[179] 41. Herr Kluck.

Einst wanderten zwei Brüder durch einen großen Wald, und da gesellte sich noch ein Reisender zu ihnen. Die drei wurden warm und beschlossen, sich nicht voneinander zu trennen und nur in jener Stadt zu bleiben, wo alle drei Arbeit finden würden. Weil sie aber in keiner Stadt alle zugleich beschäftigt werden konnten, so reisten sie immer wieder weiter. Durch das viele Reisen ging aber ihr Geld zu Ende, und die Zehrpfennige langten nicht mehr. Einmal hatten sie nichts mehr als ein Stück Brot. Da es zum Theilen zu klein war, so sprach der ältere Bruder, der Hans hieß, zu den andern: »Wer heint den schönsten Traum hat, der darf das ganze Stück Brot allein verzehren.« Der Vorschlag ward angenommen, und da es schon Abend war, legten sie sich hungrig im Walde nieder. Als die zwei Brüder eingeschlafen waren, verzehrte der dritte das Stück Brot, legte sich dann nieder und schlief ebenfalls ein. Am andern Morgen, als sie erwachten, sagte Hans: »Mir träumte heint, daß ich im Paradiese war, dort konnte ich essen und trinken, was ich nur wünschte.« Darauf sprach der jüngere Bruder: »Mir aber träumte, daß ich im Himmel war, dort hatte ich alles im Überflusse und wurde auf das beste bedient.« Da sagte der dritte: »Weil ich wußte, daß du im Paradiese und du im Himmel warst, wo ihr alles im Uberflusse hattet, so verzehrte ich das Stück Brot, denn ich bin hier hungrig im Walde gelegen.« Darüber wurden die zwei Brüder sehr[179] zornig, und nachdem sie eine Weile gestritten hatten, setzten sie ihre Reise wieder fort. Erst in der nächsten Herberge stillten sie ihren Hunger. Da geschah es, daß sie mit Räubern in einen Streit geriethen, wobei der dritte sein Leben verlor. Die zwei Brüder nahmen dann Reißaus und versteckten sich in einem dichten Gebüsche, in welchem sie die ganze Nacht zubrachten.

Am andern Morgen reisten beide wieder weiter und waren über den Verlust ihres Reisegefährten sehr betrübt. Alsbald kamen sie zu einem Schlosse. Hungrig und müde waren sie wohl beide, aber keiner getraute sich in das Schloß hinein, denn sie dachten, es könnte ihnen hier ebenso gehen, wie in der Räuberhütte. Endlich beschloß Hans es zu wagen und ging hinein. Da es ihm hier ganz unverdächtig vorkam, kehrte er wieder zurück und nahm seinen Bruder mit sich. Sie gingen nun im ganzen Schlosse umher und besahen sich alles. Zuletzt kamen sie in einen großen Saal, in dessen Mitte ein Tisch stand. In einer Ecke des Saales befand sich ein Kasten, dessen Lade offen war und mit Papieren angefüllt. Hans durchsuchte die Schriften und fand ein Blatt Papier, auf welchem die zwei Worte »Herr Kluck« geschrieben stunden. Sobald er diesen Namen ausgesprochen hatte, erschien ein Männchen, welches ganz schwarz gekleidet war und das ihn fragte, was er wünsche. Die zwei Brüder waren ganz erschrocken und wollten zur Thür hinaus, aber das Männchen sagte: »Begehret nur, was ihr wollet, ich werde es euch besorgen.« Endlich verlangten sie zu essen und zu trinken.

Nachdem sie sich wieder gestärkt hatten und niemand eine Bezahlung forderte, die sie ohnehin nicht hätten leisten können, so machten sie sich wieder auf den Weg. Bald kamen sie auf ein Feld, welches eben ein Landmann bebaute, und weil sie über dasselbe gingen, ohne die frischgestreute Saat zu beachten, wurden sie von dem Bauer so durchgeprügelt, daß[180] sie ganz ermattet unter einem Baume niedersanken. Plötzlich griff Hans in seine Tasche und zog ein Blatt Papier hervor. Es war dasselbe Blatt, auf welchem die Worte »Herr Kluck« geschrieben waren.

Er hatte es nämlich, als das schwarze Männchen eintrat, in die Tasche gesteckt. Sobald er den Namen wieder gelesen hatte, stand das schwarze Männchen vor ihm und fragte nach seinem Begehren. Jetzt wußte Hans die Bedeutung der geheimnisvollen Worte und freute sich innerlich darüber, daß das Männchen so pünktlich erscheine. Weil sie der Bauer so erbärmlich geschlagen hatte, so ließen sie ihm durch das Männchen dieselbe Tracht Prügel geben. Mit dem nicht genug; der jüngere Bruder wollte nun auch von dem Männchen beschenkt sein und begehrte einen Beutel mit Gold. Und als er denselben erhalten hatte, nahm er von seinem Bruder Abschied und reiste in seine Heimat zurück. Hans aber setzte seine Reise fort und kam in eine große Stadt, welche von fremden Rittern wimmelte, so daß alle Gasthöfe und Herbergen besetzt waren. In der ganzen Stadt war für Hans keine Wohnung zu bekommen, bis auf ein kleines Bodenzimmer bei einem Wirte, das er mietete. Er fragte den Wirt, warum sich so viele Fremde in der Stadt aufhielten, und dieser theilte ihm mit, daß der alte König demjenigen seine Tochter zur Frau gebe, welcher ihm drei Aufgaben lösen würde, und zwar galt es, erstens einen goldenen Fingerring, der an einem Faden befestiget war, im Vorüberreiten mit der Lanze aufzufangen; zweitens einen goldenen Apfel im Vorüberreiten mit der Lanze aufzuspießen, und die dritte Aufgabe war, einen Sklaven des Königs zu besiegen, welcher als der stärkste im ganzen Lande bekannt war und den noch niemand überwunden hatte.

Hans hatte den kühnen Gedanken, an dem Turniere Theil zu nehmen, weshalb er das Männchen zu sich rief und dasselbe um Rath fragte. Herr Kluck versprach ihm, am nächsten[181] Tage einen Rappen sammt Rüstung an einen bestimmten Ort in den Wald zu bringen und nach dem Turnier wolle er dasselbe dort wieder in Empfang nehmen. Des andern Tages, als er an die bezeichnete Stelle im Walde kam, war schon alles in Bereitschaft. Er legte die Rüstung an, setzte sich auf's Pferd und ritt dem Turnierplatze zu. Dort angekommen, machten ihm alle Fremden ehrerbietig Platz, denn sie kannten den fremden Ritter nicht; auch hatte er die schönste Rüstung und das schönste Pferd unter allen anwesenden Rittern. Als das Zeichen zum Beginne gegeben ward, blieb er bis ganz zuletzt. Alle Ritter hatten schon versucht, den Ring aufzufangen, aber vergebens; endlich kam die Reihe an ihn. Hans sprengte mit seinem feurigen Rosse auf den Platz und fing beim ersten Stoße den Ring auf. In demselben Augenblicke erhoben die Anwesenden ein Jubelgeschrei und führten ihn vor die Königstochter, welche ihm den Ring an den Finger steckte.

Dann ritten sie der Stadt zu. Als sie schon beim Stadtthore angekommen waren, lenkte Ritter Hans sein Pferd seitwärts und ritt davon. Im Walde angekommen, übergab er dem Männchen die Rüstung und das Pferd, und befahl ihm am folgenden Tage, an welchem die zweite Aufgabe gelöst werden sollte, ein anderes Pferd und eine andere Rüstung zu bringen.

Am nächsten Morgen, als er in den Wald kam, wartete bereits das Männchen, welches ihm eine silberne Rüstung und ein braunes Pferd gebracht hatte.

Er ritt dem Turnierplatze zu, und von weitem schon wichen ihm alle ehrfurchtsvoll aus, denn abermals erkannten sie den Ritter mit der silbernen Rüstung nicht. Auch dießmal siegte er und ritt wieder davon. Es wurden ihm zwar Reiter nachgeschickt, aber diese konnten ihn nicht mehr einholen. Als er im Walde wieder angekommen war, übergab er dem Männchen die Rüstung und das Pferd und befahl ihm, des andern Tages wieder eine andere Rüstung und ein anderes Pferd[182] zu bringen, um die dritte und letzte Aufgabe lösen zu können. Den andern Tag brachte ihm Herr Kluck eine goldene Rüstung und einen Schimmel. Als er dießmal auf dem Turnierplatze erschien, erregte er noch mehr Aufsehen als vorher, ward jedoch wieder nicht erkannt. Er besiegte auch den starken Sklaven des Königs und ritt davon. Ein Trupp Reiter jagte ihm nach und ein Soldat stieß ihm die Lanze in die Ferse. Es mußte dieß geschehen, weil der alte König, welcher krank war und dem Turniere nicht beiwohnen konnte, befohlen hatte, ihm den Ritter lebend oder tot zu bringen. Allein er kam auch dießmal noch davon und übergab dem Männchen die Rüstung und das Pferd. In der Herberge verband er sich die Wunde, und auf die Frage des Wirtes, was er am Fuße habe, antwortete er, es habe ihm der Schuh eine Wunde gedrückt, und der Wirt begnügte sich mit dieser Ausrede.

Als die Ritter wieder ohne den Fremden ankamen, ward der alte König zornig und ließ Boten durch die ganze Stadt schicken, um den verwundeten Ritter aufzusuchen. Die befehligten Soldaten hatten schon die ganze Stadt durchsucht und nichts gefunden.

Die Herberge, in der sich Hans befand, war das letzte Haus, und die Boten wollten wieder umkehren, denn sie dachten sich, daß in dieser Hütte kein so vornehmer Ritter einkehren würde. Einer jedoch ging in's Haus hinein und rief auch die andern, um dasselbe zu durchsuchen, damit sie sich keinen Vorwurf zu machen hätten, den Befehl des Königs nicht pünktlich vollzogen zu haben.

Sie hatten schon alles durchsucht und nichts gefunden, deshalb fragten sie den Wirt, ob er niemanden im Hause habe. Dieser aber antwortete, er habe niemanden bei sich, nur auf dem Bodenzimmer sei ein armer Reisender, der werde es gewiß nicht sein. Der Wirt mußte sie hinaufführen, und als sie den Hans mit dem eingebundenen Fuße sahen, fragten[183] sie ihn, was er am Fuße habe. Hans antwortete ihnen ebenfalls, daß ihm der Schuh eine Wunde verursacht habe.

Aber das half nichts, er mußte seine Wunde sehen lassen, obwohl er sich dagegen sträubte.

Sie erkannten gleich, daß die Wunde von der Lanze herrühre und führten ihn vor den König. Der war darüber sehr erfreut und mußte nun sein Versprechen halten.

Des andern Tages ward die Hochzeit gefeiert und Hans war nun der junge König. Am Abend rief er das Männlein zu sich und fragte dasselbe, ob er ihm nicht einen neuen Palast bauen könne? Herr Kluck bejahte es und versprach noch in dieser Nacht denselben zu Stande zu bringen. Tags darauf, in aller Frühe, stand ein großer Palast vor dem Schlosse des alten Königs, wie noch niemand einen solchen gesehen hatten. Die Leute stunden umher und betrachteten denselben, und nach einiger Zeit entstand unter dem Volke ein solcher Jubel, daß der alte König erwachte und zum Fenster hinausblickte. Er war ganz erstaunt und fragte seinen Nachfolger, woher der Palast so plötzlich komme. »Ich habe ihn die vergangene Nacht erbauen lassen«, erwiederte er, und der alte König wußte sich vor Staunen nicht zu fassen.

Der junge König und seine Gemahlin bezogen noch denselben Tag die neue Burg. Am Abend kam Herr Kluck und bat um das Zettelchen, auf dem sein Name stehe. Der junge König gab es ihm und dachte, jetzt bedürfe er dessen nicht mehr, da er schon die höchste Stufe erreicht habe. Hierauf begab sich das junge Ehepaar zur Ruhe. Am andern Morgen lagen sie auf offener Straße, und der Palast war verschwunden. Hans hatte also mit jenem Zettel seine Macht aus der Hand gegeben.

Als die Leute das königliche Ehepaar auf offener Straße schlafend fanden, erhoben sie ein so lautes Gelächter, daß der alte König erwachte und aus dem Fenster auf die Straße hinab sah. Da er den Gegenstand des öffentlichen Spottes[184] sah, ward er zornig, ließ den jungen König binden und ihn in den Wald in einen Ameisenhaufen werfen. Während nun Hans eine Weile gebunden da lag, hörte er das Knallen einer Peitsche; es kam immer näher, endlich erblickte er drei große Wagen, welche mit zerrissenen Schuhen beladen waren, und neben dem ersten Wagen schritt Herr Kluck stolz einher. Als er vor dem unglücklichen Könige anlangte, rief ihn dieser an, er möchte ihn doch aus dem Ameisenhaufen befreien. Jener aber schüttelte den Kopf und sprach: »Ich habe dir schon viel gethan und dich immer bedient, jetzt hilf dir selbst! Sieh, diese Schuhe, womit drei Wagen beladen sind, habe ich alle deinetwegen zerrissen.« Der arme König ließ nicht ab zu bitten und sagte: »Laß mich doch noch einmal das Zettelchen küssen, bevor ich sterbe.« »Das kann ich dir schon gewähren«, entgegnete Herr Kluck und reichte ihm das Zettelchen zum Munde. Hans aber, anstatt es zu küssen, faßte es mit den Zähnen, und rief: »Herr Kluck!« Und von demselben Augenblicke an war das Männlein wieder in seiner Gewalt und mußte nach seiner Pfeife tanzen.

Hans befahl nun, ihn zu befreien und ihm Kleider zu bringen. Auch mußte er ihm ein Heer sammeln, mit welchem er auf die Stadt losmarschierte, sie belagerte und erstürmte. Der alte König ward gefangen und mußte ihm die junge Gemahlin herausgeben.

Der junge König ließ sich nun wieder einen Palast bauen, an der Stelle, wo der frühere gestanden. Als er fertig war, rief er das Männlein zu sich und übergab ihm freiwillig sein Zettelchen, mit der Bedingung, ihn nie wieder in seinem Glücke zu stören. Herr Kluck, der niemand anderer war als der Teufel, versprach es, und Hans lebte mit seiner Frau noch lange in ungestörtem Glücke.[185]

Quelle:
Vernaleken, Theodor: Kinder- und Hausmärchen dem Volke treu nacherzählt. 3.Auflage, Wien/Leipzig, 1896 (Nachdruck Hildesheim: Olms, 1980), S. 179-186.
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