusten vom Leibe, daß dieser in seinem Zorne nichts anzufangen wußte, als immer um den Baum herumzurennen und zu bellen. Weil der Kater übrigens auch wußte, daß mit dem Hunde nicht gut Kirschenessen sei, wenn er so wütend bellte, so blieb er ganz ruhig sitzen und hatte nur die einzige Sorge, daß unartige Kinder ihn mit Steinen werfen könnten. Nach Sonnenuntergang kam er herunter, nahm sich aber sehr in acht, dem Hunde in den Weg zu kommen, mit dem er sich nie mehr ausgesöhnt hat.

Der Hund tauchte noch oft nach dem Steine, aber stets vergebens. Er schien überhaupt nur noch zwei Wünsche in seinem Leben zu haben: den Wunderstein wieder zu finden und die Katze zu würgen.

So kam der Winter wieder und bedeckte den Fluß mit Eis. Da ging eines Tages ein Mann an das Ufer und hackte ein Loch in die Eisdecke, um Fische zu fangen. Unser Freund sah eifrig zu, und als der erste Fisch gefangen und auf das Eis gelegt worden war, sprang der Hund flink hinzu, nahm den Fisch fort und brachte ihn seinem alten Herrn, der unterdessen so arm geworden war, daß er betteln mußte. Er freute sich daher nicht wenig, daß ihm sein treuer Hund einen so schönen Fisch brachte, und machte sich sogleich daran, ihn für die Mahlzeit zuzubereiten.

Wer beschreibt aber das Erstaunen beider, als der so lang gesuchte Stein herausfiel!

Der Hund wußte sich gar nicht vor Freude zu lassen, sprang an seinem Herrn empor, leckte ihm das Gesicht und die Hände und bellte wie närrisch. Als sich ihre gemeinsame Freude etwas gelegt hatte, ging der Alte an seinen Kleiderschrank, holte seinen besten Anzug hervor, den er am vergangenen Tage bereits dem Trödler zum Kauf angeboten hatte, kleidete sich an und steckte seinen letzten Heller in die Tasche, um sich ein wenig Wein zu kaufen, wohl wissend, daß nun seine Not zu Ende sei. Unterdessen legte er den Fisch auf den Rost, damit er langsam brate, bis er von seinem Gange wieder heimkehrte; dann aßen sie ihn beide auf, und er mundete ihnen vortrefflich.

Als der Alte seinen guten Anzug wieder in den Schrank hängen wollte, sah er zu seinem höchsten Erstaunen gerade einen ebensolchen, wie er herausgenommen hatte, darin hängen und in der Tasche ein ebensolches Geldstück, wie er vorher zu sich gesteckt hatte.

Nun sah er erst ein, welchen wunderbaren Stein er besaß und daß er sich durch dessen Zauberkraft noch ganz andere Sachen, als nur Wein, verschaffen[158] konnte. Er ward immer reicher und reicher, da er jedwedes Ding, welches er besaß, verdoppeln konnte. Für seinen treuen Hund sorgte er aufs beste, und dieser hat bis an sein Ende nie eine Ratte getötet, aber auch nie eine Gelegenheit vorübergehen lassen, sich an Katzen zu rächen.

Heutigen Tages kann man noch sehen, wie die Katzen den Hunden aus dem Wege gehen, denn schon der Anblick eines Hundes erinnert die Katzen an das Abenteuer ihres Vorfahren – wie er den ganzen Tag auf dem Baume sitzen mußte und an das kalte Bad vorher.

Unwillkürlich fangen sie an zu spucken, gerade als wenn sie mit Flußwasser angefüllt wären, und dabei geht ihnen der Schwanz kerzengerade in die Höhe, eine Stellung, die sie sonst nie einnahmen, bis damals, als der Kater naß und frierend auf dem Baume saß und sich von der Sonne den Pelz trocknen ließ.


  • Literatur: H.N. Allen, Korean tales p. 40–55 = Arnous, Korea S. 53–63.

3. Visaya-Sage (Philippinen).


Einst lebte in einem Pueblo ein reicher Mann, der hatte einen Hund und eine Katze. Seine einzige Tochter, die er sehr liebte, lernte in einem Kloster in einer mehrere Meilen entfernten Stadt, und er pflegte ihr durch den Hund und die Katze wöchentlich ein kleines Geschenk zu senden. Der Hund war so alt, daß er alle Zähne verloren hatte und nicht mehr kämpfen konnte, aber die Katze war schlau und kräftig. Der Hund aber kannte den Weg besser, und so konnten sie sich gegenseitig helfen.

Eines Tages wollte der reiche Mann seiner Tochter einen Zauberring senden und rief Katze und Hund zu sich. Zur Katze sagte er: »Du bist schlau und vorsichtig. Du kannst diesen Zauberring zu meiner Tochter tragen, aber nimm ihn sorgfältig in acht.« Zum Hunde sagte er: »Geh du mit der Katze, um meiner Tochter den Ring zu bringen. Paß auf, daß ihr den Weg nicht verliert und daß niemand die Katze belästigt.« Beide Tiere versprachen, ihr Bestes zu tun, und begaben sich sogleich auf den Weg.

Unterwegs mußten sie einen breiten, tiefen Fluß durchkreuzen, über den es keine Brücke gab, und da sie kein Boot finden konnten, beschlossen sie hinüberzuschwimmen. Der Hund sagte zur Katze: »Gib mir den Zauberring.« »Nein,« sagte die Katze, »hast du nicht gehört, was der Herr jedem von uns befohlen hat?«

»Ja, aber du kannst nicht gut schwimmen und könntest den Ring verlieren,: während ich so stark bin und ihn gut tragen kann,« antwortete der Hund. Die Katze wollte nicht ihrem Herrn ungehorsam sein, aber als der Hund drohte, sie zu töten, mußte sie ihm den Ring in Verwahrung geben.

So schwammen sie über den Fluß, der war so breit, daß es eine Stunde dauerte, bis sie ihn durchkreuzt hatten, und sie wurden beide sehr müde und schwach. Gerade ehe sie das andere Ufer erreichten, ließ der Hund den. Ring ins Wasser fallen, und man konnte ihn nicht wieder finden. »Jetzt müssen wir nach Hause gehn,« sagte die Katze, »und unserm Herrn sagen, daß wir den Ring verloren haben.« »Ja,« sagte der Hund, »aber ich fürchte mich sehr.« Also kehrten sie um, aber als sie in die Nähe des Hauses kamen, überkam den Hund die Angst so sehr, daß er davonlief, und man hat ihn nicht wieder gesehen. Der Herr war sehr erstaunt, als er die Katze so bald wiederkommen sah, und fragte sie: »Wo ist dein Begleiter?« Die Katze fürchtete sich zuerst zu antworten. »Wo ist der Hund?« fragte der Herr wieder. »O, er lief fort,« sagte die Katze. »Lief fort?« rief der Herr, »was heißt das?« »Wo ist der Ring?« »O, Verzeihung, Herr,« erwiderte die Katze. »Erzürne[159] dich nicht, und ich will dir sagen, was geschah. Als wir ans Flußufer kamen, sagte der Hund, ich solle ihm den Ring geben. Ich weigerte mich lange, aber als er drohte, mich zu töten, wenn ich es nicht täte, mußte ich ihm den Ring geben. Es war sehr schwer über den Fluß zu kommen, und unterwegs ließ der Hund den Ring ins Wasser fallen, und wir konnten ihn nicht wieder finden. Ich beredete den Hund mit mir umzukehren und es dir zu sagen, aber auf dem Wege fürchtete er sich so, daß er fortlief«. – Der Herr gab darauf dem Volk eine Bekannt machung und setzte eine Belohnung aus für den, der seinen alten Hund finden und ihm bringen würde. Man sollte ihn daran erkennen, daß er alt sei und keine Zähne habe. Der Herr erklärte auch, daß, wenn er den Übeltäter wieder hätte, er ihn bestrafen würde, indem er ihm den Schwanz abschnitte. Er befahl, daß alle Hunde der Welt auf die Suche gehen sollten, und seit der Zeit fragt ein Hund den andern, wenn sie sich begegnen: »Bist du der alte Hund, der den Zauberring verlor? Wenn du es bist, wird dir der Schwanz abgeschnitten.« Dann zeigen sie sich die Zähne und wedeln mit dem Schwanze, um es zu verneinen. Seit dieser Zeit auch fürchten sich die Katzen vor dem Wasser und schwimmen nicht durch einen Fluß, wenn sie es vermeiden können.


  • Literatur: Journal of American Folklore XX, 99.

Fußnoten

1 Vgl. Aarne, Vergleichende Märchenforschungen S. 3–82, Köhler, Kleinere Schriften 1, 63. 437. 440, Bolte, Zeitschrift d. Ver. f. Volkskunde 18, 452, Jacobs, Indian Fairy Tales p. 90, Archiv f. slav. Phil. 5, 26. 19, 248 Nr. 9. Zeitschrift f. österr. Volkskunde 2, 221. 3, 189. 377. 7, 95, Erlenvejn, Narodnyja russk. skazki S. 21–24, Carnoy et Nicolaides, Traditions popul. de l'Asie mineure p. 70–74 = Etnograf. Obozrěnije 3, 1, 54 (1891), Globus 42, S. 46 (Märchen der Dajaken auf Borneo).


2 Zbornik za narodni život i običaje južnih Slavena 1, 124, deutsch in Dähnhardts Naturgeschichtl. Volksmärchen Nr. 23, 2. Auflage, unten S. 150 ff.


3 Aarne a.a.O.S. 53.


4 ebda S. 53.


5 d.h. Geschichtenbuch. Erste uns bekannte Ausg. Basel 1602, woraus Christop Helwig (Helvicus) in seinen Jüdischen Historien (Giessen, 1611 u. 1612) Teil 1, Kap. 15, das obige Märchen wiedererzählt. Freie Wiedergabe auch bei Tendlau, Fellmeiers Abende. Frankf. a.M. 1856, S. 5 ff. Über das Maase-Buch s.M. Steinschneider im Serapeum 1866, S. 1 ff., Köhler, Kl. Schr. 1, 299.


6 Gaster, Folklore 7, 232, Lévi, Revue des études juives 33, 239 (Mscr. Nr. 1466 des Kataloges von Neubauer der Bibliothek Bodleiana in Oxford), Grünbaum, Jüdischdeutsche Chrestomathie S. 385. 407.


7 Kl. Schriften 2, 335.


8 Hierzu vgl. man Grünbaum a.a.O.S. 411: »Die Hauptzüge ... sind deutschen Märchen entnommen, während die Hauptperson, R. Chanina, semitischen Ursprungs ist.«


Quelle:
Dähnhardt-Natursagen-4, S. 160.
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