Der Hirsch.

[274] Im Walde bei Pitschin sieht man heute noch die Trümmer eines Jägerhauses; in diesem Jägerhause lebte einmal ein junger Förster, der hatte von seinem Vater gehört, daß in dem Walde ein wunderbarer Hirsch sei. Dieser Hirsch sei eine verzauberte Jungfrau, die in dieser Gestalt so lange herumirren müsse, bis ein Jäger alle Zacken ihres Geweihes herunterschieße, ohne ein einziges Mal zu fehlen. Der junge Förster beschloß daher, die Jungfrau zu erlösen. Dies konnte jedoch nur am Freitage[274] und zwar in der Mitternachtsstunde geschehen. Dem kühnen Burschen schlug wohl das Herz, denn er wußte, daß jeder Fehlschuß der Jungfrau ewige Verzauberung, ihm selbst aber ewige Verdammung zuziehe. Indeß schoß er muthig los, als der Hirsch erschien. Zwölf Zacken hatte das Geweih und eilf davon hatte er schon abgeschossen. Als er sich aber zum letzten Schusse anschickte, erscholl neben ihm ein gespenstiges Lachen, und wie er sich umsieht, erblickt er neben sich ein kleines eisgraues Männlein mit einem weißen Stäbchen in der Hand. Vor Schrecken drückte er ab und der Schuß gieng in die Luft. Augenblicklich erschienen alle zwölf Zacken am Geweihe des Hirsches wieder, der laut heulend in den Wald entflieht; der kühne Jäger aber wird von dem eisgrauen Männlein in die Erde gezogen, während der Wald erdröhnte und das Jägerhaus zusammenstürzte. (J. Winterberg aus Jungbunzlau.)

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 274-275.
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