Der Waldschütz.

[115] In Rodau, einem Dorfe bei Graslitz im Erzgebirge, erzählt man sich viel von dem Waldschützen. Es soll dies ein Mann sein, der in dem nahegelegenen Walde zu mitternächtlicher Stunde umgeht. Er schlägt dabei mit großer Kraft und Gewalt an die Bäume und verursacht dadurch einen großen Lärm. Zugleich setzt er dem Wilde nach, scheucht es auf und treibt es lange herum, bis ihn die Geisterstunde zurückruft. Dabei hört man, wie er die Hunde hetzt. Deshalb nennen ihn die Leute den Waldschützen. Er geht immer tiefer in den Wald und verliert sich endlich im Forste.

Dieser Waldschütz hat endlich auch die Gewohnheit, die Leute in diesem tiefen Walde irre zu führen. Eines Tages gieng ein Holzhauer aus dem Walde nach Hause. Er war[115] noch nicht lange gegangen, als es stockfinster wurde und er furchtbare Axtschläge in seiner Nähe vernahm. Der Holzhauer gieng herzhaft auf den Lärm los, weil er glaubte, daß es Holzdiebe seien. Wie er aber auf den Platz kam, wo die Schläge erschallten, sah er einen fremden Mann in Jägertracht, der an die Bäume klopfte. Der Holzhauer fragte: Wer bist du? Ich bin der Waldschütz! sagte der Mann und klopfte weiter. Der Holzhauer folgte dem Mann nach. Um Mitternacht waren sie schon tief in den Wald gerathen, da fühlte der Holzhauer plötzlich einen Axtschlag, daß er halbtodt zu Boden stürzte. Am andern Morgen, als er aufwachte, standen einige Leute bei ihm, die ihn gefunden hatten. – In der Hochgart geschah es, daß dieser Geist sich am Tage sehen ließ, dann ist er böswillig und läßt Niemanden ungeschoren. Ein armer Mann sah ihn und rief ihn dreimal beim Namen: Waldschütz, Waldschütz, Waldschütz! Da drehte sich derselbe um, und sprach: Für dein Necken sollst du hier in einen Baumstumpf verwandelt so lange stehen, bis dich der Zufall erlös't. Augenblicklich ward der Mann zu einem Baumstumpf und wurzelte im Boden. Seine Erlösung aber blieb nicht lange aus. Eines Tages waren Köhler in der Nähe; einer derselben sah den Stock dastehen und dachte, er sei gut, das Mittagsessen darauf einzunehmen. Er legte daher sein Brod darauf, schnitt es mit dem Messer durch, so zwar, daß er auch noch in den Stock schnitt, und hackte auch seine Hacke darin ein. In demselben Augenblicke schrie es heftig auf, der Baumstumpf verschwand und der verzauberte Mann stand erlös't vor den Augen der Köhler. (Otto Mühlstein aus Graslitz.)

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 115-116.
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