Das Schiffsgespenst.

[402] Die Schiffer werden von einem sehr hinterlistigen bösen Geiste verfolgt, der, um Macht über sie zu bekommen, in der Gestalt eines ihrer Nachbarn zu ihnen ins Haus zu kommen pflegt und sie bittet, ihm eine Kelle zu leihen. Wer nun die Tücke dieses Spukwesens nicht kennt und ihm höflich die Kelle darreicht, zu dessen Dschonke begiebt sich augenblicklich der Geist und füllt sie mittels der nämlichen Kelle allmählig mit Wasser so lange bis sie untersinkt. Die Schiffersleute nehmen daher, wenn sie um eine Kelle angesprochen werden, rasch eine alte Kelle, stoßen ihr den Boden aus und werfen sie dem Gespenste an den Kopf. Dieses verschwindet dann augenblicklich mit der Kelle und kann, da dieselbe bodenlos ist, das Schiff nicht damit füllen und zum Sinken bringen.

Es sind indessen Sprüche erforderlich, die derjenige hersagen muß, welcher in solcher Weise die List des bösen Geistes vereiteln will; er muß sich dem Schutze eines der Seefahrergötter empfehlen, denn sonst ereilt ihn oft dennoch die Rache des Schiffsgespenstes. Ein junger Schiffer, der dies nicht gehörig beachtet und sich damit begnügt hatte, dem bösen Geiste die schadhafte Kelle zuzuwerfen, begegnete auf seiner nächsten größeren Fahrt auf offener See einem der Ungethüme, welche die Japaner Kappa nennen, und welche einen Schildkrötenleib, einen Affenkopf und gewaltig lange Klauen besitzen und trotz ihrer grellen, rothen oder grünen Farbe sich gewöhnlich so lange heimtückisch zu verbergen wissen, bis sie irgend einen Streich gegen arglose Schiffer[402] oder gegen Leute am Strande ausführen können. Der Kappa, welcher jenem Schiffer Unheil brachte, war von ungeheurer Größe; die Schiffer, welche zugleich mit dem Unglücklichen ausgefahren waren, sahen, wie der Unhold aus dem Meere auftauchte, mit seinen Krallen den Bord des Schiffes packte und es umkippte, so daß alle Insassen desselben ertranken. Entsetzt flohen sie die Stätte und erzählten die Begebenheit, um Jedermann vor der Unterlassung der nöthigen frommen Bräuche bei der Begegnung mit dem Schiffsgespenste zu warnen.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 402-403.
Lizenz:
Kategorien: