Drei rothe Ferkelchen.

[137] Es war einmal eine alte Frau, die in einem Hüttchen wohnte und eine einzige Kuh besaß. Sie hatte auch einen Jungen bei sich, der war ihr Enkel. Das war ein wunderlicher Kauz, er hatte so viele drollige Einfälle.

Einmal befand sich die alte Frau in großer Noth und Bedürftigkeit. Und da sagte sie dem Jungen, er müsse die Kuh zu Markte treiben und sie verkaufen. Er zog ab mit der Kuh; allein ehe er nach der Stadt kam, wo der Markt abgehalten wurde, traf er mit einer alten Frau zusammen, die neben ihm herging und ihn nach allem ausfrug, und zuletzt sagte sie: »Ich mag dich gern leiden, mein Junge, und ich will dir einen guten Rath geben: überlaß du mir die Kuh! Geld habe ich freilich nicht, aber du sollst statt dessen etwas erhalten, was viel besser ist.« Dann zeigte sie [138] dem Jungen, was sie in ihrer Schürze trug: es waren drei klitzekleine Ferkelchen, die waren so klein und so niedlich, ganz hellroth waren sie und mit kleinen Löckchen am Schwanze. Sie waren allerliebst anzusehen. Und dann nahm sie sie und setzte sie auf die Erde, und zog eine kleine Flöte hervor, auf der begann sie zu spielen, da tanzten die drei rothen Ferkelchen und wedelten mit den Schwänzen, daß es eine wahre Freude war zuzuschauen.

»Siehst du, mein lieber Junge!« sagte die Frau, »die will ich dir alle drei für deine alte langweilige Kuh geben, und die Flöte noch obendrein. Das ist doch gewiß ein guter Tausch, mit dem du zufrieden sein kannst.« Das schien dem Jungen auch, und so tauschte er. Er zog seine Jacke aus und legte die drei Ferkelchen hinein; es wäre ja Sünde, sie den ganzen Weg nach Hause gehen zu lassen. Die Flöte steckte er in seine Mütze, und dann lief er nach Hause, so schnell er konnte, und wies seiner Großmutter seelenvergnügt, was er für die Kuh bekommen hatte.

Sie begann zu weinen und zu jammern, und es half nichts, daß er die Ferkel vor ihr tanzen ließ. Sie sagte, der Junge sei toll, und er richte sie, die arme alte Frau, zu Grunde. Aber er sagte, sie solle sich nicht darüber betrüben, es sei ein sehr guter [139] Handel, den er gemacht habe; darauf könne sie sich verlassen.

Droben auf dem großen Edelhofe wohnte ein reicher Gutsherr mit seiner Frau, und sie hatten ein einziges Kind, eine über die Maßen schöne Tochter. Sie stand in demselben Alter mit dem Jungen, sie zählte erst fünfzehn Jahre; aber sie war schon eine feine Dame. Da der Junge wußte, daß der Gutsherr und seine Frau auf mehrere Tage zum Besuch verreist waren, und die Tochter allein zu Hause war, nahm er am anderen Tag seine Ferkel und ging vor ihr Fenster, und dann blies er auf seiner Flöte und ließ die Ferkel tanzen. Das Fräulein kam ans Fenster und sah zu, und die Ferkelchen gefielen ihr sehr wohl, und da kam sie zu ihm heraus und sagte, sie möchte so gern eins davon haben: wie viel es kosten solle? Ja, für Geld sei es nicht zu haben; aber er wolle ihr wohl eins davon überlassen, wenn er ihr die Wange streicheln dürfe, und sie ihm einige Eßwaaren für seine alte Großmutter mit nach Haus geben wolle.

Der Junge war zerlumpt, und seine Hände waren nicht sonderlich rein, so daß es dem Fräulein nicht sehr angenehm war, sich ihre schönen Wangen von ihm streicheln zu lassen. Aber sie war so darauf versessen, das Ferkel zu erhalten, daß sie ihm ihre Wange [140] hinhielt und ihn dieselbe streicheln ließ, und dann gab sie ihm ein ansehnliches Bündel Eßwaaren mit heim. Er kam ganz stolz nach Hause und sagte, das alles habe er für das eine Ferkel bekommen. Ja, das sei recht gut, sagte die Großmutter; aber wovon sollten sie leben, wenn dies verzehrt sei? »Kümmere dich darum nicht!« sagte der Junge; »ich werde schon für das Weitere sorgen.«

Am nächsten Morgen ging er mit den beiden anderen Ferkeln wieder vor das Fenster des Fräuleins; er blies die Flöte, und sie tanzten noch viel kunstfertiger, als zuvor. Das Fräulein kam herunter, um sich den Tanz anzusehen, sie hatte ihr Ferkel gar nicht zum Tanzen bringen können; daher meinte sie, es würde schon gehen, wenn dasselbe Gesellschaft bekäme, und sie noch ein Ferkel erhalten könnte. Sie frug, ob er ihr nicht eins der beiden verkaufen wolle. Er sagte: ja, er wolle ihr wohl noch eins überlassen, und er verlange nichts weiter dafür, als daß er ihr einen Kuß geben dürfe.

Er war sonst ein hübscher Junge, wenn er nur etwas sauberer gewesen wäre, aber er war schmutzig und hatte eben Schmalzbrod gegessen, so daß das kleine Fräulein ungern darauf eingehen wollte; aber das Ferkel stach ihr doch sehr in die Augen. »Sei es[141] drum!« sagte sie, und der Junge gab ihr einen derben Schmatz mitten auf den kleinen rothen Mund. Er erhielt auch einige Lebensmittel für seine Großmutter mit nach Hause. »Da siehst du,« sagte er, »das habe ich jetzt für das zweite Ferkel bekommen.« Sie sagte, das sei alles recht gut; aber wenn dies verzehrt sei, hätten sie ja wieder nichts. »Darum kümmere dich nicht,« sagte der Junge, »ich werde schon für das Weitere sorgen.«

Am Morgen des dritten Tages ging er wieder vor das Fenster des Fräuleins mit seinem letzten Ferkel. Er blies die Flöte, und das Ferkel hüpfte und sprang um ihn her, als wäre es ganz aus dem Häuschen. Das kleine Edelhofsfräulein kam heraus und schaute zu; sie hatte ihre beiden Ferkel nicht zum Tanzen bringen können. Sie dachte daher, sie müsse auch das dritte und die Flöte dazu haben; denn sie merkte wohl, daß in der die Kraft stecke, die kleinen Ferkelbeine in Schwung zu setzen. Sie frug also den Jungen, ob er ihr nicht das dritte Ferkel und die Flöte dazu verkaufen wolle. O ja, sagte der Junge, sie möge gern beides bekommen, wenn sie nur ihren Kopf in seinen Schooß legen wolle.

Die Kleider des Jungen waren beschmutzt und zerlumpt, und das Fräulein wollte ihr schönes schwarzes[142] Haar ungern verfitzt haben; aber wenn sie ihren Willen haben wollte, so mußte sie auch dem Jungen den seinen thun, und so legte sie denn ihren Kopf in seinen Schooß. Er strich mit den Fingern durch ihr Haar und merkte sich wohl, was er sah: ein goldenes Haar und ein silbernes Haar, und ein Haar, das ganz weiß war. Dann erhielt er auch einige Lebensmittel für seine Großmutter, und so kam er ohne Ferkel und ohne Flöte nach Hause. Er zeigte der Großmutter, was er für sein drittes Ferkel bekommen habe. Sie sagte, wie gewöhnlich: wenn dies verzehrt sei, hätten sie gar nichts mehr zu essen. Aber der Junge sagte, dafür werde er schon sorgen.

Der Gutsherr und seine Frau kamen indes nach Hause zurück, ehe der Junge und seine Großmutter alle Lebensmittel verzehrt hatten. Und jetzt kam der Gutsherr auf den Einfall, seine Tochter mit demjenigen verheiraten zu wollen, welcher drei heimliche Merkmale angeben könnte, die sie an sich trüge. Alsbald strömten viele junge Herren von allen Enden herbei. Der Eine rieth dies, und der Andere das; allein niemand wußte das Rechte zu treffen.

Der Junge hatte auch davon reden gehört, und er kam also gleichfalls zum Edelhofe. Er lief draußen vor den Fenstern umher und sang: »Ich weiß wohl,[143] was ich sagen will. Ich weiß wohl, was ich sagen will.« Das Fräulein hörte dies, und sie ward sehr ärgerlich darüber. Dann warf sie ihm etwas Geld aus dem Fenster zu und sagte: »Geh deiner Wege, du unartiger Junge!« Er that das Geld in seine Mütze; aber dann begann er sofort wieder sein altes Lied: »Ich weiß wohl, was ich sagen will. Ich weiß wohl, was ich sagen will.« Das Fräulein war sehr bange, daß sie solch einen armen zerlumpten Jungen zum Mann bekommen möchte, und sie warf mehr Geld zu ihm hinaus und sagte: »Ach, geh deiner Wege, du böser Junge! Ich kann dein Geschrei nicht länger anhören.« Er that das Geld in seine Mütze und begann von neuem: »Ich weiß wohl, was ich sagen will. Ich weiß wohl, was ich sagen will.« Sie warf ihm wiederum noch mehr Geld zu und bat ihn, doch seiner Wege zu gehen. Aber er fuhr fort zu singen, wie er es vorhin gethan hatte.

Mehrmals hatte er versucht, in den Edelhof hinein zu schlüpfen; aber jedes Mal war er von den Dienern zurückgewiesen worden, sie wollten einen so zerlumpten Burschen nicht hereinlassen. Da kam ein junger Edelmann, der auch sein Glück versuchen wollte. Er bemerkte den Jungen und hörte, was er vor sich hin trällerte. Da sagte er zu ihm: »Was weißt du denn?«[144] – »Die heimlichen Merkmale der Tochter des Gutsherrn,« sagte der Junge. »Theile mir sie mit,« sagte der junge Edelmann, »ich werde dich gut dafür belohnen.« – »Ja, du sollst sie erfahren,« sagte der Junge, »wenn du mich mit hinein nehmen willst. Ich kann auf deinen Stiefelstulpen stehen, und du schlägst deinen Mantel über mich. So kann ich mit hinein schlüpfen und mir den Spaß ansehen.«

Das ließ sich gut machen: der Junge stellte sich auf die Stiefelstulpen des Junkers und duckte sich unter seinen weiten Mantel. Der Junker sah freilich ziemlich wohlbeleibt aus, aber niemand merkte doch Unrath, und der Junge schlüpfte mit in das Zimmer hinein, wo die Herren noch standen und herumriethen; aber keiner hatte das Rechte getroffen. Da rief der Junge unter dem Mantel: »Das Fräulein hat ein goldenes Haar und ein silbernes Haar und ein weißes Haar auf dem Kopfe.« – »Das ist richtig!« sagte der Gutsherr. Da sprang der Junge aus seinem Versteck hervor und sagte, dann müsse er auch das Fräulein haben. Und dann schwenkte er seine rothe Mütze, daß alles Geld über die Diele hinrollte.

Dem Gutsherrn ward ganz wunderlich zu Muthe. Er konnte doch nicht gut sein Wort brechen: aber einen solchen Schwiegersohn hatte er sich ganz und[145] gar nicht gedacht. Da sagte er, um nur etwas zu sagen: »Aber was für Geld ist das?« – »Es ist das Geld, welches das Fräulein mir gegeben hat, damit ich schweige,« sagte der Junge. »Wie?« sagte der Gutsherr; »dann heraus mit der ganzen Geschichte!« Der Junge begann also mit dem Anfang: mit der Kuh und den drei rothen Ferkelchen, und von dem ersten Ferkel, das er der Tochter des Gutsherrn verkauft, und was er dafür erhalten, und dann von dem zweiten Ferkel, und was er dafür erhalten. Und als der Gutsherr hörte, daß er einen Kuß dafür erhalten hätte, wollte er nichts weiter von der Geschichte hören, sondern er wandte sich zu seiner Tochter und sagte: »Ja, wenn du ihn geküßt hast, sollst du ihn auch haben!« Und so geschah es: die beiden wurden verheiratet und sie blieben all ihre Lebenszeit gut freund mit einander.

Quelle:
Grundtvig, Svend: Dänische Volksmärchen 2. Leipzig: Joh. Barth, 1879, S. 137-146.
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