[274] 60. Horn und Rimenhild

Ich will euch eine Geschichte erzählen von König Murry, der in Süddänen herrschte, solange ihm Gott das Leben gönnte. Godhild hieß seine Gemahlin, mit der er einen Sohn namens Horn hatte, der war der schönste Knabe, den je der Regen berann und die Sonne beschien, er glänzte wie Glas und war weißer als eine Blume, als er sein 15. Lebensjahr[274] erreicht hatte. Zwölf Gefährten hatte er, die stets um ihn waren, alles Söhne edler Männer, und zwei von ihnen liebte er am meisten, das waren Athulf und Fikenhild, aber Athulf war der beste und Fikenhild der schlechteste. Es war an einem Sommertag, als König Murry zu seiner Kurzweil am Gestade ritt. Da fand er am Strande fünfzehn Schiffe mit Sarazenen bemannt, die an seinem Lande geankert hatten. Er fragte, was sie suchten. »Dein Volk wollen wir erschlagen«, antworteten sie, »und alle, die an Christus glauben und dich selbst dazu.« Der König stieg mit seinen Begleitern vom Roß und griff zum Schwert, aber sie waren zu wenige gegen die Schar der Heiden und fanden da ihren Tod. Die Feinde gingen an Land und töteten alle Leute, die ihr Gesetz nicht annehmen wollten. Am übelsten war Godhild daran, sie weinte über Murrys Tod und über ihren Sohn; sie floh in eine Felsenhöhle, wo sie Gott ohne Wissen der Heiden diente, und betete zu Jesus für ihren Sohn Horn. Dieser war samt seinen Gefährten in die Hände der Sarazenen gefallen und sie hätten ihn erschlagen, wenn sie nicht seine Schönheit erbarmt hätte. »Horn,« sprach ein Emir, »du bist groß und stark, und wenn du am Leben bliebest und noch sieben Jahre wüchsest, so würdest du uns alle erschlagen. Deshalb wollen wir dich mit deinen Gefährten auf ein Schiff ohne Segel und Steuer aussetzen und die See soll euch verschlingen.« Die Kinder gingen händeringend zum Strande; nie war Horn so weh gewesen wie jetzt. Die See begann zu fluten und Horn ruderte. Das Meer trieb das Schiff den ganzen Tag über schnell vorwärts, und als die Nacht vorüber war, sah Horn Menschen an einem Ufer. »Gefährten,« rief er, »ich melde euch gute Märe! Ich höre Vögel singen und sehe das Gras sprießen. Freuen wir uns des Lebens, denn unser Schiff ist am Lande!« Sie gingen an Land und ihr Schiff schaukelte auf den Wellen. Da sprach Horn zu ihm: »Schiff auf der Flut, fahr wohl! Wenn du wieder in die Heimat kommst, so grüße meine Lieben von mir, grüße mir meine Mutter und sage dem Heidenkönig, dem Antichrist, daß ich heil an Land kam und daß er noch die Streiche meiner Hand spüren soll.« Das Schifflein trieb ins Meer, da weinte der Knabe. Über Täler und Hügel zogen die Kinder, bis sie vor eine Stadt kamen. Da trafen sie König Ailmar von Westernes. Er sprach gütige Worte zu Horn und fragte ihn, wie er heiße und woher er komme. Horn erzählte ihm alles und dem König gefiel der stolze Knabe so wohl, daß er ihn nicht wieder von sich lassen mochte. Er ritt mit ihm und allen seinen Gefährten[275] auf sein Schloß. Der König trat in die Halle, wo seine Ritter saßen und rief seinen Hofmeister Athelbrus. »Hofmeister,« sagte er, »nimm diesen Findling und lehre ihn deine Künste in Wald und Fluß, lehre ihn Harfe spielen und mir vorschneiden und den Becher kredenzen. Unterweise auch seine Gefährten in andern Diensten.« Athelbrus unterwies Horn und seine Gefährten und Horn nahm alles gut auf. Überall bei Hofe und draußen liebte man den Knaben Horn, am meisten aber liebte ihn Rimenhild, die eigene Tochter des Königs. Sie liebte ihn so heiß, daß sie fast den Verstand darüber verlor, denn bei Tische konnte sie kein Wort mit ihm reden und ebensowenig in der Halle bei all den Rittern noch irgendwo sonst, denn sie scheute sich vor den Leuten. Um der Pein ihres Herzens abzuhelfen, bedachte sie sich so: sie sandte zu Athelbrus und gebot ihm, mit Horn in ihr Gemach zu kommen. Der Hofmeister war betrübt, den er wußte nicht, was er tun solle. Es dünkte ihn gefährlich, Horn in ihr Gemach zu führen, darum nahm er Horns Gefährten Athulf mit. »Athulf,« sagte er, »du sollst an Stelle Horns zu Rimenhild gehen und sie täuschen, denn ich fürchte, sie will Horn verführen.« Rimenhild glaubte, sie habe Horn vor sich und hieß ihn auf ihr Lager sitzen, sie umschlang Athulf mit dem Arm und sprach zu ihm: »Horn, seit langem liebe ich dich innig. Du sollst mir Treue geloben und mich als Gattin besitzen und ich will dich als Herrn achten.« Athulf flüsterte ihr ins Ohr: »Rede nicht weiter, denn man will dich täuschen. Schweig, denn Horn ist nicht hier und niemand seinesgleichen, denn er ist schön und reich. Wäre Horn auch tausend Meilen von hier, so wollte ich ihn doch nicht betrügen.« Da wandte sich Rimenhild um und schalt Athelbrus: »Ich hasse dich, Athelbrus, geh aus meinen Augen und Unheil verfolge dich! Ich sprach nicht mit Horn, denn der ist weit schöner.« Athelbrus fiel auf die Knie: »Herrin, gedulde dich ein wenig, ich bringe dir sogleich Horn hierher. Ailmar vertraute mir ihn an und ich fürchtete, wenn du mit ihm allein sein würdest, so möchte der König mir zürnen. Vergib mir, Herrin, den Trug und laß mich Horn holen!« Rimenhild lachte wieder: »Geh nun und sende mir ihn her, wenn der König zur Jagd geht. Dann klagt dich niemand an und er soll bis Abend bei mir bleiben. Tut er meinen Willen, so kümmere ich mich nicht um das, was die Leute reden.« Athelbrus ging und fand Horn in der Halle, wo er dem König Wein schenkte. »Horn,« sprach er, »komm nach dem Mahl in Rimenhilds Gemach, es soll dich nicht reuen.« Horn tat wie ihm geheißen war, er fiel vor[276] der Königstochter auf die Knie und begrüßte sie liebreich. Der ganze Raum glänzte von seiner Schönheit. Er sprach: »Sei mir gegrüßt, Jungfrau! Der Hofmeister schickte mich her, um mit dir zu reden. Sage mir, was du befiehlst und ich will dich hören.« Rimenhild nahm ihn bei der Hand und küßte ihn: »Willkommen, Horn,« sprach sie, »ich sehne mich morgens und abends nach dir, ich habe nicht Ruhe noch Schlaf. Horn, lindere meine Qual und nimm mich zum Weibe, hab Erbarmen mit mir und gib mir dein Treuwort!« Horn bedachte sich erst, ehe er erwiderte: »Ich bin zu niedrig geboren, um solch ein Weib zu besitzen, ich bin ein Knecht und ein Findling, und zwischen einem Knecht und einer Königstochter kann es keine Gemeinschaft geben.« Rimenhild seufzte und die Sinne verließen sie. Horn nahm sie erschreckt in beide Arme und küßte sie: »Süßes Lieb,« sprach er, »tröste dich! Hilf, daß ich von deinem Vater den Ritterschlag erhalte, dann ist meine Knechtschaft in Ritterschaft verwandelt und ich bin deiner wert.« Rimenhild erwachte von ihrer Ohnmacht und sprach: »Alsbald soll das geschehen, Horn. Ehe sieben Nächte vergangen sind, sollst du Ritter sein. Bring diesen Becher und diesen Ring zu Athelbrus und sage ihm, er möge vor dem König niederfallen und ihn bitten, dich zum Ritter zu schlagen, ich will es ihm mit Gold und Silber lohnen.« Horn nahm Urlaub, denn der Abend kam. Er suchte Athelbrus auf, gab ihm die Geschenke und sagte ihm seinen Auftrag. Dieser ging zum König und bat ihn, Horn zum Ritter zu schlagen, was auch zugesagt wurde. Als der Tag graute, trat Horn mit seinen zwölf Genossen vor den König und erhielt den Ritterschlag mit Schwert und Sporen. Darauf fiel Athulf vor dem König auf die Knie und sprach: »König, gewähre mir eine Bitte! Nun ist Herr Horn ein Ritter; er ist Herr in seinem Lande und unser Herr. Erlaube, daß er uns alle zu Rittern schlägt, denn das ist sein Recht.« So geschah es und auf den Ritterschlag folgte ein prächtiges Fest, aber Rimenhild war nicht dabei und die Zeit dünkte ihr endlos lang. Sie sandte nach Horn und er kam in ihr Gemach, aber er kam nicht allein, sondern Athulf begleitete ihn. Rimenhild sprach zu ihm: »Willkommen, Herr Horn! Ritter, nun ist es Zeit, bei mir zu sitzen. Tu nun, was du versprachst und nimm mich zum Weibe! Dein Wunsch ist erfüllt, nun nimm mir auch meine Sorgen!« »Schweige, Rimenhild,« versetzte er, »ich will deinen Willen tun. Aber zuvor will ich mit dem Speer ausreiten und meine Ritterschaft erweisen. Wir sind heute Ritter, und Ritters Art ist es, für die Geliebte zu fechten, ehe er sie heimführt.«[277] »Ritter,« sprach sie, »nimm diesen goldenen Ring und trage ihn mir zu Liebe am Finger. Der Stein ist von solcher Kraft, daß du keinen Streich zu fürchten brauchst, wenn du ihn anschaust und dabei deiner Liebsten denkst.« Der Ritter küßte sie und nahm Abschied von ihr, darauf trat er wieder in die Halle. Als die Ritter zur Tafel gingen, eilte er in den Stall und zog ein kohlschwarzes Roß heraus. Das Roß schüttelte sein Panzerhemd, daß der ganze Hof widerhallte und sprang vor Freude, aber Horn sang ein fröhliches Lied. Mehr als eine Meile ritt er, da fand er am Strande ein Schiff mit Heidenhunden. Er fragte sie, was sie suchten und ein Heide antwortete ihm: »Wir wollen dies Land erobern und alle erschlagen, die darin sind.« Horn griff nach seinem Schwert und schmetterte den Sarazenen nieder. Da liefen ihn alle die Heiden an, er aber schaute auf seinen Ring und dachte an Rimenhild. Wohl hundert erschlug er, dann nahm er den Kopf des Häuptlings und heftete ihn an die Spitze seines Schwertes. So trat er in die Halle vor all die Ritter und erzählte sein Abenteuer. – Der Tag brach an und der König ritt zur Jagd. Mit ihm ritt Fikenhild, der Verräter. Horn eilte in Rimenhilds Gemach, da fand er sie tränenüberströmt in der Sonne sitzen. »Warum weinst du so heiß, mein Lieb?« fragte er. »Als ich im Schlafe lag, da war mir, als ginge ich zum Fischen, ich warf mein Netz ins Meer und fing einen großen Fisch, aber mein Netz zerriß und der Fisch entkam mir. Ich wähne, ich soll den Fisch verlieren, den ich erkiesen wollte.« »Christ gebe, daß dein Traum nicht in Erfüllung gehe. Ich will dich nicht betrügen noch dir mißfallen und gebe dir mein Wort, daß ich dein eigen sein will.« Indessen ritt König Ailmar zur Jagd, aber der neidische Fikenhild sprach zu ihm: »Ailmar, ich warne dich! Horn trachtet dir nach dem Leben, um Rimenhild zum Weibe zu gewinnen. Jetzt liegt er bei ihr im Schlafgemach und so tut er oft. Geh hin und du wirst ihn finden. Ich rate dir: verbanne ihn, ehe er dir Schmach antut.« Ailmar kehrte sogleich um und fand Horn in den Armen Rimenhilds. »Hinaus!« rief er, »hinaus, elender Findling! Fliehst du nicht schnell, so trifft dich mein Schwert; verlaß mein Land oder ich füge dir Schande zu!« Horn sattelte sein Roß und gürtete seine Waffen um. Dann suchte er Rimenhild noch einmal auf und sprach: »Liebste, nun hat sich dein Traum erfüllt. Der Fisch, der dein Netz zerriß, hat mich von hier verjagt. Nun lebe wohl, Rimenhild, denn ich muß in unbekannte Lande gehen und dort sieben Jahre bleiben. Kehre ich nach dieser Frist nicht wieder und sende keine Botschaft, so wähle dir[278] einen Gatten und zögere meinetwegen nicht. Umfange mich mit den Armen und küsse mich!« Sie küßten einander und Rimenhild fiel ohnmächtig nieder. Horn nahm Urlaub, dann faßte er den treuen Athulf um den Nacken und sprach: »Freund, hüte du mein Lieb! Du verrietest mich nie, dir empfehle ich Rimenhild!« Dann stieg er auf sein Roß und ritt davon und alle, die zurückblieben, weinten. – Er ritt zum Hafen und mietete ein Schiff und der Wind trieb ihn nach Irland. Da traf er zwei edle Jünglinge, Athild und Berhild, die ihn nach Name und Herkunft fragten. »Cutbert heiße ich,« sprach er, »und komme aus fernen Landen übers Meer, mein Glück zu suchen.« Berhild nahm sein Roß am Zügel: »Sei willkommen und diene dem König, wenn ich sterben muß. Nie sah ich einen so stattlichen Ritter wie dich.« Er führte Horn zur Halle und König Thurston nahm ihn freundlich auf. – Es war zu Weihnachten, da trat ein gewaltiger Riese aus dem Heidenlande vor den König und sprach: »Herr, es sind fünf Schiffe von uns gelandet. Einer von uns will gegen drei der euern kämpfen, wenn eure drei siegen, so soll das Land euer sein, schlägt unser Kämpfer aber euch, so gehört das Land uns. Morgen bei Tagesanbruch soll der Kampf stattfinden.« Da sagte der König: »Cutbert soll der eine sein, mein Sohn Berhild der zweite und sein Bruder Athild der dritte.« Horn sprach: »Herr, es ist nicht recht, selbdritt gegen einen zu fechten. Ich will allein hingehen und werde ihn leicht mit meinem Schwerte zu Tode bringen.« Der König stand am Morgen auf und war sehr bekümmert. Auch Horn erhob sich und legte seine Waffen an. »König, komm ins Feld und schau, wie wir fechten werden!« Sie ritten aus und fanden auf einer Wiese einen gewaltigen Riesen, der an der Seite seiner Gefährten den Tag erwartete. Horn griff ihn an und versetzte ihm viele Streiche. Der Heide rief: »Nie erhielt ich von einem Menschen so heftige Streiche, außer vom König Murry, den ich in Süddänen erschlug.« Da erschauerte Horn, denn er sah den vor sich stehen, der ihn aus seinem Lande vertrieben und seinen Vater erschlagen hatte. Er schaute auf seinen Ring und dachte an Rimenhild, dann traf er ihn ins Herz. Die Heiden aber eilten von dannen; Horn verfolgte sie mit seinen Begleitern und tötete alle. Die Ritter des Königs hatten wenig Verluste, nur seine beiden Söhne waren gefallen. Der König sprach: »Tu, Cutbert, wie ich dir gebiete! Meine Erben liegen hier erschlagen, nun sollst du des Reiches walten und meine Tochter Reynhild zur Gattin nehmen.« »Herr, ich täte Unrecht, wenn ich Tochter und Land von euch nähme. Aber ich[279] werde euch sieben Jahre lang dienen und wenn ich dann eure Tochter begehre, so sollt ihr sie mir nicht abschlagen.« Horn blieb volle sieben Jahre dort; zu Rimenhild sandte er keinen Boten und kam auch nicht selbst zu ihr. – Rimenhild saß gar traurig in Westernes, denn König Modi wollte sie zum Weibe haben und ihr Vater war damit einverstanden. Die Frist war kurz und erlaubte kein Zögern, daher sandte sie einen Boten, der Horn suchen sollte. Horn wußte nichts davon, bis er eines Tages zum Jagen ritt, da traf er den Boten, der ihm seinen Auftrag mitteilte und ihn fragte, wo er Horn suchen solle. »Knabe, tröste dich,« sagte Horn mit bittern Tränen, »Horn steht vor dir. Kehre nur wieder um und sage Rimenhild, sie solle nicht trauern. Ich werde rechtzeitig am Sonntag zur ersten Stunde bei euch sein.« Da kehrte der Bote froh wieder um, aber die See verschlang ihn. Rimenhild schaute aus ihrem Fenster übers Meer, ob sie nichts von Horn ersähe, da gewahrte sie den Boten ertrunken am Strande, der Horn hätte herbringen sollen. Sie rang ihre Hände und weinte. Horn aber trat vor König Thurston, enthüllte ihm, wer er sei und daß er Rimenhild liebe und sprach: »König, nun vergilt mir meine Dienste und hilf mir Rimenhild gewinnen. Deine Tochter will ich meinem Gefährten Athulf zum Weibe geben, der der treueste von allen Rittern ist.« Der König besandte seine Mannen und sie sammelten sich um Horn. Mit seinen irischen Rittern bestieg er ein Schiff und landete bald darauf in Westernes. Der Sonntag war angebrochen und die Messe für Rimenhild die junge und König Modi wurde gesungen. Horn ging an Land und ließ seine Leute im Walde zurück. Er traf einen Pilger. »Pilger, du sollst mir berichten, was du sahst!« »Ich komme von einer Hochzeit, ich war bei der Vermählung der jungen Rimenhild. Aber sie konnte sich nicht enthalten, daß sie aus ihren Augen weinte. Sie sagte, sie wolle nicht vermählt sein, denn sie hätte schon einen Gemahl, wenn er auch außer Landes sei. Modi behandelte sie streng und führte sie in ein festes Schloß; ich war am Tor, aber man ließ mich nicht ein. Da schlich ich mich weg, denn der Jammer der Braut tat mir weh.« »Wir wollen die Kleider tauschen! Nimm meine Gewänder und gib mir deinen Bettlermantel!« Horn nahm die Tasche und den Stab und berußte sein Gesicht. Dann kam er zum Torwart, der ihn schroff abwies. Horn bat ihn freundlich zu öffnen, aber umsonst, da brach er das Pförtlein auf; der Wächter wollte ihm wehren, aber er warf ihn von der Brücke, daß er die Rippen zerbrach und eilte zur Halle. Dort setzte er sich in die Reihe der Bettler. Er schaute[280] sich um und sah Rimenhild sitzen; sie weinte und niemand konnte sie trösten, aber seinen treuen Athulf sah er nicht, denn der hielt vom Turme Ausschau, ob noch kein Schiff den Retter bringen wolle. »Horn, du weilst zu lange,« sprach der Getreue, »ich habe dir Rimenhild gehütet, nun kann ich sie nicht länger hüten.« Rimenhild erhob sich von der Bank, um den Rittern nach dem Mahle Wein und Ale zu schenken. Sie trug ein Horn in der Hand, aus dem sie den Rittern und Knappen zutrank. Horn hockte am Boden und sprach: »Königin, komm zu mir! Schenk uns zuerst, denn uns Bettler dürstet.« Da setzte sie ihr Horn nieder und füllte ihm einen Becher mit Braunbier. »Nimm diesen Becher«, sprach sie, »und trink ihn leer; nie sah ich, dünkt mich, so kühnen Bettler.« Horn reichte ihn seinem Nachbarn und sagte: »Königin, ich mag nicht trinken außer aus einem Kristallpokal. Du meinst ich sei ein Bettler. Ich bin aber ein Fischer, fernher gekommen, um beim Fest zu fischen; mein Netz liegt hier in einem schönen Teich und dort liegt es schon seit sieben Jahren. Nun bin ich gekommen um nachzusehen, ob sich ein Fisch darin gefangen hat. Wenn das der Fall ist, so sollst du davon Gewinn haben. Zu fischen kam ich her, nun trink mir zu! Auf Horns Wohl trinke aus deinem Trinkhorn!« Rimenhild blickte ihn an und ihr Herz erstarrte, sie verstand nicht, was er mit dem Fischen meinte und erkannte Horn nicht; es dünkte sie seltsam, daß er sie trinken hieß. Sie füllte ihr Trinkhorn mit Wein und trank dem Pilger zu: »Trink dich satt und dann sag mir, ob du jemals Horn sahest.« Horn trank und warf seinen Ring auf des Bechers Grund; die Königin aber eilte mit ihren Frauen in ihr Gemach, da fand sie, was sie wollte: den Ring, den sie Horn gegeben hatte. Die Angst packte sie, Horn möchte gestorben sein, daher sandte sie nach dem Pilger, um ihn zu fragen, woher er den Ring habe. Der sprach: »Weit in der Ferne wanderte ich westwärts, mein Glück zu suchen; da fand ich den Knaben Horn am Strande stehen, wie er zu Schiff nach Westernes fahren wollte. Ich reiste mit ihm übers Meer, aber Horn ward krank und starb und sterbend sprach er zu mir: »Geh mit diesem Ring zu Rimenhild der jungen!« Wie oft küßte er ihn! Gott gebe seiner Seele Frieden!« Rimenhild sprach: »Nun brich, mein Herz! Nun hast du Horn nicht mehr, nach dem du so sehr dich gesehnt!« Sie fiel auf ihr Bett, wo sie ein Messer verborgen hatte, um den verhaßten König und sich selbst in der Nacht damit zu töten, wenn Horn nicht käme. Sie setzte das Messer ans Herz, aber Horn riß sie zurück. Er wischte den Ruß hinweg[281] und sprach: »Königin, ich bin Horn, dein eigen, kennst du mich nicht?« Da umarmten und küßten sie einander nach Herzenslust. »Rimenhild,« sagte er dann, »ich kehre zum Walde zurück, da harren meine Ritter kampfbereit, die sollen dem König sein Hochzeitsfest warm machen.« Er sprang aus der Halle und warf seinen Pilgermantel ab, die Königin aber ging zum Turm und suchte Athulf auf: »Freue dich, Athulf, denn Horn ist wieder da.« Da eilte dieser hin, wo Horn seine Scharen sammelte. Vom Fuß bis zum Kopf bewaffnet drang Horn mit den Seinen ins Schloß und alle die darin waren, außer den zwölf Gefährten und dem König Ailmar, wurden niedergemacht. Fikenhild schwur einen Eid, Horn nie mehr zu betrügen, aber er hielt ihn nicht und fand später von Horns Hand seinen Tod. Da läuteten die Glocken zum Hochzeitsfest, Horn aber trat vor den König und empfing Rimenhild zum Weibe. Darauf erhob sich ein frohes Fest, die Tafeln waren reich besetzt und die Halle klang von Lied und Harfenspiel. Nach einigen Tagen fuhr Horn mit seinen Getreuen nach Süddänen und eroberte sein Erbland zurück, dorthin holte er auch Rimenhild und sie wurde seine Königin und sie liebten einander innig. Nun sind sie beide tot. Christus geleite sie in sein Paradies.

Quelle:
Tegethoff, Ernst: Märchen, Schwänke und Fabeln. München 1925, S. 274-282.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Feldblumen

Feldblumen

Der junge Wiener Maler Albrecht schreibt im Sommer 1834 neunzehn Briefe an seinen Freund Titus, die er mit den Namen von Feldblumen überschreibt und darin überschwänglich von seiner Liebe zu Angela schwärmt. Bis er diese in den Armen eines anderen findet.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon