Vorwort.

[7] »Dieses kleine Buch ist die erste reife Frucht einer mit gütigem Beistand vieler meiner Landsmänner und Frauen durch mehr als zwanzig Jahre fortgesetzten Sammlung von dänischen Volksmärchen, wie sie noch heutzutage im Volke, besonders im Munde und in der Erinnerung der Landleute fortlebend, in allen Gauen Dänemarks gefunden werden können.

Für die Form dieser kleinen Auswahl ist der Herausgeber vollkommen verantwortlich. Er hat die Märchen mit Freiheit, manchmal nach verschiedenen und untereinander in den Einzelnheiten abweichenden Aufzeichnungen aus verschiedenen Theilen des Landes [7] wiedergegeben und für seine Abweichungen wird er der ›gelehrten Welt‹ an einer andern Stelle Rede stehen. Hier aber sei jede Stubengelehrsamkeit ausgeschlossen. Er hat sich überall bemüht, den einfachen, gemüthlichen und volkstümlichen Ton der Darstellung fest zu halten; aber er war weit entfernt davon, das künstlich Hochtrabende oder Süßliche und das manchmal zwar Unschuldige, aber doch läppisch Geschmacklose, oder gar die geradezu anstößige Plumpheit, die sich bei dem gemeinen Volke zuweilen in die Wiedergabe dieser alten Erinnerungen des dänischen Volkes mengen, nachzuahmen.

Es durfte sich in diesem Buche, das für das ganze Volk, besonders aber die Jugend bestimmt ist, nichts finden, was mit Fug und Recht Anstoß erregen könnte. Und diese Rücksicht hatte sowohl auf die Wahl, als auf die Behandlung dieser Märchen einen bestimmenden Einfluß. Hauptsächlich wurde jedoch bei der Behandlung jedes einzelnen Märchens auf dessen eigenen Grundgedanken und auf dessen epische Ganzheit Rücksicht [8] genommen. Der Herausgeber wagt zu glauben, daß wenn sich auch keines dieser Märchen ganz genau so im Volksmunde wiederfindet, wie es hier auftritt, doch jedes einzelne dort als ein allgemein Bekanntes wieder anerkannt werden wird und zwar oft in einer viel reineren und vollständigeren Gestalt, als man es jetzt an irgend einem Orte finden kann; in einer Gestalt, die auf jeden Fall den oft verkrüppelten und unechten gegenwärtigen Formen ursprünglich zu Grunde gelegen haben muß.«

So weit Svend Grundtvig, der Herausgeber des dänischen Originales. Der Uebersetzer hat diesen Worten nur noch hinzuzufügen, daß er glaubt, mit der Uebersetzung dieser Märchen manchem eine Freude gemacht oder doch wenigstens einen Dienst geleistet zu haben. Denn abgesehen von der ureigenthümlichen Schönheit und Originalität derselben, dürften sie gewiß dem Germanisten und Mythologen einen schätzbaren Beitrag zur Sagenforschung darbieten; sie sind nämlich bedeutend origineller und selbstständiger, als die von [9] Asbjörnson und Moë gesammelten norwegischen Volksmärchen, die doch viele Aehnlichkeiten und manches Verwandtschaftliche mit unsern Schneewittchen, Aschenbrödel u.v.A. aufzuweisen haben, während uns hier zumeist ganz neue Personen und Verhältnisse mit durchgehends echt dänischem Localgepräge entgegentreten. Es sind, wie Svend Grundtvig in seinem klaren Einleitungsgedicht zur dänischen Ausgabe so schön sagt:


– – – – – – – – – – – – – – – – –

»Beerenfrüchte, die dem Boden

Dänemarks entsprossen, reiften

In des Dänenlandes Sommer.

Unter Haideblumenglocken

Und im Schatten mächt'ger Buchen,

In des Feldes Blumengarten

Sind sie eingesammelt worden.


Ohne Gift und ohne Galle

Findest du die Früchte, deren

Süßer Kern in rauher Schale

Nur Gesundheit ist und Wahrheit.

Sonnenglut und Windeskühle,

Blumenthau und Quellenfrische

Ließen aus der tiefen Erde

Eine Saat aus fernen Tagen

Sprießen, die sie dann erfüllten


[10] Mit dem Duft der Heimat und mit

Saft von unten, Kraft von oben: –

Saft und Kraft von ew'ger Jugend,

Ist des Volkes Stolz und Reichthun!« –


Wiewohl nun S. Grundtvig alles Gelehrtaussehende aus seiner Ausgabe verbannt hatte, konnte der Uebersetzer doch nicht umhin, einige kleine Anmerkungen beizufügen. Sie haben zumeist nur den Zweck, freier übersetzte Stellen entweder zu rechtfertigen oder Demjenigen, dem die buchstäbliche Genauigkeit erwünscht ist, eine wortgetreue Uebersetzung des Originals zu geben. Denn der Uebersetzer war gezwungen, manchmal vom Original in einzelnen Worten, die dem großen deutschen Lesepublikum unverständlich geblieben wären, abzuweichen und dafür ein deutsches Wort zu wählen, das dem Deutschen dieselbe Empfindung hervorruft, wie dem Dänen das dänische. Gezwungen war er aus dem Grunde dazu, weil es sein Streben war, den schlichten volksthümlichen Erzählerton des Originals auch im Deutschen wiederzugeben und da war es ja vor allem nöthig, alles Fremdartige [11] auszuschließen, worüber der mit dänischen Verhältnissen weniger Vertraute hätte stolpern können. Daß er sich aber deshalb doch nicht allzuviele Freiheiten erlaubte, davon wird sich jeder überzeugen, der sich die Mühe einer Vergleichung des Originals mit der Uebersetzung nehmen wollte.

Außerdem führte der Uebersetzer einige parallele Züge dieser mit einigen andern (hauptsächlich ungarischen) Volksmärchen an. Daß er dies that und daß er vielleicht viel weltbekanntere Märchen, die auch einen oder den andern ähnlichen Zug aufzuweisen haben, nicht erwähnte, hat seine Ursache darin, daß er es nicht für nothwendig erachtete, auf Das, was einem jeden in Märchen- und Sagenliteratur Bewanderten von selbst auffallen kann, hinzuweisen. Dagegen ist der Vergleich der Märchen eines germanischen Stammes mit einem, wenn man so sagen darf, finnisch-asiatischen, gewiß nicht uninteressant, da ja die letzteren noch wenig in Deutschland bekannt sind. Der Uebersetzer ist weit entfernt, zu behaupten,[12] daß er einen solchen eingehenden Vergleich gemacht hat; die angeführten Parallelen sind ihm nur während der Arbeit aufgestoßen und wenn er sie anführte, so wollte er damit nur den ersten Anstoß geben, der einen Andern, Berufeneren zu einem Vergleich ermuntern könnte.

S. Grundtvig fordert am Schlusse seines Nachwortes alle Dänen eindringlich auf, ihm in seiner Sammlung alter dänischer Sagen und Märchen, Gebräuche und Sitten hilfreiche Hand zu bieten und so das alte geistige Eigenthum seines Volkes jetzt, »in der letzten Stunde,« da es vielleicht noch Zeit ist, zu retten; und es ist gewiß, daß ihm ganz Dänemark in diesem nationalen Bestreben beistehen wird. Uns aber eröffnet es die angenehme Aussicht, daß wir bald mit einer neuen Sammlung beschenkt werden, die der ersten gewiß nicht nachstehen wird, wofür ja schon der Name des Herausgebers Svend Grundtvig, des ausgezeichneten Sohnes seines ausgezeichneten Vaters N. F. S. Grundtvig bürgt. Sollte diese Sammlung hinsichtlich [13] ihrer Güte verdienten Anklang in Deutschland finden, so wird dies für den Uebersetzer eine Aufmunterung sein, auch die hoffentlich noch folgenden Sammlungen von dänischen Märchen dem deutschen Publikum zugänglich zu machen.

So sei denn mit S. Grundtvig's Worten dieses Büchlein der »Jugend« dargereicht:


– – »wo sie sich auch finden möge,

Blühend noch im Kindheitskleide,

Hinter faltenreicher Stirne,

Die mit weiß und blonden Locken

Kindlich frohen Sinn bewahrte.«


Wien, im Februar 1877.


Willibald Leo.

Quelle:
Grundtvig, Svend: Dänische Volksmärchen [1]. Leipzig: Joh. Barth, 1878.
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