[282] 61. Der Graf von Toulouse

Einst lebte in Deutschland ein mächtiger Kaiser, Diokletian genannt, der enterbte manchen Mann und gewann mit Falschheit sein Land. So hatte er auch dem Grafen von Toulouse, Herrn Bernhard, ein Stück Landes im Werte von dreihundert Pfund geraubt. Der Graf sah, wie ihm der Kaiser Unrecht tat; er bereitete sich zur Schlacht und fiel in des Kaisers Lande ein, mordend und brandschatzend. Dieser Kaiser hatte ein Weib, das war das schönste das je gelebt, nächst Maria der Magd, und dazu treu und gut. Sie sprach zum Kaiser: »Lieber Herr ich bitte euch, gebt dem Grafen sein Recht!« »Dame,« erwiderte er, »den Tag sollt ihr nimmer erleben, daß er sein Land zurückerhält. Eher will ich ihm den Schädel einschlagen. Er kämpft in meinem Lande, in vierzehn Tagen werde ich ihm gegenüberstehen.« Und er besandte seine Leute, daß sie ihm im Kampfe Hilfe leisteten. Der Tag zur Schlacht wurde angesetzt, und als die Heere im Felde zusammentrafen, wurde mancher Schädel gespalten. Der Graf selbst trug eine Streitaxt und erschlug an diesem Tage hundert Mann, und so reichlich floß das Blut, daß das ganze Gefilde überflutet wurde.[282] Der Graf von Toulouse errang den Sieg und der Kaiser mußte mit drei Baronen in ein nahes Schloß fliehen, all sein übriges Heer war erschlagen und gefangen; der Graf aber dankte der hl. Dreifaltigkeit für ihre Hilfe. Als der Kaiser so Land und Leute verloren hatte, erseufzte er schwer und schwur bei dem, der am Kreuze starb, er wolle nicht Speise noch Trank genießen, bis er gerächt sei. Die Kaiserin sprach: »Lieber Herr, ihr versöhntet euch besser mit dem Grafen als daß ihr euch in neue Gefahren stürzt.« »Dame,« erwiderte der Kaiser, »mein Herz ist mir ob der Schande weh, meine Barone sind erschlagen und schwere Sorge drückt mich.« »Aber ihr habt gefehlt und er ist im Recht.« Der Kaiser ging seufzend hinweg und sprach kein Wort weiter. Er zog durch seine Lande, um ein neues Heer zu rüsten. – Der Graf von Toulouse hatte viele Ritter gefangen genommen und nahm viel Geld für ihre Lösung ein. Unter den Gefangenen war ein besonders mächtiger Herr, der manche Stadt besaß, der hieß Sir Tralabas, ein Mann von hohem Ruhm. Eines Tages geschah es, daß der Graf mit ihm zur Falkenbeize an einem Flusse ritt, da sagte er zu Sir Tralabas: »Berichtet mir, Herr, um Gotteswillen, über ein Ding, das weit bekannt ist! Der Kaiser hat das schönste Weib, das lebt. Wie groß muß ihr Stolz sein, wenn sie so schön ist, wie man sagt.« »Bei meiner Ritterehre, ihr könnt im Christen- und Heidenlande suchen und ihr werdet kein schöneres Weib finden. Ihre Haut ist weiß wie Schnee, ihre Wangen sind röter als Rosenblüten, niemand kann sich etwas Schöneres ausmalen.« »Bei Gottes Gnade, ich erlasse euch euer Lösegeld und verpflichte mich, euch zu helfen, solange ich lebe, wenn ihr mich in sicherem Geleit dahin bringen wollt, wo ich sie sehen kann.« »Ich gebe euch mein Wort darauf, daß ich euch ihren Anblick verschaffe.« »Ich vertraue euch wie meinem Freund. Auf denn, rüsten wir uns zum Aufbruch, um das Weib zu sehen!« Sie ritten davon und hielten nicht an, bis sie in die Stadt kamen, in der die Kaiserin weilte. Der Graf kleidete sich in ein Bettlergewand, um unerkannt zu bleiben. Der Ritter aber sann auf Verrat; er trat in das Gemach der Kaiserin, warf sich ihr zu Füßen und sprach: »Herrin, so wahr Gott mir helfe, der Graf von Toulouse, unser größter Feind, ist in meiner Gewalt.« »Wie kam er her?« »Dame, er hat mir mein Lösegeld erlassen aus Liebe zu euch. Er sehnt sich so, euch zu sehen und ich habe mich verpflichtet, ihm euch zu zeigen. Herrin, er ist unser größter Feind, deshalb rate ich, daß wir ihn erschlagen.« Die Dame sprach: »Deine Seele ist verloren, wenn du so handelst, du mußt deinen[283] Treuschwur halten. Morgen, wenn du die Glocke hörst, bring ihn in meine Kapelle, dort mag er mich nach Herzenlust betrachten. Betrügst du ihn, so ist dein Seelenheil dahin, es wäre eine Schurkentat, ihn zu verraten.« Der Ritter ging zum Grafen und sprach: »Herr, morgen sollt ihr die Kaiserin sehen. Sobald wir die Glocke hören, soll ich euch in die Kapelle führen, dort mögt ihr sie nach Herzenslust betrachten.« »Ihr sollt eure Hilfe nicht bereuen, solange ich lebe.« Am andern Morgen, als sie zur Messe läuteten, schritt er mit seinem Führer zur Kapelle. Kurze Weile standen sie dort, da kam die hehre Frau; zwei Grafen geleiteten sie, wunderreich war sie gekleidet in Gold und kostbares Geschmeide. Als der Graf sie erblickte, dünkte sie ihm so schön wie die Blüten des Frühlings. Sie blieb vor dem Grafen stehen und zeigte ihm offen ihr Antlitz, noch zweimal drehte sie sich nach ihm um; als er sie recht betrachtet hatte, ging sie in die Kapelle, die Messe zu hören. Der Graf sagte: »O Herr, ich möchte, ich wäre wert, ihr Liebster zu sein und sie hätte keinen Ehegemahl. Alles Gold der Erde gäbe ich darum!« Als die Messe zu Ende war, kehrte die Kaiserin in ihr Gemach zurück und der Graf seufzte bei dem Gedanken, sie nie mehr wiedersehen zu dürfen. »Ich will ein Almosen von ihr fordern,« sagte er, »könnte ich etwas von ihr erlangen, um es jeden Tag zu betrachten, so würde das meinen Kummer lindern.« Der Graf kniete nieder und bat um Gottes willen um eine Gabe. Die Kaiserin rief einen Ritter, ließ sich vierzig Gulden bringen und gab sie dem Bettler, und zwischen das Gold legte sie einen Ring, den sie von ihrem Finger streifte. Während er ihr dankte, kehrte sie in ihr Gemach zurück. Der Graf ging in seine Herberge, und große Freude erfüllte ihn, als er den Ring gewahrte, er küßte ihn und sprach: »Mein teures Lieb, dies war an deinem Finger, wohl mir, daß ich deine Gnade habe, deren dies ein Zeichen ist.« Als es tagte, nahm der Graf Abschied und schlug den Weg nach seinem Lande ein. Aber der Verräter rief zwei Ritter von seiner Sippe zu sich und sprach: »Ihr Herren, wollt ihr nach meinem Rate handeln, so werdet ihr große Ehre gewinnen. Kennt ihr den Grafen von Toulouse? Er hat uns großen Harm getan, machen wir seiner Prahlerei ein Ende! Tut ihr nach meinem Rat, so soll er noch heute tot liegen.« Sir Tralabas und die beiden Verräter verfolgten den Grafen und holten ihn an einer Brücke ein. Mit manchen Streichen setzen sie ihm zu, aber der Graf wehrte sich kräftig und erschlug zwei. Der dritte floh, aber der Graf jagte ihm nach und spaltete ihm den Schädel. Darauf ritt er in sein Land zurück. – Der[284] Kaiser liebte sein Weib mehr als sich selber. Er hatte zwei Ritter erwählt, die ihm teuer waren, um ihr Tag und Nacht zu dienen. Diese beiden verfielen in Liebe zu ihr, denn sie war so strahlend schön. Aber ihre Liebe war so geheim, daß keiner die des andern kannte. So geschah es eines Tages, daß der eine zu dem andern sprach: »Freund, mich dünkt, du magerst ab und deine Wangen werden blaß.« Der andere erwiderte: »Ebenso, dünkt mich, ergeht es dir. Sag mir den Grund, warum es so ist, dann will ich dir auch den meinen sagen.« »Aus Liebe zu meiner Herrin bin ich so in Not und das wird mir auch mein Ende bringen.« Der andre sprach: »Ebenso ergeht es mir mit der hehren Frau. Wie kann unser Unglück gebannt werden? Weißt du Rat?« »Ich weiß keinen bessern Rat als den: einer von uns soll heimlich zu ihr gehen und sie um ihre Gunst bitten. Ich will es tun und gelingt es mir, ihre Gunst zu erlangen, so sollst auch du der Lust nicht missen. Du sollst uns bei der Tat ertappen und sie wird aus Furcht auch dir zu Willen sein, damit du uns nicht verrätst.« Der Falsche ging, der Kaiserin Willen zu erfahren. Er traf sie in ihrem Gemach und fiel vor ihr auf die Knie. »Steht auf, Ritter,« sprach die Herrin, »hat euch wer beleidigt, so soll er es büßen. Sagt mir, warum ihr so bekümmert seid.« »Herrin, das darf ich nicht, ihr schwört mir denn zuerst, daß ihr mich nicht verraten wollt.« »Warum mißtraut ihr mir? Ich gebe euch mein Wort, daß ich verhehlen will, was ihr mir sagt.« »Herrin, auf euch beruht mein Vertrauen. Ach wüßtet ihr, was ich um euretwillen da drinnen leide! Ich verzehre mich, verliere den Verstand, wenn ihr mich nicht erhört. Ich habe euch manchen Tag geliebt, aber ich wagte es euch nicht zu gestehen, daher meine Trauer. Tut ihr nicht meinen Willen, so ist mein Tod gewiß.« »Herr, ihr wißt, daß der Kaiser mein Gemahl ist. Er wählte euch als treuen Ritter, um mich Tag und Nacht zu hüten. Willige ich in diese Tat ein, so wäre ich wert, verbrannt zu werden. Du aber bist ein Verräter und solltest am Galgen hängen.« »Ach, Herrin, ich sprach nur so, um euch zu versuchen. Vergebt mir, und komme ich je darauf zurück, so mögt ihr mich von Rossen zerreißen lassen.« Darauf kehrte er zu seinem Gefährten zurück, der ihn sogleich fragte, wie es ihm gelungen sei. »Nicht recht,« antwortete er, »seit ich geboren bin, war ich nie in so großer Furcht. Es ist ein nutzloses Beginnen, vor ihr solche Reden zu führen.« »Dein Witz ist mager. Ich werde sie selbst gewinnen und gebe meinen Kopf zum Pfand.« Als er die Herrin in gutem Mute sah, ging er seufzend zu ihr und sprach: »Herrin, helft[285] ihr mir nicht mit eurem Rat, so ergeht es mir übel.« »Mein Rat soll euch werden, sagt mir, was euch drückt.« »Herrin, ihr müßt mir schwören, das Geheimnis zu wahren.« »Ich gebe euch mein Wort darauf.« »Herrin, jetzt vertraue ich euch. Um euretwillen bin ich in solcher Not, seht, wie blaß meine Farbe ist, ich sterbe fast vor Harm! Teure Herrin, um Gottes willen, gewährt mir eure Liebe!« »Herr, ist das euer Wunsch? Wäre es auch der meine, so täte ich übel. Für was für ein Weib haltet ihr mich? Was hörtet oder saht ihr von mir, daß ihr euch erkühnt, mich wie eine Hure zu behandeln? Nein, das soll nie sein! Hätte ich nicht gelobt, es geheim zu halten, so solltest du am Galgen hängen!« Der Ritter war nie so in Furcht, seit er geboren ward. »Gnade,« sprach er, »Herrin! Wohl weiß ich, daß ich zu tadeln bin, darum tut das Herz mir weh. Herrin, laßt mich nicht zugrunde gehen, ich bitte euch um Gnade für meine Schuld!« »Ich will schweigen, aber tu nie wieder so!« Darauf ging der Ritter fort und sprach: »Freund, es will auch mir nicht gelingen. Was ist dein bester Rat? Wenn sie unsrem Herrn davon erzählt, so sind wir verloren. Es ist übel, Weiberschwüren zu trauen. Gefährte, wir haben unser letztes Brot gegessen, wenn sie nicht selber stirbt.« »Wie mag das sein?« »Das überlaßt mir, fürchte nichts, ehe drei Tage vergangen sind, soll sie in großer Not sein.« Als es Nacht wurde, richtete sich die Kaiserin und alle, die da waren, zum Mahl. Die beiden Ritter trieben allerhand Kurzweil, um die Herrin froh zu machen. Sobald das Mahl vorüber war, gingen sie in das Gemach der Kaiserin, um sie ins Bett zu geleiten. Der eine Verräter rief einen Ritter zu sich, welcher der Kaiserin die Speisen vorschnitt; er war eines Grafen Sohn und zählte zwanzig Jahre. »Herr, willst du tun, was ich dir sage? Wir haben ein Spiel ersonnen, das unsere Herrin erfreuen soll. Du sollst sie so lachen machen, daß du ihr lieb werden sollst und wärest du ihr größter Feind.« »Bei meiner Ritterehre, das wäre mir lieb. Um meine Herrin zu erfreuen, würde ich durch Wind und Regen laufen.« »Herr, entkleide dich, und schlüpfe hinter jenen Vorhang, dann tu, was ich dir sage, und du sollst ein hübsches Spielerleben.« Der Knabe dachte an nichts Böses; er warf die Kleider ab und trat hinter den Vorhang. Sie sagten zu ihm: »Was auch geschehen mag, komm nicht eher heraus, bis wir dich rufen.« Darauf zechten und lärmten sie eine gute Weile fort und verließen dann heimlich das Gemach. Die Herrin lag in ihrem Bett und schlief und dachte an keinen Verrat. Der Knabe aber wunderte sich, wo die zwei Ritter so lange blieben. »Gott, was mag[286] das sein, ich glaube, sie haben mich vergessen. Aber rufe ich sie, so wird die Herrin erschrecken.« Er saß still wie ein Stein, die Falschen aber gingen in ihr Gemach und waffneten sich. Sie riefen das Gefolge zusammen und hießen es Waffen anlegen. »Auf, ihr alle, und helft, einen falschen Verräter zu fangen, der die ganze Nacht bei unsrer Herrin lag!« Bald war jeder in Waffen und die Ritter gingen mit den beiden Verrätern in das Gemach der Königin mit bloßen Schwertern und brennenden Kerzen. Sie traten hinter den Vorhang und fanden dort den nackten jungen Ritter. Der eine der Verräter durchbohrte ihn mit dem Schwert und er brach lautlos zusammen. Die Kaiserin erwachte vor Schreck, als sie das helle Licht vor ihrem Bette gewahrte. »Was für Leute seid ihr?« »Wir sind hier, du falsche Hure, um deine Schandtaten zu erspähen. Du hast deinen Herrn betrogen, darob soll dich die ganze Welt bewundern und dein Lob soll weithin klingen.« »Bei St. Johann, nie war ich treulos!« »Du lügst, deine Ehre ist verloren. Schau, da liegt dein Buhle!« Sie banden die Kaiserin in feste Stricke und warfen sie in ein tiefes Verließ. – Indessen überkam den Kaiser ein Traum, in dem es ihm dünkte, als ob zwei wilde Tiere sein Weib zerrissen. Durch diesen Traum ahnte er, daß ihr ein Leids geschehen wäre. Frühe, als der Tag anbrach, hieß er seine Leute sich fertig machen und ritt heim. Sie ruhten nicht Tag noch Nacht, bis sie in die Stadt kamen, wo die Kaiserin weilte. Vor der Stadt empfingen ihn seine Barone, von denen mancher vor Gram weinte. Schweigend führten sie die Rosse in den Stall und den Herrn in seine Halle, um ihm zu huldigen. Er ging ins Schlafgemach, denn er sehnte sich, seine geliebte Gattin zu sehen. Er rief die, welche ihrer hüten sollten. »Wo ist mein Weib? Schläft sie schon? Wie geht es ihr?« Die Verräter erwiderten: »Herr, wenn ihr wüßtet, was sie getan hat, so würdet ihr sie zum Tode verurteilen.« »Wieso, zum Teufel, ist sie des Todes würdig?« »Herr, der junge Ritter Sir Antore, der ihr zur Tafel diente, hat bei unsrer Herrin gelegen, deshalb haben wir ihn erschlagen. Wir fanden sie zusammen. Sie ist im Gefängnis und das Gesetz fordert, daß sie verbrannt werde.« »Weh,« sagte der Kaiser, »hat sie mir diese Schmach getan, und ich liebte sie so sehr! Ich wähnte, um alles Gut der Welt hätte sie ihren Sinn nicht von mir gewendet. Nun ist meine Freude tot!« Er ergriff einen Dolch, und wenn die Ritter ihn nicht gehindert hätten, so hätte er sich getötet. Er warf seine Rüstung von sich und fiel ohnmächtig auf sein Lager. Am andern Morgen wurde ein Hoftag anberaumt. Aber sie konnten im Rate[287] kein Gesetz finden, das sie vor dem Tode gerettet hätte. Da sprach ein alter Ritter: »Es wundert mich, daß sie Sir Antore erschlugen, ohne ihm Zeit zur Rechtfertigung zu lassen. Es gab nie einen Menschen, der an ihr einen Makel fand, außer diesen beiden, vielleicht geschieht es aus irgendeinem Haß. Deshalb tut nach meinem Rat! Finden wir einen Mann von edlem Geschlecht, der gegen die Ankläger ein Gottesgericht ausficht, so soll sie gerettet sein.« Alle stimmten dieser Rede bei und der König sprach: »Wohl dir für diesen Rat.« Er berief Ritter von großem Ruhm und hieß sie durch alle Lande rufen, auf daß ein Mann sich fände, der für die Herrin zu kämpfen wagte. Die Boten riefen durch alle Lande und in mancher reichen Stadt, wenn jemand seine Kraft im Gottesurteil erproben wolle, so solle er Schutz und Förderung genießen. – Der Graf von Toulouse hörte aus dieser Rede, welch Mißgeschick die Kaiserin befallen hatte und es dünkte ihn ein großes Unglück. Wenn er wüßte, daß sie im Rechte sei, so wollte er sein Leben wagen und für die hehre Frau fechten. Er trauerte Tag und Nacht und beschloß schließlich, sein Leben für sie aufs Spiel zu setzen. »Wenn ich erfahre, daß sie treu war, so sollen die, welche sie verklagen, es bereuen.« Eines Tages ritt er auf die Jagd, da traf er einen Kaufmann und fragte ihn, woher er sei. »Herr,« entgegnete jener, »ich bin aus Deutschland.« »Warum,« fragte der Graf, »ist eurer Kaiserin so großes Mißgeschick widerfahren? Ist sie schuldig? Das sage mir bei Gottes Gnade!« »Nein! Bei dem, der uns nach seinem Bilde schuf.« »Wann ist der Tag angesetzt, da sie verbrannt werden soll?« »Heute über drei Wochen, und deshalb ist mir weh.« »Ich habe gute Pferde zu verkaufen. Könnte ich sie in Deutschland losschlagen, so würde ich gern mit euch reisen, um das Schauspiel mit anzusehen.« »Wenn ihr in jenes Land ziehen wollt, so wird es zu eurem Nutzen sein; dort könnt ihr sie nach Wunsch verkaufen.« »Herr, wollt ihr mich auf dieser Reise begleiten, so zahle ich euch zwanzig Pfund zum Lohn.« Der Kaufmann war einverstanden und der Graf gab ihm an, wo er ihn erwarten solle; darauf ritt er heim und rüstete sich im Geheimen. Sie nahmen sieben Rosse mit und ritten nach Deutschland. Der Kaufmann war ein treuer Führer und geleitete den Grafen bis zu einem Ort, der eine Meile von dem Schlosse entfernt lag, wo der Kaiser wohnte. Dort war eine reiche Abtei und sie erbaten vom Abt die Erlaubnis, darin Aufenthalt zu nehmen, um ihre Rosse feist zu machen. Der Abt war der Oheim der Kaiserin und litt um sie großen Kummer. Eines Tages[288] ereignete es sich, daß der Graf zur Messe ging. Er war ein stattlicher, schöner Mann, und als der Abt ihn sah, sagte er: »Herr, wenn es euch genehm ist, so speist nach der Messe mit mir!« Der Graf willigte ein und sie speisten zusammen. Nach dem Mahle lustwandelten sie im Wurzgarten und der Abt sagte unter tiefem Seufzen: »Ach, Herr, ich lebe in Sorge um eine schöne Frau. Sie ist verklagt – mein Herz ist weh – und muß zum Tode gehen gegen alles Recht. Findet sich kein Retter, so wird sie heute über sieben Tage verbrannt.« »Bei meiner Seligkeit, das wäre ein großes Unrecht, wenn sie treu ist.« »Beim hl. Paul, ich möchte meine Seele für sie zum Pfande setzen, daß sie nie schuldig war, nie tat und dachte sie solches, ihre einzige Sünde war, daß sie aus Freundschaft dem Grafen von Toulouse einen Ring gab und das tat sie aus Mitleid, nicht aus sündiger Lust: so gestand sie mir in der Beichte.« »Wenn es so ist, so räche sie Christus an ihren Feinden. Wollt ihr mir schwören zu schweigen, so wird das euer Nutzen sein.« Der Abt schwur, das Geheimnis zu wahren. »Ich bin der, dem sie den Ring gab. Ich bin gekommen, lieber Herr, den Kampf für sie zu bestehen und dem Recht zum Siege zu verhelfen. Aber zuvor will ich ihr die Beichte abnehmen, und wenn ich ihren Leib rein finde, dann wird mein Herz leicht sein. Bekleidet mich mit einem Mönchsgewand und bringt mich dahin, wo sie sterben soll. Wenn ich ihre Beichte gehört habe, so will ich für sie den Zweikampf übernehmen, so wahr ich ein echter Ritter bin.« Der Abt war sehr froh und ließ den Grafen sieben Tage lang in Freuden bei sich wohnen. An dem Tage aber, da die Frau verbrannt werden sollte, ging der Graf im Mönchsgewand mit dem Abt ins Schloß. Er bat den Kaiser, daß ihm gestattet werde, der Verurteilten die Beichte abzunehmen und das wurde ihm sogleich erlaubt. Da erprobte er, daß sie ohne Schuld war. Sie sprach: »Bei dem, der am Kreuze starb! Nie war ein Fehl an mir, wegen dessen ich verderben müßte, außer dem einen: dem Grafen von Toulouse gab ich einen Ring. Sprich mich los, wenn du willst. Wenn ich dann im Feuer sterben soll, so geschehe Gottes Wille!« Der Graf legte die Hand auf ihr Haupt und sprach sie ihrer Sünden frei, dann erhob er sich und sprach: »Ruhe, ihr Herren! Ihr, die ihr diese edle Frau verklagt, ihr seid wert verbrannt zu werden.« Der eine Ritter lachte auf: »Du plumper Mönch mit deiner List, wenn auch euer Abt ihr verwandt sein mag, ihren Kummer sollst du ihr deshalb nicht nehmen. Du lügst ebenso, wie wenn du sagen wolltest, du und euer ganzes Kloster wäre bei ihr gelegen.«[289] Der Graf antwortete stolz: »Herr, ich glaube, ihr seid einer von denen, die diese Frau verklagt haben. Obwohl wir Männer Gottes sind, sollt ihr uns Genugtuung geben. Ich habe all deiner Wut zum Trotz an ihr erprobt, daß sie ohne Schuld ist. Hier ist mein Handschuh, ich will mit dir fechten. Ich nehme das Gottesurteil an, und Gott gebe mir seine Gnade; dann sollt ihr als falsche Betrüger erwiesen werden und im roten Feuer brennen.« Alle, die am Platze standen, dankten Gott für seine Gnade. Die beiden Ritter waren voller Zorn, sie schwuren ihm den Tod, aber sie sollten meineidig werden. Der Graf waffnete sich, um seine Feinde anzugreifen. Als sie zusammentrafen, hieben sie durch Helm und Kopfschutz und versehrten manche Panzermasche. Sie ritten zusammen, daß der Speer des Verräters am Schild des Gegners brach. Der Graf warf seinen Speer und traf ihn durch den Leib, daß er zu Boden fiel. Das sah der andere und wollte fliehen, aber der Graf holte ihn ein und schlug ihn unter einem Baume nieder. So mußten sich die beiden Verräter auf Gnade und Ungnade ergeben, denn sie konnten nicht mehr fliehen. Sie wurden vor den Kaiser geführt und der gebot ihnen, die Wahrheit zu reden. »Wir wollten sie verderben,« sagte der eine, »da sie unsern Willen nicht tun wollte.« Der Graf erwiderte: »Dafür sollt ihr Verräter in diesem Feuer brennen.« Sie wurden abgeführt und mit Haut und Haaren in der Glut verbrannt. Als sie zu Asche verkohlt waren, wandte sich der Graf heimlich zur Abtei, die Kaiserin aber wurde mit Freuden und in feierlicher Prozession in die Stadt geführt. Der Kaiser war überglücklich: »Holt mir den Mönch! Wie kam er so hinweg? Ein Bistum will ich ihm geben und meine Gunst, solange ich lebe.« Der Abt kniete nieder und sprach: »Herr, er ist in sein eigenes Land gezogen, er weilt beim Papst in Rom, der wird froh sein über sein Kommen.« »Herr Abt,« versetzte der Kaiser, »das wäre eine große Schande für mich. Fort, in aller Eile, daß ich ihn sehe, oder du sollst nie wieder meiner Gunst genießen.« »Herr, wenn es sich so verhält, so will ich ihm folgen, aber ihr müßt mir erst Sicherheit leisten. Im Falle er euer Feind gewesen ist, so sollt ihr ihm kein Leids tun. Versprecht ihr mir das, so will ich ihn holen und er soll euer Freund sein, wenn das euer Wille ist.« »Und wäre all meine Sippe von ihm erschlagen, er ist mir willkommen.« »Herr, jetzt vertraue ich euch, denn ihr werdet tun, wie ihr sagt. Es ist Herr Bernhard von Toulouse, ein edler Ritter, der diesen Kampf ausgefochten hat.« »Folgt ihm! Wir wollen gute Freunde sein und uns umarmen.« Der Abt[290] folgte dem Grafen und sprach: »Herr, geht mit mir! Mein Herr und ihr werdet gute Freunde sein.« Darüber ward der Graf froh, der Kaiser aber kam ihm entgegen und sprach: »Freund, ich begrabe meinen Haß und du sollst meine Gunst genießen, solange ich lebe.« Sie umarmten einander und der Kaiser machte ihn zum Lehnsherrn in seinem Lande und gab ihm alles zurück, was er ihm geraubt hatte. Aber nach drei Jahren starb der Kaiser, da wählten die Barone Herrn Bernhard zu seinem Nachfolger und er heiratete die Kaiserin und hatte viele Kinder mit ihr.

Quelle:
Tegethoff, Ernst: Märchen, Schwänke und Fabeln. München 1925, S. 282-291.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Aristophanes

Die Wolken. (Nephelai)

Die Wolken. (Nephelai)

Aristophanes hielt die Wolken für sein gelungenstes Werk und war entsprechend enttäuscht als sie bei den Dionysien des Jahres 423 v. Chr. nur den dritten Platz belegten. Ein Spottstück auf das damals neumodische, vermeintliche Wissen derer, die »die schlechtere Sache zur besseren« machen.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon