Die weiße Frau auf dem Harfenstein.

[47] Im Riesengebirge zwischen Marschendorf und Johannisbad ist ein großer Felsen, welcher der Harfenstein genannt wird. Alljährlich in der Passionswoche öffnet sich der Felsen und eine weiße Jungfrau steigt empor und schlägt die Harfe und singt die wundervollsten Lieder, um die Leute zu ihrer Erlösung herbei zu locken. Wer sie erlösen will, muß zuerst zur heil. Beicht und Communion gehen und dann drei Tage lang ohne Speise und Trank im Felsen zubringen. Hält er das aus, so darf er sich von den Schätzen, die der Harfenstein birgt, so viel nehmen als er will. Die Erlösung, heißt es aber wiederum, wird nicht früher geschehen, als bis die einsame Tanne dort auf der Höhe den einen Ast so stark haben wird, daß er groß genug ist, um einem Kinde zur Wiege zu dienen. Der Knabe, der darin gewiegt werden wird, der erst wird das Werk vollbringen.

Die weiße Jungfrau auf dem Felsen soll ein Bauernmädchen sein, das in Marschendorf einen großen, reichen Hof gehabt habe. In einer stürmischen Nacht sei ein Bettler zu ihr gekommen und habe sie um ein Almosen gebeten, die Jungfrau aber habe in ihrem Uibermuthe den Bettler mit Hunden aus dem Hofe hetzen lassen. Darauf habe die Erde sich geöffnet und den[47] ganzen Hof sammt der Jungfrau verschlungen. Nach einer andern Sage hatte die Jungfrau eine schöne Burg auf dem Harfenstein selbst. Ein Ritter aber, der ihr gegenüber wohnte, warb um ihre Hand und da er verschmäht wurde, verschrieb er sich dem Teufel, durch dessen Hilfe er es zu Stande brachte, daß der Felsen sich öffnete und die Burg mit sammt der Jungfrau in demselben verschwand. (A. Breyer aus Schatzlar.)

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 47-48.
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