[121] 27. Die zwei Schwestern.

In einem Dorfe lebte eine Frau, welche bei den Nachbarn wegen ihres Stolzes und ihrer Hartherzigkeit wenig beliebt war. Sie hatte zwei Töchter, von denen die ältere ganz der Mutter glich, die jüngere aber durch Einfachheit. Güte und Dienstfertigkeit die allgemeine Liebe der Dorfbewohner genoß; nur die Neigung ihrer Mutter und Schwester konnte sie nicht erlangen. Um sie los zu werden, schickte sie die Mutter in fremden Dienst. Trotz der Leiden, welche sie in ihrem Vaterhause erlitten, war es ihr nicht so leicht, sich von ihren Verwandten zu trennen; als sie aber sah, daß durch ihr Flehen der Entschluß der harten Mutter nicht geändert ward und sie dabei noch Spott von ihrer prunksüchtigen Schwester zu erdulden hatte, nahm sie ihr Bündel und ging schluchzend und weinend fort.

Da kam die Wandernde an einem Backofen vorüber, welcher ganz zersprungen und zerfallen war. Gewohnt derlei Schaden zu Hause selbst auszubessern, holte sie Lehm aus einer Grube und verschmierte die Löcher des Ofens und ging erst weiter, als der Backofen hergestellt war. Dann kam sie zu einem Brunnen, dessen Mündung ganz verstopft war. Sie machte sich sogleich an die Arbeit, räumte und besserte den ganzen Brunnen aus, so daß wieder Wasser in Überfluß aus demselben hervorquoll. Sie ging weiter und kam zu einem Birnbaume, um dessen Wurzel das von der Hitze ausgetrocknete Erdreich ganz aufgesprungen war und dessen Blätter verdorret[121] abfielen. Sie bedeckte die Wurzeln mit Erde, holte aus dem nächstliegenden Teiche Wasser und begoß die Wurzeln. Dasselbe that sie bei einem nahestehenden Apfelbaum. Auf ihrer weiteren Wanderung kam sie endlich zu einer Hütte, in welcher ein altes Mütterchen sich befand. Das Mädchen fragte, ob sie nicht da dienen könnte. Die Alte meinte nach einigem Besinnen, ja, aber nur unter der Bedingung, daß sie die Töpfe, die in ihrem Zimmer stünden, nie berührte; ferner müsse sie den leichten Staub in einer alten, den unter dem leichten Staube liegenden, also gröberen, in einer neuen Kiste aufbewahren. Das arme Mädchen trat in den Dienst, bekam aber nur wenig zu essen und theilte auch dieses wenige mit einem Hündchen und mit einer Katze, welche ihr die Alte zur Bewahrung und Pflege übergeben hatte. Bald hatte das Mädchen durch Aufmerksamkeit und Fleiß das Vertrauen und durch sorgsame und liebevolle Pflege die Anhänglichkeit der beiden Tiere erworben, so daß die Alte ihr auf einige Zeit die Obsorge des Hauswesens zu übertragen und eine kleine Reise zu unternehmen beschloß.

In der ersten Nacht hörte das Mädchen an der Thüre ein Gekratze und ein Geschrei, so daß sie, als der Lärm nicht aufhören wollte, nicht wußte, ob sie aufmachen sollte oder nicht. In ihrer Angst fragte sie die beiden Thiere, die durch Gebärden gegen das Öffnen der Thüre waren. Nach 1 Uhr Nachts verlor sich plötzlich der Lärm und nun war es wieder ruhig. Dieser Lärm wiederholte sich ein Jahr lang allnächtlich, und da die Alte nicht mehr zurückkehrte, beschloß sie, zu ihrer Mutter nach Hause zu gehen; aber das Hündchen sowohl als das Kätzchen suchten sie an der Ausführung dieses Vorsatzes zu hindern und wollten nicht mitgehen. Sie entschloß sich also, noch im Hause zu bleiben.

Da kam eines Tages die Alte, welche nicht wenig erfreut war über die Ordnung, mit welcher das Mädchen die Wirtschaft treu geführt hatte, und fragte sie, ob sie noch länger[122] dienen, oder ob sie zu ihrer Mutter zurückkehren wolle. Sie wählte das letztere und packte ihren Bündel zusammen. Da führte sie die Alte in die Kammer, wo die Töpfe stunden und sprach: »Ich kann dir nichts geben, als das was du dir gesammelt hast; sieh her, hier sind die zwei Kisten, wähle dir entweder die alte oder die neue.« Sie nahm die alte Kiste, indem sie meinte, es sei alles eins, ob man die eine oder die andere nehme, es sei ja doch in keiner etwas anderes als Staub und Unrath. Während die Alte hinausging, lüftete sie aus Neugierde die Töpfe und aus demselben flogen arme Seelen, dem Mädchen freudig dankend, heraus; sie deckte schnell wieder alle Töpfe zu, nahm das Hündchen, das Kätzchen und die Kiste mit und ging fort. Die Alte, welche nach ihrer Abreise die Lüftung der Töpfe bemerkte, eilte ihr nach, und als sie ihr bereits sehr nahe war, öffnete sich plötzlich zwischen ihr und dem Mädchen eine unübersteigliche Schlucht. Die Alte eilte auf Umwegen dem Mädchen nach; noch einmal holte sie dasselbe ein, doch als sie abermals durch ein undurchdringliches Gebüsch verhindert war, ihm nachzukommen, kehrte sie erschöpft zurück und ließ von der weiteren Verfolgung ab.

Das Mädchen kam nun im Rückwege zu den Brunnen, und sprach: »Brünnchen, ich habe dich ausgebessert, du könntest mir Wasser geben«; da quoll aus dem Brunnen purer Wein und sie trank mit vollen Zügen; dann füllte sie sich noch ihre Feldflasche, welche sie dem Hündchen anhing. Gestärkt ging sie weiter, da kam sie zu dem Apfelbaum; dieser war voll schöner Früchte, sie sprach zu demselben: »Bäumchen, ich habe dich gepflegt, gib mir Äpfel.« Da entstand ein Wind und die schönsten Früchte des Baumes fielen herab; einige aß sie, die andern that sie in die Kiste und ging fort. Nach kurzer Zeit kam sie bei dem Backofen an, der noch unbeschädigt und schön geformt da stand und in welchem es zu brennen schien. Sie wünschte sich Braten, Backwerk und[123] dergleichen. Was sie gewünscht, lag bald vor ihren erfreuten Blicken, und als sie, das Hündchen und die Katze sich satt gegessen hatten, nahm sie noch mehreres mit und ging geradesweges in ihr Vaterhaus.

Als sie ankam und alles erzählte, was ihr widerfahren war, und was sie als Lohn für ihre treuen Dienste bekommen hatte, da lachte ihre Mutter und ihre Schwester und sagten, sie möchte ihnen doch den Staub zeigen. Da machte sie die Kiste auf, und zum Erstaunen aller war nichts als eitel Gold und Silber darinnen. Die Birnen, Äpfel, Kuchen, alles war Gold. Aber bald klärte sich dieses Räthsel auf; der Hund war ein verwunschener Prinz und die Katze war die verzauberte Schwester desselben. Der Prinz vermählte sich mit dem Mädchen, und die Schwester hatte seit langer Zeit schon einen Bräutigam in der Heimat; und nun fuhren sie unter dem Jubel des Volkes in die Hauptstadt des Reiches zu den überglücklichen Eltern.

Voll Neid über das Glück dieser Tochter schickte die Mutter nun auch ihren Liebling in die Welt, damit sie sich auf gleiche Art Schätze und Glück suche. Diese ging denselben Weg, welchen früher die Schwester gemacht hatte. Als sie aber zum Backofen kam, war dieser zerfallen; sie bemühte sich nicht, denselben mit Lehm zu verputzen, wie es ihre Schwester gethan hatte, sondern ging fort; ebenso that sie es beim Apfel- und Birnbaume und beim Brunnen. Endlich kam sie bei der Alten an, diese nahm sie in ihren Dienst und befahl ihr dasselbe zu thun, was ihre Schwester gethan, und übergab ihr ebenfalls ein Hündchen und ein Kätzchen. Diese armen Thiere bekamen jedoch trotz ihres Schmeichelns und Bittens von dem hartherzigen Mädchen nichts zu essen. Mit dem Reinigen der Zimmer nahm sie es nicht so genau, und den Unrath warf sie einmal fort, das andere Mal in die Kiste, so daß die Alte mit dem Mädchen nicht zufrieden war und ihr daher auch die Hütung des Hauses nicht übergeben konnte.[124] Eines Tages sagte die Alte zu dem Mädchen, indem sie dieselbe zu den Kisten hinführte: »Hier nimm dir, was du gesammelt hast, entweder die alte oder die neue Kiste.« Das Mädchen nahm die neue Kiste und ging sammt dem Kätzchen und dem Hündchen fort. Als sie zum Brunnen kam, sagte sie: »Brunnen gib mir Wein.« Doch aus dem Brunnen kam nichts als schlammiges Wasser; sie füllte einige Flaschen mit demselben, indem sie meinte, es werde schon Wein daraus werden, wenn sie nur zur Mutter käme. Dann ging sie fort und kam zu dem Apfelbaume; da fielen von demselben steinichte Äpfel und bei dem Birnbaume eben solche Birnen, doch hegte sie noch immer die Hoffnung, alles werde zu Gold werden. Nun kam sie zu dem Backofen, wo ihr schon ihre Mutter entgegen kam; in demselben brannte es tüchtig und schon schwelgte sie im Genüsse der anzuhoffenden Leckerbissen und verlangte von dem Backofen Braten und Backwerk. Auch öffnete sie jetzt voll Neugierde die Kiste, in dieser aber wimmelte es von Teufelchen und Berggeistern; der Hund und die Katze verwandelten sich ebenfalls in Teufel und halfen den andern Brüdern, die hartherzige, eitle und träge Tochter in den Backofen werfen.

So verschieden war das Schicksal zweier Schwestern, die zwar auf demselben Wege, aber in ganz verschiedener Weise ihr Glück suchten.[125]


27. Die zwei Schwestern
Quelle:
Vernaleken, Theodor: Kinder- und Hausmärchen dem Volke treu nacherzählt. 3.Auflage, Wien/Leipzig, 1896 (Nachdruck Hildesheim: Olms, 1980), S. 121-126.
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