Der Steinhauer.

[87] Es war einmal ein Steinhauer, der ging täglich zu einem hohen Felsen und brach Steine aus demselben. Diese Steine verkaufte er zu Grabsteinen und Hausschwellen, und da er seine Arbeit verstand und die Steine, die er zum Verkaufe bot, stets sehr sorgsam bearbeitet waren, so fand er auch immer Abnehmer dafür. Freilich war sein Verdienst gering und seine Last groß, aber er war lange Zeit zufrieden und wünschte nichts mehr.

Es ging die Sage, daß da, wo er arbeitete, ein großer Berggeist hause, der manchmal den Menschen erschiene und ihnen zu ihrem Fortkommen behülflich wäre; doch hatte er noch nichts von dem Berggeiste entdeckt und schüttelte stets ungläubig den Kopf, wenn von demselben die Rede war.

Einstmals aber, als der Steinhauer bei einem reichen Manne einen Grabstein abgeliefert und gesehen hatte, wie schön dieser wohnte und auf was für einem kostbaren Bette der schlief, da rief er bei seiner saueren Arbeit, die ihm den Schweiß auf die Stirne trieb: »O, wäre ich doch ein reicher Mann, dann brauchte[87] ich mich nicht so zu plagen und könnte auch auf einem Bette mit rothseidenen Vorhängen und goldenen Quasten schlafen!«

Kaum hatte er die Worte gesprochen, so ertönte eine Stimme durch die Lüfte, welche ihm zurief: »Dein Wunsch ist dir gewährt, du sollst ein reicher Mann sein!«

Verwundert blickte der Steinhauer um sich; doch da er Niemand gewahrte, so nahm er sein Arbeitszeug und ging heim, denn er beschloß, für heute die Arbeit ruhen zu lassen. Als er zu Hause angelangt war, da erstaunte er aber erst recht, denn statt seiner kleinen Hütte fand er ein schönes, stattliches Haus mit einer herrlichen Einrichtung, bei welcher auch das gewünschte Bett nicht fehlte. Erfreut nahm er von allem Besitz, vergaß sehr bald sein mühevolles Gewerbe und ließ es sich wohl sein.

Doch eines Tages, als die Sonne vom Himmel brannte und es so heiß war, daß er nicht hinauszugehen wagte, da sah er einen stattlichen Zug von Menschen an seinem Hause vorüberziehen. In der Mitte einer Menge herrlicher Ritter ward ein kostbarer Tragkorb von schön geputzten Dienern getragen, und in dem Tragkorbe saß ein Fürst, der sich einen goldschillernden Schirm über das Haupt halten ließ, damit die Strahlen der Sonne ihn nicht träfen. Mißvergnügt blickte der ehemalige Steinhauer dem Zuge nach, und als derselbe seinen Augen entschwunden war, da rief er aus: »O, wäre ich doch ein Fürst, dann könnte ich mich auch so tragen lassen und hätte einen goldenen Schirm, der mich vor den Strahlen der Sonne schützte!«

Und als er die Worte gesprochen, da ertönte abermals die Stimme des Berggeistes: »Dein Wunsch sei erfüllt, du sollst Fürst sein!«

Und nun war er Fürst. Vor seinem Tragkorbe ritten viele Reiter einher und ebenso viele folgten ihm, er hatte Ehre, Glanz und Reichthum vollauf, kurz alles, was er sich wünschte, und natürlich auch den goldenen Schirm, mit dem er sich schützte. Dennoch war er nicht zufrieden; stets blickte er umher und suchte auszuforschen, womit er wohl seine Lage noch angenehmer machen[88] könnte, und als er sah, wie die mächtige Sonne alles rings umher verbrannte, als er sah, daß in ihren Strahlen das Gras verdorrte und daß sein Gesicht trotz des goldenen Schirmes von der Sonnenhitze immer stärker gebräunt wurde, da gefiel ihm sein Leben nicht mehr, und ärgerlich rief er: »Die Sonne ist mächtiger als ich; ich möchte die Sonne sein!«

Abermals rief der Berggeist: »Dein Wunsch sei dir gewährt, du sollst die Sonne sein!«

Und da ward er die Sonne und fühlte sich sehr stolz in seiner Macht. Er sandte seine Strahlen nach oben und unten, nach rechts und links, er versengte das Gras auf der Erde und verbrannte die Haut den Fürsten so gut wie allen anderen Leuten. Doch als er seine Lust gekühlt hatte, da fing er schon an, seiner Macht überdrüssig zu werden, und als eine Wolke kam und sich schützend zwischen die Erde und ihn stellte, da rief er voll Zorn: »Was ist denn das? Die Wolke fängt alle meine Strahlen auf, sie ist ja mächtiger als ich! Das geht nicht an, ich will die größte Macht besitzen und möchte die Wolke sein!«

Und wie er diesen Wunsch ausgesprochen, da ertönte abermals die Stimme des großen Berggeistes: »Dein Wunsch sei dir gewährt, du sollst die Wolke sein!«

Und nun war er die Wolke und legte sich zwischen Sonne und Erde. Er fing die sengenden Strahlen der Sonne auf und sah zu seiner Freude, wie die ganze Erde grünte und blühte; doch das war ihm nicht genug, er wollte so recht seine große Macht zeigen, und deshalb sandte er den Regen in großen, schweren Tropfen hinab, tage- und wochenlang. Da schwollen die Ströme und Flüsse gewaltig, die Dämme und Deiche brachen und alle Felder wurden verwüstet. Die Wogen rissen alles mit sich fort, was sich ihnen in den Weg stellte. Nur der Fels blieb ruhig stehen und blickte spöttisch auf die entfesselten Fluthen. Ihn kümmerte all der Wirrwarr nicht, und nicht ein Stückchen des harten Gesteins konnte das wüthende Element ihm rauben.

Da rief die Wolke voller Staunen: »Was ist denn das?[89] Der Fels ist stärker als ich? Niemand soll mächtiger sein als ich, und deshalb möchte ich wohl der Fels sein!«

Kaum hatte er diesen Wunsch ausgesprochen, so rief der Berggeist: »Was du dir wünschest, sei dir gewährt, du sollst der Fels sein!«

Nun wurde er der Fels und freute sich seiner Macht. Stolz stand er da, wenn die Sonne heißglühend vom Himmel strahlte und wenn der Regen herabfiel. Ihn kümmerten die Elemente nicht; stark und fest war er mit der Erde verwachsen. Doch eines Tages hörte er ein merkwürdiges Geräusch zu seinen Füßen, und als er nach der Ursache forschte, sah er einen unscheinbaren Steinhauer, der eiserne Keile in sein Gestein eintrieb und große Klüfte davon loslöste, die donnernd zur Erde fielen. Als er dies sah, da wurde er sehr entrüstet und rief aus: »Was ist denn das? So ein kleines Menschenkind ist mächtiger als ich, der starke Felsen? Das geht nicht an, da will ich lieber der Mann sein!«

Und als die Stimme des großen Berggeistes wiederum ertönte und ihm verkündete, daß sein Wunsch erfüllt werden sollte, da war er der arme Steinhauer von ehedem. Im Schweiße seines Angesichts verdiente er sich sein kärgliches Brod, aber er war damit zufrieden und wünschte sich niemals wieder eine andere Lebensstellung als die, welche er seit früher Jugend gehabt hatte. Und da er keine vermessenen Wünsche mehr hegte und vom Schicksal nichts weiter forderte, so hörte er auch nie wieder die Stimme des großen Berggeistes.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 87-90.
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