III.
Der schlaue Betrüger.

[13] Vor langer, langer Zeit war einmal ein Schelm, der in die Berge ging, um Holz zu holen. Er wusste nicht, wie er sich lustig machen sollte und kletterte hinauf zum Gipfel eines dicken Fichtenbaumes. Er hatte etwas Reis gekaut und legte davon etwas rings auf die Zweige, sodass es wie Vogelmist aussah. Dann ging er zum Dorfe zurück, zum Hause des Häuptlings und sprach zu ihm: »Ich habe eine Stelle gefunden, wo ein schöner Pfauhahn nistet. Komm, lass uns hingehen! Ich bin ein armer Mann und fühle mich unwürdig, mich dem göttlichen Vogel zu nähern; du aber bist ein reicher Mann und sollst den Pfauhahn fangen. Es wird ein grosser Schatz für dich sein. Lass uns also gehen.«

Der Häuptling ging mit ihm. Als (sie hingekommen waren und) der Häuptling hinsah, erblickte er wirklich viel Spuren von Vogelmist in der Nähe des Gipfels der hohen Fichte. Er glaubte daher, der Pfauhahn wäre da. Deshalb sprach er: »Ich verstehe es nicht auf Bäume zu klettern. Du bist zwar arm, aber hiermit weisst du doch Bescheid. Klettere also hinauf und hole den Pfauhahn herunter, ich will dich gut belohnen. Geh und hole den göttlichen Pfauhahn!« Der arme Mann erkletterte also den Baum. Als er halbwegs oben war, sprach er: »O Herr, dein Haus scheint in Brand zu stehen.« Der Häuptling war sehr erschrocken und schickte sich an, nach Haus zu eilen. Aber der Schelm sprach zu ihm: »Bis dahin ist dein Haus längst niedergebrannt. Es nützt gar nichts, wenn du jetzt dorthin eilst.« Der reiche Mann dachte bei sich, er wollte irgend wohin gehen, um zu sterben, und ging nach den Bergen zu. »Nachdem er eine Strecke gegangen war, dachte er, ich will doch einmal gehen und wenigstens die Trümmer[14] meines verbrannten Hauses sehen.« Er ging also hin und sah, dass sein Haus gar nicht verbrannt war. Da wurde er zornig und wollte den Schelmen töten. Der kam gerade herzu. Der Häuptling befahl seinen Leuten und sprach: »Leute! Dieser Mann ist nicht nur ein Bettler, sondern auch ein nichtsnutziger Betrüger. Steckt ihn in eine Matte, wickelt ihn hinein, ohne ihn zu töten und werft ihn in den Fluss. So geschehe ihm!« Also sprach der Häuptling.

Die Leute thaten den Schelm in die Matte und banden diese ringsum fest zu. Dann trugen ihn zwei an einem Pfahl an das Flussufer. Als sie an den Fluss gekommen waren, sprach der Schelm: »Obgleich ich ein schlechter Mensch bin, so besitze ich doch kostbare Schätze. Geht und holt sie. Wir wollen dann sehen, wie ich solche unter euch verteile. Nachher könnt ihr mich in den Fluss werfen.« Als die beiden diese Worte hörten, machten sie sich auf und gingen nach des Schelmen Hause.

Inzwischen kam ein blinder alter Mann des Weges daher und stiess mit dem Fusse gegen etwas, das in eine Matte gewickelt war. Verwundert darüber, befühlte er es mit dem Stock. Da sprach der Schelm: »Blinder Mann, wenn du thust, was ich dir sage, will ich zu den Göttern beten, und deine Augen werden aufgethan werden.« Der alte blinde Mann freute sich sehr, knüpfte die Matte auf und liess den Schelmen frei. Dieser sah, dass der Mann, obwohl alt und blind, wie ein Gott angekleidet war. Da sprach er zu ihm: »Ziehe deine Kleider aus und entblösse dich, dann werden deine Augen sofort aufgethan werden. Der Blinde zog seine Kleider aus, der Schelm aber« (ergriff ihn) steckte ihn nackend in die Matte, schnürte sie ringsum zu, machte sich mit den Kleidern davon und versteckte sich.

Kurz darauf kamen die beiden Leute wieder und sprachen: »Du Schelm, du bist wirklich ein Betrüger. Schätze besitzest du zwar nicht, aber Überfluss an Verschlagenheit. Jetzt werden wir dich ins Wasser werfen.« Da sprach der blinde alte Mann: »Ich bin ein blinder[15] alter Mann und nicht jener Schelm. Tötet mich nicht!« aber schon war er ins Wasser geschleudert worden. Darauf gingen die beiden zu ihrem Herrn nach Hause.

Der Schelm zog nun des blinden alten Mannes schöne Kleider an, begab sich zu des Häuptlings Haus und sprach: »Ich habe nur zum Schein wie ein Schelm gehandelt. Die Göttin, welche im Flusse wohnt, hatte mich sehr gern. Sie wünschte meinen Geist zu haben und zu heiraten, wenn ich in den Fluss geworfen und getötet sein würde. Meine Missethaten sind daher alle ihr Werk. Ich kam nun zwar zu jener Göttin, aber ich fühlte mich unwürdig ihr Gemahl zu werden, denn ich bin ein armer Mann. Ich habe mit ihr verabredet, dass du, der Häuptling des Dorfes, zu ihr kommen und sie heiraten würdest und bin hergekommen, um es dir zu sagen. Daher habe ich auch diese prächtige Kleidung an, weil ich von der Flussgöttin komme.« So sprach er. Als der Dorfhäuptling sah, dass der Schelm in die schönsten Kleider gehüllt war, glaubte er, dass jener die Wahrheit spräche und sagte: »Gut, lass mich in eine Matte binden und in den Fluss werfen.« So geschah es, wie es mit dem Schelm geschehen war, und er ertrank.

Nun wurde der Schelm Häuptling im Dorfe und wohnte im Hause des ertrunkenen Häuptlings. So lebten auch in alten Zeiten sehr böse Menschen, wie erzählt wird.9

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Anthologie aus der asiatischen Volkslitteratur. Weimar: Verlag von Emil Felber, 1898, S. 13-16.
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