6. Tartaro und der Narr

[16] Einst lebten ein Mann und eine Frau, die einen sehr boshaften und närrischen Sohn hatten. Da er nichts als Bosheiten ausübte, so beschlossen sie, ihn in den Dienst zu geben, womit er einverstanden war.

Er ging vom Hause weg und trottete so lange seines Weges, bis er in eine andere Gegend kam, wo er seine Dienste anbot. In einem Haus, wohin er kam, benötigte man gerade einen Burschen, doch machte man zur Bedingung, dass demjenigen, sei es nun Herr oder Knecht, der nicht mit allem zufrieden sei, die Rückenhaut abgezogen würde.

Der Herr schickte seinen Knecht in den Wald, damit er ihm stark gebogenes Holz nach Hause bringe. Beim Walde befand sich jedoch ein Weingarten und so schnitt denn der Junge alle Weinreben ab und trug sie nach Hause. Als der Herr nach dem Holz frug, zeigte er ihm die Reben. Der Herr schwieg, obwohl er damit nicht zufrieden war.

[16] Am nächsten Tage sollte der Knecht die Kühe auf die Felder treiben, jedoch ohne Türen und Schranken zu öffnen. Er zerschnitt daher das Vieh in Stücke und warf diese über den Zaun auf die Felder. Der Herr wurde darüber zornig, doch konnte er der Rückenhaut wegen nichts sagen. Was tat er? Er kaufte eine Schar Schweine und schickte den Knecht mit sieben Schweinen, ohne ihm jedoch etwas zum essen mitzugeben, in die Berge. Der Knecht frug: »Was soll ich essen? Etwa Kieselsteine?« Doch der Herr erwiderte ihm: »Iss, was du willst!« Er hatte am Boden in der Nähe des Kamins Nüsse und diese nahm sich der Junge in den Wald mit, wo, wie er wusste, Tartaro hauste, der ihn aber ganz kalt liess.

Er zog seines Weges. Endlich erreichte er eine Hütte, die der Tartaros benachbart war. Seine Schweine und die Tartaros vermischten sich und gingen miteinander. Tartaro kam und frug ihn: »Wohin gehst du und was machst du hier?« Er bewachte ruhig seine Schweine weiter, nahm eine Nuss aus dem Sack, steckte sie in den Mund, zerknackte sie und sprach: »Ich esse Christenknochen.«

Eines Tages schlug ihm Tartaro vor, zu wetten, wer einen Stein am höchsten werfen könne. Er nahm die Wette an, doch abends wurde er traurig. Er begann zu beten und da kam eine alte Frau, welche ihn frug, warum er so traurig sei. Er berichtete ihr von seiner Wette mit Tartaro. »Wenn sonst nichts ist, so ist die Sache ja bald gerichtet», sprach die Alte und gab ihm einen Vogel, den er an Stelle des Steines wegschleudern sollte. Am nächsten Tage tat er, wie ihm die Alte geraten hatte. Tartaros Stein ging verdammt hoch, doch endlich fiel er wieder zur Erde, der Vogel unseres Jungen kehrte aber nicht mehr zurück, sodass Tartaro sich höchlichst erstaunte.

Sie gingen eine andere Wette, wer eine sehr schwere Palenka am weitesten schleudern könne, ein. Wieder wurde unser Junge sehr traurig und begann zu beten, doch dieselbe Alte erschien ihm und frug, was er denn habe. Er erzählte ihr, über was er mit Tartaro gewettet habe. Sie sagte: »O, das ist ganz nichtssagend; wenn du die Palenka nimmst, brauchst du nur zu sagen: Hinweg, Palenka, nach Salamanca!« Am nächsten Tage ergriff Tartaro eine furchtbare Palenka und schleuderte sie beträchtlich weit. Der Narr hob die Palenka an einem Ende auf und rief: »Hinweg, Palenka, nach [17] Salamanca!« Als Tartaro dies hörte, schrie er: »Halt! Halt! Du hast die Wette gewonnen; ich habe Vater und Mutter dort, wirf die Palenka nicht so weit, denn sie könnten zerschmettert werden.« Unser Narr war es zufrieden.

Tartaro führte ihn zu einer Quelle und sie wetteten darüber, wer das meiste Wasser nach Hause tragen könne. Tartaro füllte zwei Fässer an, doch der Junge schrie: »Was, nur zwei Fässer kannst du wegbringen! Ich schaffe das ganze Wasser weg!« und er begann an der Quelle zu rütteln, doch Tartaro rief: »Halt, du hast gewonnen! Gehen wir! Wo könnte ich denn trinken, wenn du das ganze Wasser fortschaffst!«

Tartaro teilte ihm mit, dass er aus dem Walde eine ungeheure Eiche wegtragen werde, was er ihm nachmachen möge. Abends war unser Narr noch trauriger als früher. Er begann zu beten und die Alte kam wieder. Er erzählte ihr, dass er mit Tartaro eine Wette eingegangen sei und dass dieser eine ungeheure Eiche wegtragen wolle. Die Alte gab ihm drei Zwirnknäuel und sprach: »Wenn er seinen Baum fällen wird, umziehst du mit deinen Fäden alle anderen Bäume.« Am nächsten Tage gingen Tartaro und der Junge in den Wald und Tartaro fällte eine furchtbar grosse Eiche. Der Narr jedoch nahm seine Fäden und befestigte sie unausgesetzt. Tartaro frug ihn: »Was machst du da?« – »Dir gehört ein Baum und ich nehme alle anderen!« Tartaro rief: »Nein, das darfst du nicht tun, wie könnte ich denn ohne Eicheln meine Schweine mästen! Du hast die Wette gewonnen!« Tartaro kam zur Einsicht, dass er einen geschickteren, als er selbst war, gefunden habe.

Tartaro sprach zum Jungen: »Du hast hier kein Haus, komm zu mir, esse und schlafe bei mir.« Der Junge versprach, es zu tun. Als sie ins Haus Tartaros kamen, setzte dieser einen halben Ochsen aufs Feuer. Der Junge rief: »Welchen Appetit du doch hast! Ich esse viel weniger und habe doch mehr Kraft als du!« – »Wir werden das gleich sehen.« Unser Junge ass, so viel er konnte und überliess das Übrige Tartaro. Er legte sich nieder, während Tartaro noch aufblieb. Der Junge sah unter sein Bett und erblickte dort drei Leichen. Er nahm eine davon, legte sie statt seiner ins Bett und steckte ihr eine Pfeife in den Mund. Als Tartaro glaubte, dass der Junge schon eingeschlafen sei, ging er zu ihm und schlug ihn mit seiner schweren Keule. Am [18] nächsten Morgen stand Tartaro wie gewöhnlich auf und ging zu den Schweinen. Der Junge kroch unter dem Bette hervor und ging ebenfalls zu den Schweinen. Tartaro war über seine Ankunft sehr erstaunt und kam nochmals zur Einsicht, dass der Narr unbedingt geschickter sein müsse als er. Tartaro frug ihn, ob er gut geschlafen habe, worauf ihm der Narr antwortete: »Ziemlich, nur Wanzen haben mich gestochen. Ist übrigens das Frühstück schon fertig?«

Als die Schweine ziemlich fett waren, war der Augenblick der Abreise gekommen. Doch die Schweine waren durcheinander. Tartaro frug den Narren, welches Zeichen seine Schweine haben. Der Junge sprach: »Die meinen haben unter dem Schwanz ein oder zwei Löcher.« Beim Untersuchen stellte es sich heraus, dass das alle hatten. Unser Narr zog daher mit allen Schweinen ab und erreichte nach langer Wanderung eine Stadt, wo gerade Markt war. Hier verkaufte er alle bis auf zwei, jedoch unter der Bedingung, dass ihm alle Schwänze überlassen würden. Diese schnitt er ab und steckte sie in seine Tasche.

Wie ihr euch wohl vorstellen könnt, fürchtete er Tartaro, den er von der Höhe des Berges herabeilen sah. Er tötete eines seiner Schweine und legte dessen Eingeweide auf seine Brust. Als er bei einer Schar Leute vorbei kam, zog er sein Messer heraus und stiess es sich in den Magen. Die Gedärme kamen heraus und nun lief er, von seinem Schwein gefolgt, noch rascher wie früher. Als Tartaro diese Leute hernach begegnete und sie frug, ob sie nicht einen Mann, der so und so aussehe, gesehen hätten, riefen sie: »Ja, er ging sehr rasch und um noch schneller gehen zu können, stiess er sich sein Messer hinein, warf seine Gedärme weg und lief hernach noch rascher.« – Tartaro, um ebenfalls rascher gehen zu können, stiess sich gleichfalls sein Messer hinein, doch mausetot fiel er zur Erde.

Der Narr kehrte ins Haus seines Herrn zurück. Beim Hause befindet sich ein ganz mit Schlamm erfüllter Brunnen. In diesen warf er sein lebendes Schwein und alle Schwänze und ging hierauf ins Haus. Der Herr, über seine Ankunft ganz erstaunt, frug ihn um die Schweine. Der Narr erwiderte: »Sie haben sich in den Schlamm eingewühlt, denn sie sind sehr ermüdet.« Sie gingen beide zum Brunnen und zogen [19] das lebende Schwein heraus. Dann aber kamen nur mehr Schwänze zum Vorschein. Der Narr rief: »Seht Herr, wie dick und fett sie sind, ihre Schwänze kommen nur mehr allein zum Vorschein!« Der Herr schickte ihn um Haue und Schaufel. Anstatt diese zu bringen, schlug er die Frau und rief seinem Herrn zu: »Eine oder beide?« – »Beide, beide!« – Nun prügelte er auch noch die Dienerin.

Endlich nahm er doch Haue und Schaufel und eilte zu seinem Herrn, den er ebenfalls windelweich prügelte und ihm schliesslich die Haut vom Rücken abzog. Hierauf nahm er sein Schwein, kehrte zu seinen Eltern zurück und wenn er noch nicht gestorben ist, so lebt er heute noch.


* * *


Eine zweite Fassung bietet folgendes Abweichende:

Eines Tages wurde er ausgeschickt, Farrnkraut abzuschneiden, doch musste er, wenn er nicht getötet werden sollte, fertig sein, bevor der Kuckuck zu rufen beginnt. Zeitig vor Tag ging er schon fort und stopfte sich eine Pfeife, doch der Kuckuck begann schon: Kucku! Erzürnt darüber ergriff er seine Flinte und zielte auf den Baum, wo der Kuckuck sass. Doch anstatt eines Vogels fiel seine Herrin herab.

Wütend darüber, gab ihm nun der Herr einen Brief und schickte ihn damit zum Teufel. Da ihm dieser keine Antwort geben wollte, schnitt er ihm ein Stück Haut aus dem Rücken und kehrte damit zurück. Als ihn sein Herr aus der Ferne sah, schrie er: »Halt, halt; tritt nicht in mein Haus!« Und er schickte ihn zu einem andern Teufel, mit dem Befehl, ihm dessen drei Kleinode zu bringen.

Der Junge ging wieder weg. Am Wege begegnete er einen Mann, der einen Mühlstein am Rücken trug und ihn frug, wohin er gehe. »Zum Teufel!« war seine Antwort. – »Dann sage ihm, dass ich nun schon zwölf Jahre diesen Mühlstein mit mir herumschleppe, ohne davon befreit werden zu können.« – »Ich werde es ihm ausrichten.« Bald hernach begegnete er ein junges Mädchen, das schon 14 Jahre krank war. Sie frug ihn ebenfalls, wohin er gehe und bat ihn, dem Teufel zu sagen, dass sie nun schon vierzehn Jahre an ihrem Übel trage. – »Ich werde es ihm ausrichten,« war seine Antwort. Nicht lange danach begegnete er einen alten Mann [20] mit zwei Stelzfüssen und als dieser wusste, wohin jener gehe, trug er ihm ebenfalls auf, dem Teufel sein Leid zu berichten und bat ihn, er möchte trachten, vom Teufel jenes Mittel zu erfahren, das ihn von seinen Stelzfüssen befreien würde! Auch diesem Alten versprach unser Junge, dem Teufel davon zu berichten.

Er kam zum Teufel, wo er eine alte Frau traf, die ihn sofort frug, was er hier wolle. Er erzählte ihr, warum er komme und dass er am Wege drei Leute begegnet habe, von denen die eine Person einen Mühlstein am Rücken trug, die zweite mit einer Krankheit behaftet war und die dritte Stelzfüsse hatte und dass ihn alle drei aufforderten, ihre Leidensgeschichte dem Teufel zu berichten, damit er sich ihrer annehme. Die Frau erwiderte ihm: »Mein Mann, der Teufel, frisst alle Christen! Wie konntest du denn hierher kommen?« – »Ich wurde eben hergeschickt und hoffe, dass du mir helfen wirst.« Sie versprach, ihm ihre Hilfe angedeihen zu lassen und verbarg ihn in einem Winkel.

Der Teufel kam zurück. Als er und seine Frau sich niedergelegt hatten, wartete letztere bis er einschlief und riss ihm nun eine Locke aus. Der Teufel erwachte und schrie: »Was machst du denn?« – »Mir träumte von einem Mann, der einen Mühlstein auf dem Rücken trug. Wie bringt er ihn los?« – »Er soll ihn auf die erste ihm begegnende Person werfen, dann wird ihn diese tragen.« Der Teufel schlief wieder ein und die Frau riss ihm die zweite Locke aus. Der Teufel ärgerte sich, doch die Frau erzählte ihm: »Mir träumte von einem jungen Mädchen, das nun schon vierzehn Jahre krank ist, ohne ihr Leiden wegzubringen.« – »Unter der Herdplatte ihres Hauses sitzt eine furchtbare Kröte, solange die nicht getötet ist, wird das Mädchen nicht gesunden.« Wieder schlief er ein. Die Frau riss ihm nun die dritte Locke aus, worüber er sich noch mehr ärgerte. Doch sie erklärte ihm: »Mir träumte von einem Mann mit Stelzfüssen. Wie wird er deren ledig?« – »In einem dieser Stelzfüsse ist eine Schlange verborgen; so lange diese nicht getötet wird, muss er Stelzfüsse tragen.«

Die Frau berichtete dem Jungen alles und übergab ihm die drei Locken. Unser Junge rettete die drei Unglücklichen, denen er sagte, was sie zu tun hätten, um ihrer Übel los und ledig zu werden.

Bei seinem Herrn angekommen, überreichte er diesem [21] ein Haar nach dem andern. Doch siehe! Als er das erste in Empfang nahm, begann er zu tanzen, beim zweiten erhob er sich etwas in die Luft und beim dritten flog er so hoch, dass man ihn nie mehr sah. Unser Junge ging nun zu seiner Mutter, heiratete bald darauf sein Mädchen und beide hatten Söhne und Töchter und lebten, wozu ihnen die Locken verholfen hatten, äusserst glücklich miteinander.


(Pays basque).

Quelle:
Blümml, Emil Karl: Schnurren und Schwänke des französischen Bauernvolkes. Leipzig: Deutsche Verlagsaktiengesellschaft, 1906, S. 16-22.
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