Der Klosterschuhmacher

[48] Ein Schuhmacher arbeitete bei einem Kaufmann in der Stadt. Als das Osterfest vor der Tür stand, ging der Herr beichten. Machte ihn der Pope darauf aufmerksam, daß sein Arbeiter noch nicht gekommen sei.

»Bei meiner Rückkehr will ich mit ihm reden,« sprach der Meister.

Als er wieder zu Hause war, sagte er zu seinem Angestellten:

»Das Osterfest ist da; beichten mußt du und kommunizieren, wie's alle ehrenwerten Leute tun!«

– »Was erzählt Ihr mir da? Was wollen die Worte beichten und kommunizieren sagen?«

»Bist du denn ein Heide? Vernimm: beichten heißt, den Vater Beichtiger aufsuchen und ihm alle Sünden erzählen, ohne ihm eine zu verheimlichen. Kommunizieren ist: mit Erlaubnis des Priesters zugelassen werden, das Brot zu essen und den Wein zu trinken!«

»Eine schöne Sache! Habe ich die Erlaubnis irgend jemandes auf der Welt nötig, um Brot, Feigen oder Oliven zu essen und guten oder schlechten Wein je nach Stand meiner Börse zu trinken? Lustig macht Ihr Euch über mich!«[49]

»Armer Unwissender! Aus deinen Gotteslästerungen entnehme ich, daß du rein gar nichts von den heiligen Übungen der Religion weißt. So höre mir denn zu. Das Brot und der Wein des Priesters sind nicht das Brot, an dem du dich satt ißt und der Wein, den du zu dir nimmst. Unter ihrer Gestalt werden wir des Leibes und selbst des Blutes unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi teilhaftig!«

»Wiewohl ich solch große Dinge nicht verstehe, will ich sie doch versuchen. Auch ich will beichten und kommunizieren. Und ohne zu zaudern laufe ich spornstreichs zum Popen.«

Unser Schuster begibt sich zum Priester und klagt sich, wie man's ihm gesagt hat, aller seiner Sünden an, großer, kleinerer und mittlerer, ohne eine fortzulassen, was gut eine Stunde dauert. Der Priester ist außer sich darüber. Nimmer hat er eine solche Beichte gehört. Spricht er zum Schuhmacher: »Mein Sohn, ich kann dir nicht erlauben unter der Gestalt von Brot und Wein zu kommunizieren. Deine Sünden schreien zuerst nach einer strengen Strafe. Du wirst die Stadt verlassen und in die Wüste ziehen.«

»In die Wüste?«

»Ja, wie die Einsiedler von ehedem, die als eingefleischte Diebe, elende Wichte, Völler und Trunkenbolde in der Einsamkeit die Kraft fanden, ihre Laster abzulegen und es verdienten an Seiten der größten Heiligen Platz zu nehmen.«[50]

»Ich gestehe, mein Vater, daß ich kein Verlangen nach einem so erhabenen Platze im Himmel verspüre. Ich bin nur ein armer Schustersmann.«

– »Gott fragt nicht nach dem Range, den seine Erwählten auf Erden eingenommen haben. Du sollst in die Wüste gehn. Und dort drei Jahre lang, drei Jahre, hörst du wohl, dich all dessen enthalten, was du gern gehabt hast, Brot, Fleisch und den Wein« ...

Fragt der Schuster, indem er ein Gesicht schneidet: »Ist das alles?«

»Du sollst dich auch in keinen Handel mit Weibern einlassen« ...

»Wozu das noch? In der Wüste, glaube ich, werden nicht viele Frauen vorhanden sein!«

»Am Ende dieser drei Jahre sollen dir deine Sünden vergeben werden. Ist diese Zeit der Prüfung vorbei, sollst du zugelassen werden, den Leib zu essen und das göttliche Blut Christi zu trinken.«

Der Schuster bedauerte es, zur Beichte gekommen zu sein; da er sich schließlich die Suppe eingebrockt hatte, mußte er sie auch ausessen.

Er zog also seine Straße in die Wüste, allwo er nach einer langen Reise ankam.

Dann lebte er das Leben der Einsiedler. Stückweise fielen seine Kleider von ihm ab. Er lebte ein bißchen wie Adam vor dem Sündenfalle. Nährte sich von Kräutern und bittrem Wurzelwerk, trank brachiges Wasser aus den spärlichen Quellen. Bald schien es, als ob seine[51] Knochen die Haut durchbohren und seinen armen abgezehrten Leib verlassen wollten.

Er schritt vor- und rückwärts, nach links und nach rechts, nimmer einer lebenden Seele begegnend.

Also verstrich ein Jahr. Solange bis der Schuster eines Tages unter den Tagen einen abschüssigen Weg fand, der ihn nach einem Kloster führte, wo dreihundertundsechzig junge Mädchen lebten, alle aus königlichem Blute entsprossen und eine immer schöner denn die andere.

Es ward das Kloster aber von einigen hundert Soldaten bewacht, welche den Befehl hatten, kein männliches Lebewesen, sei es ein Tier des Waldes oder ein Vogel der Luft, nahe kommen zu lassen.

Eben noch konnte er den Graben erreichen, der das Kloster umgab. Dort fiel er von Mattigkeit überwältigt nieder und schlief ein.

Als die Sonne hochstieg, öffnete des Klosters Oberin ihr Fenster. Zu ihrer Zerstreuung sich hinausbeugend, erblickte sie den Schuster, der mutternackt wenige Schritte von ihr schlief. Schnell griff sie nach einem Mantel und ging, um ihn über den Schläfer auszubreiten, der aber erwachte und sie ließ ihn in ihr Gemach treten.

Wollet nicht glauben, daß die Oberin aus Barmherzigkeit dem Einsiedler einen solchen Empfang bereitete!

Sie fing damit an, dem armen Sünder ein mit Wohlgerüchen[52] gesättigtes Bad zu bereiten, dessen er gar sehr bedurfte. Dann bedeckte sie ihn mit schönen Seidengewändern und bereitete ihm ein Mahl.

Sprach sie zu ihm: »Mein Freund, hier ist Brot vom feinsten Weizen; esset davon, um wieder zu Kräften zu kommen.«

»Wehe, mein Beichtiger hat mir verboten Brot zu essen.«

»Verboten Brot zu essen? Aber dies ist ja kein Brot, es ist ›Opfergabe‹!«

»Wenn es also ist, werd' ich die Opfergabe mit lebhaftem Vergnügen essen. Das wird mich das wilde Wurzelwerk vergessen machen, an welches ich mich hatte gewöhnen müssen.«

Der Schuster aß mehrere Brote, ohne sich sättigen zu können. Dann bot ihm das junge Weib Fleisch an.

»Mein Beichtiger hat's mir verboten!«

– »Aber, mein Freund, es ist kein Fleisch, das ich Euch gebe: gebratene Tauben sind's!«

»Wenn es Tauben sind, will ich sie mit Freuden annehmen.«

Und er verschlang die Tauben.

»Halt, mein Freund, trinkt diese kräftigende Flüssigkeit!«

»Ist's nicht Wein?«

»Aber nein, es ist Rosinentrank.«

»Das Getränk ist mir nicht verboten,« rief freudig der Schuster aus.[53]

Und er trank mehrere Flaschen dieses königlichen Weins.

Diese ausgezeichnete Kost und alle die Freundlichkeiten, mit denen die Oberin ihn überschüttete, bewirkten bald, daß der Einsiedler seine frischen Farben und seine Leibesfülle wiederbekam.

So rief ihn denn eines Abends das gute junge Mädchen und sprach zu ihm:

»Kommt doch, mein lieber Freund, und haltet mir Gesellschaft im Bette. Wir können dort sehr wohl von Euch, Euren Leuten und von Eurem Lande plaudern.«

»Mit dem größten Vergnügen würde ich bei Euch liegen, doch mein Beichtiger hat's mir verboten.«

»Bin kein Weib, mein Freund, bin eine Klosterfrau. Hat Euch denn Euer Beichtvater verboten, bei einer Klosterfrau zu schlafen?«

»Davon hat er mir nicht gesprochen.«

»Nun, dann hindert Euch auch nichts daran.«

Da sein Gewissen in dieser Hinsicht ruhig schlagen konnte, lag der Sünder bald bei der Oberin. Und alsbald war er auch ihr Gast. Und bis zum Morgen dachte er nicht ans Einschlafen, die Schöne aber hielt es nicht für nötig, ihn bei den entzückenden Kämpfen aufzuhalten, die er mit ihr kämpfte. Niemals war der Schuster auf einem ähnlichen Feste gewesen. Nimmer hatte er seinen Bruder Springinsfeld in eine so schöne Behausung geführt. Auch ließ es sich dieser Teufelskerl nicht nehmen, den königlichen Palast zu besuchen[54] und benahm sich dort tapferer als in den armseligen alten Gemäuern, wohin man ihn früher nur zu oft gezerrt hatte. Dem jungen Mädchen aber bereitete der Verlust der Jungfernschaft den allerletzten Kummer.

Geschah es nun eines Tages, daß eine der dreihundertneunundfünfzig frommen Frauen bemerkte, daß die Oberin einen gar schönen jungen Mann in ihrer Kammer hatte.

Sie aber teilte ihre Entdeckung den Prinzessinnen, ihren Schwestern, mit, welche sich zu ihrer Oberin begaben.

Sprachen sie: »Ein Mann ist bei dir. Entweder ist er für uns alle zusammen da, oder wir wollen es dem Könige bei seinem nächsten Besuche melden.«

Sehr zu ihrer Betrübnis, denn sie wußte, was sie damit verlor, willigte die Oberin darein, ihn mit ihren Schwestern zu teilen.

Und so ist denn unser Schuster ohne Nebenbuhler Herr und Meister eines Harims von dreihundertundsechzig jungen Mädchen, die alle schön wie der Tag sind und jungfräulich.

Dem Büßer fehlte es nicht an Arbeit. Doch reichte man ihm gar gute Kost, gar gute Weine und guten Rakhi. Dank seinem so kräftigen Ackermännlein hatte er am Ende von einigen Monaten das brachliegende Land urbar gemacht. Es gab keine Jungfrau mehr im Kloster. Durch ein unerklärliches Vorgehen sahen[55] all die jungen Klosterfrauen ihren Umfang sich runden. Die Unschuldslämmer schrieben dies Ergebnis den paradiesischen Freuden zu, deren sie bei dem Büßer genossen. Einige behaupteten, daß das Pflanzholz des Einsiedlers besondere Tugenden besitze.

Die Zeit kam heran, wo der König seine Töchter besuchen mußte. Der Schuster war davon in Kenntnis gesetzt worden. Da er überrascht zu werden fürchtete, faßte der frühere Einsiedler den Plan, aus dem Kloster zu fliehen, nicht ohne die köstlichen Diamanten mitzunehmen, die ihm die Prinzessinnen als Geschenke gegeben hatten.

An einem hohen Festtage, als die Klosterfrauen nächtlichen Gottesdienst abhielten, konnte er das Kloster verlassen, ohne bemerkt zu werden.

Er kehrte in die Wüste zurück und, sich nach dem Mond und den Sternen zurechtfindend, alle Arten von Entbehrungen prüfend, kam er, wieder der magere und nackte Einsiedler von ehemals geworden, in der Stadt an und suchte den Vater Beichtiger auf:

»Öffnet mir, mein Vater!«

»Wer bist du?«

»Der Schuster, welchen Ihr um seiner Buße willen in die Wüste gesandt habt. Die drei Jahre sind verstrichen und hier bin ich!«

Der Seelenhirt macht auf. Ein Wesen sah er, dessen Bart und Haare waren wie die des Teufels und dessen Körper ganz schwarz war. Er glaubte, es[56] wäre der Satan und schlug ihm die Türe vor der Nase zu.

Der Schuster aber kauerte sich vor der Türe hin und schlief ohne Zaudern ein.

Folgenden Morgens konnte er bei dem Beichtiger Eintritt finden, da der ihn wiedererkannte.

»Bist du drei Jahre in der Wüste gewesen?«

»Drei Jahre über war ich dort.«

»Hast du Brot gegessen?«

»Ich hab' mich nur von Kräutern, Wurzeln und Opfergaben genährt.«

»Hast du Fleisch gegessen?«

»Habe nur Tauben gegessen.«

»Hast du Wein getrunken?«

»Habe nur Rosinensaft getrunken.«

»Hast du keinen Handel mit einer Frau gehabt?«

»Niemals mit einer Frau, aber mit dreihundertsechzig Klosterschwestern.«

»O über den Verwünschten, den Fresser, den Trunkenbold, den Hurer! Fürchtest du denn unsern Herrn und Heiland nicht? Weißt du nicht, daß die Klosterfrauen Jesu Christi Schwestern sind? Niemals werden dir deine Sünden vergeben werden. Hebe dich weg von mir, Verfluchter!«

»Ach, Jesu Christi Schwestern sind die frommen Frauen? Meiner Treu, ich werde sie wieder aufsuchen. Wenn Jesus Christus mein Schwager ist, was bedarf ich da deiner Vergebung, du Hurensohn? Immer werd'[57] ich tausendmal mächtiger als du sein! Deine Salbadereien und deine Verwünschungen belustigen mich nur. Leb wohl!«

Und nach solcher Rede schlug der Schuster den Weg in die Wüste ein und suchte eilends Jesu Christi Schwestern wieder auf, welche ihn wie den verlorenen Sohn aufnahmen und zu seiner Ehre mehr denn ein fettes Kalb schlachteten.

Quelle:
[Hansmann, Paul] (Hg.): Schwänke vom Bosporus. Berlin: Hyperionverlag, [1918], S. 48-58.
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