Die Gespenster von Umu auf der Insel Sado.

[362] An der nördlichen Küste der Insel Nippon, da wo jetzt die Landschaften Kaga und Yetschisen liegen, und auf der Insel Sado, welche nördlich von dort im Meere sich befindet, erzählt man von einer grauenhaften Spukgeschichte, die sich vor langen Jahren auf dieser Insel zugetragen hat.

Im Dorfe Umu daselbst hatten die Einwohner einstmals einen reichen Fang an großen Fischen, Boniten, gemacht und brieten sich einige Stücke davon. Da verwandelten sich diese Fischstücke in menschliche Gestalten, welche in die Höhe schwebten und sich über dem Feuer in den Lüften grimmig zu streiten begannen. Die Leute von Umu zogen sie herab; aber kaum ließ man ihnen ein wenig Freiheit, so schwebten sie aufs neue empor und begannen ihren alten Streit wieder.

Selbstverständlich sagte man vorher, daß dies ein großes Unheil für die Leute von Umu bedeute, und in der That brach es bald über sie herein, denn wilde Barbaren landeten und schleppten sie fort, nach den Küsten des Festlandes hinüber, bis zur Mündung eines schnellen Stromes, an welchem ein böser Geist haust, und dessen Wasser jedem, der davon trinkt, den Tod bringt. An den schrecklichen Ufern dieses Flusses liegen daher Leichen ohne Zahl, ebenso wie auch die ganze Küste in der Nähe davon voll ist.

Man sagt zwar, daß die Wilden, welche jene Einwohner der Insel Sado hinwegführten, eine barbarische Nation des Festlandes gewesen seien, und man erzählt ferner, daß noch öfter Japaner im Norden ihres Reiches mit denselben in Berührung kamen. Allein die Einwohner der Insel Sado selber halten sie für Gespenster und nennen sie dementsprechend wilde Geister, Soschin. In der That hat auch den alten Berichten zufolge jedes Zusammentreffen mit ihnen unausbleibliches Unheil zur Folge gehabt.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 362-363.
Lizenz:
Kategorien: