[77] 25. Der Fischer und der Geist

In der Abenddämmerung ruft ein Mann nach seinem Freunde, um mit ihm auf den Fischfang zu gehen. Ein böser Geist aber, ein Tamburan, hört ihn rufen, antwortet an des Freundes Statt, nimmt dessen Gestalt an, und folgt dem Menschen aufs Riff hinaus. Der Fischer wirft sein Netz aus und fängt einige Fische. »Hier sind Fische, fang' sie auf!« ruft er seinem Gefährten zu, und wirft sie ihm, ohne sich umzusehen, über die Schulter zu. Der fängt sie auf und frißt sie hinter dem Rücken des Menschen [77] sofort auf. Sie waten weiterhin durch das flache Wasser; der Fischer wirft wieder sein Netz aus und gibt den Fang an den Geist weiter, und abermals schlingt der die Fische ohne weiteres hinunter. Sie fischen weiter, und jedesmal wiederholt sich das gleiche. Schließlich fängt der Mensch zwei Langusten und wirft sie dem Tamburan zu, der auch diese Tiere frißt, aber um sie schlucken zu können, zuvor ihre Schalen mit den Zähnen zermalmen muß. Der Fischer hört das Krachen, und der Schreck fährt ihm in die Glieder; jetzt weiß er, es ist ein Geist, der die Gestalt des Freundes angenommen hat, um ihm einen Schabernack zu spielen. Aber er weiß sich zu beherrschen; er wirft abermals sein Netz aus und zerreißt es absichtlich an einer Korallenzacke. »Warte hier einen Augenblick!« ruft er seinem unheimlichen Gehilfen zu, »ich gehe eben in den Wald, um mein Netz mit einer Liane zu flicken.« Gemächlich nun steigt er ans Ufer und tritt in das Waldesdunkel ein. Dann aber läuft er wie rasend auf schmalem Pfade landeinwärts, um dem Tamburan zu entfliehen. Ein Felsblock liegt am Wege; ohne seinen Lauf zu verlangsamen, schreit der Mensch ihm zu: »Ruft jemand nach mir, so gib du ihm Antwort!« Einen Baumstamm, über den er in der Eile fast gestolpert wäre, bittet er: »Bringe ihn zu Fall, der mich verfolgt!« Weiter stürzt der Gejagte. »Schling dich um seine Glieder und halte ihn fest, der nach mir kommt!« ruft er einer Dornenliane zu, die quer über den Weg hängt, und als er sich keuchend seinen Weg durch dichtes Unterholz bahnt, erblickt er einen hohen Baum, dessen Zweige erst in großer Höhe ansetzen. Hastig erklettert er ihn und reißt von oben die Rinde in langen Streifen los. Ein klebriger Saft tritt aus dem entblößten Holz, der dem Geist das Nachklettern unmöglich machen soll. Da erscheint auch schon der Verfolger, erblickt den Mann in der Baumkrone, und ruft ihm heuchelnd zu: »Komm herunter, warum gibst du das Fischen schon auf, es ist doch noch tiefe Nacht!« »Du lügst,« entgegnet der Fischer, »es wird schon hell. Ich [78] habe dich jetzt erkannt, und bei Tage, wenn du machtlos bist, werde ich es dir heimzahlen, daß du mich betrogen hast!« Da zieht sich der Geist zurück, und der Fischer sieht ihn in ein kleines Loch des Erdbodens schlüpfen. Als es hell wird, gleitet er vom Baum herunter und holt aus dem nächsten Dorf viele Leute herbei. Sie brechen sich Stöcke von den Büschen und bohren um das Loch, in dem der Geist verschwunden ist, den Boden auf. Schließlich kommt eine Ameise aus der Tiefe und sagt: »Der Tamburan steckt noch tief unten in der Erde.« Sie arbeiten weiter, und nach einiger Zeit erscheint wieder eine Ameise und sagt: »Den Geist habt ihr noch lange nicht erreicht, der steckt noch tief, tief unten.« Mit erneutem Eifer wird weiter gebohrt, bis abermals eine Ameise mit der gleichen Meldung erscheint. Und als die nächstfolgende ans Tageslicht krabbelt, fragen sie die Leute: »Ja, wie viele Ameisen kommen denn noch nach dir?« »Vier werden mir noch folgen,« war die Antwort. Das nächste Tier berichtete wieder, daß der Geist noch tief unten wäre, und so auch das zweite und dritte. Schließlich kroch die vierte Ameise hervor und meldete, daß sie die letzte sei, aber der Geist noch lange nicht erreicht wäre. Schweißglänzend arbeiten nun die Leute mit letzter Kraft. Plötzlich fährt der Geist aus der Grube. Mit einem Wutgeheul fallen die Leute über ihn her und bearbeiten ihn mit ihren Knüppeln. Sie zerfetzen ihm das Fell und dreschen auf ihn ein, bis er als formloser Klumpen zu Boden stürzt. Da tritt der Fischer vor ihn hin und höhnt: »Nun spürst du, wie es einem bekommt, wenn man anderen Leuten Fische und Krebse wegfrißt.« Mit frischer Kraft fällt wieder alles über den Geist her und macht ihm vollends den Garaus. Man bindet ihn an einen starken Stock, um ihn daran ins Dorf zu tragen; doch als die Männer anheben, bricht der Stock entzwei. Kopfschüttelnd schlagen die Leute einen noch stärkeren Knüppel zurecht, aber auch der zerbricht merkwürdigerweise. Immer gröbere Stangen werden versucht, aber keine hält. Da tritt [79] einer von den ganz kleinen Jungen heran, einer, der noch die Kindergeschwüre am After hat, und nennt den Baum Dingaring, der sei fest gegen die Zauberkraft des toten Geistes. Ein paar Leute gehen auf die Suche nach einem Dingaring und bringen einen Zweig von ihm herbei. Der Geist wird darangebunden und ins Dorf geschafft. Dort wird ihm der Bauch geöffnet, und heraus fallen Fische, Fische, immer mehr Fische und zum Schluß die beiden Langusten. Alles wird gebraten, ein paar Schweine werden ebenfalls zubereitet, und bei einem herrlichen Schmause wird der Tod des Tamburans gefeiert.

Quelle:
Hambruch, Paul: Südseemärchen. Jena: Eugen Diederich, 1916, S. 77-80.
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