Hans und Grethe.

[89] Weit draußen vor dem Dorfe stand ein kleines Häuschen; darin wohnte ein Mann mit seiner Frau und seiner einzigen Tochter, welche Grethe hieß. Es waren zwar nur geringe Leute, aber brave und ordentliche Leute, und Grethe war ein recht fleißiges, gutes Mädchen und noch dazu ein bildhübsches Mädchen.

Unten im Dorfe gab es wohl manch stattlichen Bauernhof, aber der schönste war halt doch der, welchen Hans einmal erben sollte. Sein Vater war längst todt und die Mutter führte jetzt den ganzen Haushalt, wobei sie von Hans auf das treulichste unterstützt ward. Er mußte nur noch warten bis er zwanzig Jahre alt war, und dann bekam er von der Mutter Haus und Hof. Er war nicht allein der reichste, sondern außerdem auch der tüchtigste und schönste Bursche im ganzen [90] Dorfe, so daß es am Ende kein Wunder war, daß mehr als ein Mädchen ein Auge auf ihn geworfen hatte und ebenso auch Grethe.

Hans kam einmal in aller Frühe in die Küche, als Gretchen gerade allein war und sagte zu ihr: »Höre Gretchen! du bist ein hübsches Mädchen und ein braves Mädchen, und deshalb kann ich dich auch recht gut leiden, so daß ich dich einmal zu meiner Frau nehmen will, wenn du fein schweigen kannst und es jetzt noch niemandem sagen wirst« – »Ich danke dir schön!« sagte Grethe, »so etwas darf man freilich noch niemandem sagen.«

Hans ging nun wieder und Grethe sollte einen Topf voll Mehlbrei zum Frühstück kochen. Sie nahm eine Hand voll Mehl, die andere voll Asche und rührte dies durcheinander und dabei war sie voller Freude. Als die Mutter herauskam und sah, was die Tochter zusammenkochte, rief sie erstaunt aus: »Aber Gretchen! was treibst du denn da?« – »O Mutter,« antwortete sie, »ich bin so voller Freude.«

»Was freut dich denn so sehr?« fragte die Mutter darauf. »Ja,« sagte Grethe, »Hans war da und hat gesagt, er will mich zu seiner Frau nehmen, wenn ich schweigen kann und es jetzt noch niemandem sagen will.« – »Ja, so etwas darf man freilich noch niemandem [91] sagen,« sagte die Mutter und verrührte den Brei und schüttete ihn mitten auf den Küchenboden aus.

Jetzt kam der Mann heraus, um doch nachzusehen, wo die beiden heute mit seinem Frühstück bleiben. »Aber sagt mir nur, was treibt ihr denn da?« sagte er, als er ihre Arbeit sah. »O, wir sind so voller Freude!« antworteten beide.

»Was freut euch denn so sehr?« fragte der Mann. »Ja, der Hans war da und hat gesagt, er will die Grethe zur Frau nehmen,« sagte die Mutter, »wenn sie schweigen kann und es jetzt noch niemandem sagen will.« – »Ja, so etwas darf man freilich noch niemandem sagen,« erwiderte der Mann und ging hinaus und spannte die Pferde an die verkehrte Seite des Wagens.

Da kam gerade Hans vorbei, und als er das sah, sagte er: »Aber was treibt Ihr denn da?« – »O, ich bin so voller Freude!« antwortete der Mann. »Ja, was freut Euch denn so sehr?« fragte Hans. »Nun, weil du gesagt hast, du willst meine Tochter zur Frau nehmen,« erwiderte der Mann.

»Ja, das habe ich auch gesagt – wenn sie schweigen kann; aber das kann sie nicht!« Damit ging Hans voller Zorn seiner Wege.

[92] Und es vergingen viele Tage, ohne daß sie Hans wieder zu Gesichte bekamen. Endlich erfuhren sie, daß er um eines Großbauern Tochter gefreit habe und daß die Brautleute am nächsten Sonntag in der Kirche verkündigt werden sollten. Sie wurden zum ersten-und zum zweitenmal verkündigt; als sie aber zum drittenmal verkündigt werden sollten, sagte Grethe zu ihrer Mutter: »Ich muß heute doch in die Kirche, um noch einmal mit meinem alten Geliebten zum hl. Abendmahl zu gehen.« Und das that sie auch.

Als alle das Abendmahl empfangen hatten und wieder auf ihre Plätze zurückgingen, flüsterte Grethe dem Hans im Vorbeigehen zu: »Ich habe meinen Glauben an dich doch noch nicht aufgegeben.« Seine Braut, die selbstverständlich auch in der Kirche war, sah es und frug den Hans aus: »Was war denn das für ein Mädchen, das vorhin an dir vorbeiging und dir etwas zuflüsterte?« – »O, das war ein Mädchen, das ich einmal zu meiner Frau nehmen wollte, wenn sie hätte schweigen können, – aber das konnte sie nicht!« –

»Ah! – so etwas ist mir doch in meinem Leben noch nicht vorgekommen!« sagte die Braut, »nicht einmal schweigen konnte sie? – Ich habe doch schon sieben Kinder geboren, aber gesagt habe ich noch niemandem [93] ein Sterbenswörtchen davon, – nur jetzt ist es mir unversehens entschlüpft.« Als Hans das hörte, sprang er vom Stuhl auf, – und niemals sah sie ihn wieder. Nun heiratete er doch noch das Gretchen, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute noch glücklich miteinander.

Quelle:
Grundtvig, Svend: Dänische Volksmärchen [1]. Leipzig: Joh. Barth, 1878, S. 89-94.
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