[265] 55. Der Brautwerber.

Es war einmal ein König, der hatte eine sehr schöne Tochter. Als sie heiratsfähig war, sandte er Boten durch das Land, welche verkündeten, daß nur der die Prinzessin bekomme, welcher die von ihr vorgelegten Fragen beantworten werde. Es versuchten nun viele ihr Glück, aber keiner konnte die Fragen beantworten. Da lebte in einem Dorfe ein Bauer, der hatte drei Söhne. Zwei davon waren weit und breit berühmt wegen ihrer Klugheit; sie gingen beide im Vertrauen auf ihren Verstand in das Schloß, aber sie mußten unverrichteter Sache wieder abziehen. Der dritte von den drei Bauernsöhnen war äußerst blöde. Dieser wollte nun auch in das Schloß gehen; alle vernünftigen Vorstellungen fruchteten nichts, und endlich entschloß sich der Vater mit ihm zu gehen.

Als sie auf dem Felde waren, sah der blöde Hans einen Nagel. »Den Nagel«, sagte er, »kann man brauchen« und steckte ihn in die Tasche. Bald darauf fand er ein Ei; dieß steckte er ebenfalls zu sich. Der Vater ärgerte sich über das Treiben seines »Buben«, und drohte, er werde ihn durchprügeln. Hans kehrte sich aber nicht daran und ging seines Weges. Als sie schon im Schlosse waren, sagte er: »Vater, mir ist was vonnöthen!« »Dummkopf«, sagte der Vater, »wir werden aus dem Schlosse gejagt, wenn du dumme Streiche begehst.« »Ich weiß mir schon zu helfen«, entgegnete Hans, »ich habe ein Tuch, damit stecke ich's in die Tasche.« – Und[265] so geschah es auch. – Dann gingen sie in den Saal, wo die Probe zu bestehen war.

Die beiden waren ganz geblendet von der Pracht, welche hier herrschte; aber man ließ ihnen nicht viel Zeit, sich zu fassen.

Die Prinzessin trat ein, und sagte zu Hansen: »Ich habe Feuer im Leibe!« »Und ich habe ein Ei im Sacke, das können wir so sieden«, entgegnete der Blöde. Sie stutzte; Hans hatte die richtige Antwort gegeben. »Unsere Pfanne hat ein Loch!« fuhr sie fort. »Und ich habe einen Nagel, damit können wir das Loch verschließen«, war die Antwort. – Das Staunen der Prinzessin steigerte sich immer mehr. Endlich sagte sie: »Ja, einen Dreck!« »Den habe ich auch im Sack«, entgegnete Hans hurtig.

Nun eilte die Prinzessin zum König und klagte weinend, daß solch ein Tölpel ihr Gemahl werden müsse. Der König rief Hansen zu sich, und sagte: »Mir ist vor einiger Zeit ein Ring entwendet worden; ich gebe dir drei Tage Zeit, entdeckst du den Dieb und schaffst mir den Ring, so wird meine Tochter deine Gattin.« Der Bursche blieb im Schlosse und bekam vollauf zu essen und zu trinken. Als ihm am ersten Tage der Bediente das Abendessen brachte, sagte Hans: »Gott sei Dank, einen hätte ich!« – Er meinte, daß er einen Tag überstanden habe. – Der Bediente eilte zitternd fort und sagte seinen beiden Diebsgenossen, daß der Bauernbursche um die Sache wisse. – Am zweiten Abend kam der Jäger mit den Speisen; da sagte Hans: »Jetzt hätte ich den zweiten auch schon.« Der Jäger ging bestürzt aus dem Zimmer und berichtete dem Bedienten und dem Kutscher, was Hans gesagt. Da kamen sie überein, dem Burschen den Ring und zweihundert Gulden zu geben, und ihn zu bitten, er solle sie nicht verrathen. Hans nahm Geld und Ring, und versprach, ihrer mit keinem Worte zu erwähnen. Als er vor den König trat, übergab er den Ring. Die Anwesenden wußten sich[266] vor Staunen nicht zu fassen; sie fragten ihn, wie er zu dem Ringe gekommen; er aber entgegnete, er habe ihn hergezaubert.

Da sagte der König zu seiner Tochter, sie solle sich bereit machen, Hansens Gattin zu werden. Sie weinte und bat, nur noch eine Probe mit ihm anzustellen. Der König gab endlich ihren Bitten nach und veranstaltete ein großes Gastmahl. Hans ließ sich die Speisen wohl schmecken und kümmerte sich wenig um die bevorstehende entscheidende Probe. Nach einer Weile wurde eine verdeckte Schüssel auf den Tisch gestellt; Hans sollte rathen, was darin sei. Ruhig sagte er: »Hab' ich jetzt schon so viel errathen, so werde ich diesen Schmarrn doch auch noch errathen.« Von der Schüssel wurde der Deckel abgehoben, und es zeigte sich, das Hans gut gerathen hatte. Hans hatte nun gewonnen Spiel, und es ward zum größten Kummer der Prinzessin die Hochzeit gefeiert.[267]

Quelle:
Vernaleken, Theodor: Kinder- und Hausmärchen dem Volke treu nacherzählt. 3.Auflage, Wien/Leipzig, 1896 (Nachdruck Hildesheim: Olms, 1980), S. 265-268.
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