Ein wiedergeborener Gläubiger.

[410] Ein armer Mann war einst ohne sein Verschulden in große Noth und arge Verlegenheiten gerathen, und einer seiner Nachbaren half ihm durch ein Darlehen aus seiner bedrängten Lage. So sehr sich nun der dankerfüllte Schuldner auch anstrengte, um sich dieser Verbindlichkeit zu entledigen, es war ihm nicht möglich, und so kam es, daß der Gläubiger ohne Erben starb, bevor die Schuld abgetragen war.

Nicht lange danach wurde dem Schuldner, welcher sich beständig darüber grämte, daß er seinen Verpflichtungen so schlecht nachgekommen war, ein Sohn geboren. Stets von dem Gedanken an die nicht bezahlte Schuld erfüllt, vermuthete der Vater, dieses Kind könne sehr wohl eine Wiedergeburt seines Gläubigers sein, von den Göttern veranstaltet, damit er nun die Schuld tilgen und den quälenden Gedanken an dieselbe loswerden könne. In dieser Meinung ward er noch bestärkt, als er sah, daß das Kind beständig kränkelte, und daß er kaum hoffen durfte, es groß zu ziehen. Aus diesem Grunde buchte er alle Ausgaben, die er für diesen seinen Sohn machte, und rechnete die Summe derselben von Zeit zu Zeit zusammen. Als er jedoch fand, daß der Betrag seiner alten Schuld bereits vollständig erreicht war, ohne daß in dem Befinden seines Sohnes irgend eine Aenderung eintrat, da glaubte er schon, sich geirrt zu haben, und nur aus alter Gewohnheit, nicht zu irgend einem Endzwecke setzte er seine Buchführung über die Ausgaben für den Unterhalt des Kindes fort. So ging noch es ein paar Jahre, dann aber erkrankte der Knabe ernstlich und starb trotz der sorgfältigsten Pflege und ärztlichen Behandlung. Wie erstaunte aber der Vater, als er die Rechnung über die Ausgaben für den nunmehr verstorbenen Sohn abschloß und fand, daß dieselben genau den Betrag der Schuld mitsammt ihren Zinsen ausmachten. Er hatte sich also vordem nur darin geirrt, daß er die[411] Zinsen dem Kapitale zuzuschreiben vergessen; im übrigen waren alle seine Voraussetzungen zutreffend gewesen. Sein Gläubiger war eigens zur Empfangnahme seiner Schuld als sein Sohn wieder auf Erden erschienen, und er selber konnte nun ruhig jeden Gedanken daran schwinden lassen.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 410-412.
Lizenz:
Kategorien: