[174] 41. Die Herkunft des Geldes

[174] Eines Tages zogen die Leute von Golei nach dem Fischfang mit ihren Körben auf die kleine Insel Ngaregur, um dort die Fische zu verspeisen. Dabei vergaßen sie aber einen im Boot und ließen ihn nach der Rückkehr darin liegen. Da kam ein kleiner schwarzer Strandvogel geflogen. Der entdeckte den Fisch und pickte an ihm herum. Dann flog er nach der Insel Ngarekeklau, die dicht bei Ngaregur liegt. Dort stand vor dem Hause des Häuptlings a Ugelkeklau ein Baum mit einer großen Astgabel, in deren Vertiefung sich ein kleiner Wassertümpel befand. Der Vogel löschte darin seinen Durst, und wie er das tat, fiel etwas Rogen des angepickten Fisches ins Wasser hinein. Und nach gar nicht langer Zeit schlüpfte daraus ein Fischchen hervor.

Einmal sandte der Häuptling seinen Sohn auf den Baum, um einige Pfefferblätter herunterzuholen, denn ein gewaltiger Betelpfefferschlinger rankte sich um den Baum. Als der Junge nun oben war, entdeckte er in dem Baumwasser den kleinen Fisch. Er nahm ihn mit nach unten, setzte ihn in eine Kokosschale und pflegte ihn sorgsamst. Bald war aber die Schale zu klein, und der Knabe setzte ihn nun in eine Holzschüssel, und als die auch nicht mehr ausreichte, in das Badeloch des Dorfes. Der Fisch wurde aber geschwinde größer und größer, so daß die Dorfleute sich vor ihm ängstigten und über seine Anwesenheit im Badeloch Klage führten. Da mußte der Knabe ihn ins Lagunenwasser setzen, wo er bald zu einer solch ungeheuren Größe heranwuchs, daß alle Bewohner von Ngarekeklau in heller Angst und großer Furcht vor dem Ungetüm waren. Jetzt bat der Knabe seinen Pflegling, doch das Lagunenwasser zu verlassen und durch den Riffeinlaß ins offene Meer hinauszuschwimmen. Das Ungeheuer gehorchte und schwamm an der Ostseite der Insel Palau hinab, bis es in die große Meerenge zwischen Peliliu [175] und Ngeaur kam, denn alle anderen Einlässe waren zu klein für seinen Einschwamm.

Auf Ngeaur befindet sich der Platz Makiap. Hier gebar der Fisch eine Tochter, die sah jedoch wie ein Mensch aus. Sie wuchs heran; und eines Tages sah das Mädchen, wie die Knaben und Mädchen von Ngeaur im Wasser spielten. Da bat es seine Mutter, doch mit den Kindern spielen zu dürfen. Die wollten aber nichts von ihm wissen, und nur die Tochter des Häuptlings a Ugelabuak war lieb und freundlich mit ihm.

Als die Häuptlingstochter nach Hause kam und von ihrer neuen Freundin erzählte, sagten die Eltern, sie solle die Kleine doch am nächsten Abend mitbringen. Und wie nun die Kinder am folgenden Abend wieder im Meer badeten, kam auch das Fischmädchen wieder herbei, und die Häuptlingstochter lud es ein, mit ihr nach Hause zu kommen. Sofort tauchte das Mädchen unter und fragte die Mutter, ob es wohl hingehen dürfe. »Ja,« sagte der Fisch, »geh nur hin, und wenn sie dich schlecht behandeln, dann komme wieder zu mir.« So geschah es. Das Fischmädchen lebte fortan bei ihrer Freundin im Häuptlingshause und wuchs heran.

Plötzlich bemerkte es, daß mit ihm etwas Besonderes vorging. Mählich schwoll es allenthalben an, so daß man meinen mußte, es wäre schwanger. Als der Häuptling das bemerkte, ängstigte er sich; er dachte, es wäre eine Aussätzige. Sie sonderten es deshalb von den übrigen im Hause ab. Niemand durfte zu ihm, auch nicht die Häuptlingstochter, und das Essen schob man ihm mit einer langen Bambusstange zu. Trotzdem benutzte die Häuptlingstochter jede Gelegenheit, wo sie unbemerkt zur Spielgefährtin hinschlüpfen konnte. Sie hielt treu zu ihr. Und aus Liebe zu seiner Freundin kehrte auch das Fischmädchen nicht zu seiner Mutter zurück, sondern blieb, bis es ein Geschenk hätte, um der Freundin die Treue lohnen zu können.

Als einige Zeit darauf die Eltern ausgegangen waren, trafen [176] sich die Freundinnen wieder und spielten miteinander. Da sagte das Fischmädchen: »Meine Zeit ist jetzt gekommen, begleite mich zum Meer hinab und führe mich an die Stelle, wo wir uns zuerst trafen.« – Sie gingen an den Strand, und als sie sich verabschiedeten, sagte das Fischmädchen zu seiner Begleiterin: »Gib deine Tasche her und halte sie auf!« Dann steckte sie ihre geschwollenen Finger hinein und strich sie ab. Und alsbald füllte sich das Säcklein mit Geld, das die weinende und doch hochbeglückte Freundin nach Hause trug. Da ärgerten sich ihre Angehörigen tüchtig, die nun gewahr wurden, welch kostbaren Schatz sie sich hatten entgehen lassen.

Das Fischmädchen tauchte aber ins Meer hinab; es setzte sich auf den Rücken seiner Mutter, die nun mit ihm fortschwamm. Die Mutter schwamm aber so, daß die Tochter über Wasser war, und gab ihr die Weisung, alles Treibholz im Meere zu sammeln. Das Mädchen tat es und hatte schließlich so viel beisammen, daß daraus eine kleine Insel wurde, auf der es seine Niederkunft vollenden wollte. Dort auf Ngorot gebar es zuerst einen Brachvogel, den Delarok, und dann so viel Geldstücke, bis die ganze Insel davon bedeckt war. »Nun,« sprach die Mutter, »ist es Zeit, an den Häuptlingssohn in Ngarekeklau zu denken, der mich einstens so liebevoll pflegte. Fülle den Vogel Delarok mit Geld an und sende ihn ihm zur Belohnung!«

Alsbald flog der Delarok mit Geld gefüllt nach Ngarekeklau. Er ließ die Häuptlinge im Rathaus sich versammeln, und als sie alle da waren, gab er das Geld von sich. Zuerst spuckte er die Tasche des Ugelkeklau voll, dann kam einer nach dem andern dran. Ein Mann jedoch, der noch beim Fischen war, versäumte die Versammlung, und als er abends davon hörte, rannte er spornstreichs ins Rathaus, um den Vogel zu erhaschen. Der bat ihn um etwas Wasser, denn er wollte sich stärken, damit er das letzte Stück von sich geben könne; aber der Mann war so gierig, daß er den Vogel faßte und drückte und preßte, um des Stückes auch ja habhaft zu werden. [177] Da verendete der Vogel Delarok, und der ganze Reichtum von Ngorot ging so den Palauern verloren. Sie erhielten nur wenig davon.

Quelle:
Hambruch, Paul: Südseemärchen. Jena: Eugen Diederich, 1916, S. 174-178.
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