[291] 62. Thomas der Reimer

An einem schönen Maienmorgen schritt Thomas von Erceldoune singend gen Huntleybank, da hörte er die Amseln und die Lerchen schlagen, daß der ganze Wald davon klang. Wie er so in Sehnen verloren unter einem stattlichen Baume lag, da sah er eine schöne Frau über die sanfte Anhöhe reiten. Und sollte ich leben bis zum jüngsten Gericht, meine Zunge könnte den Schmuck nicht künden, den sie trug. Auf milchweißem Zelter saß die Frau, ihr Sattel war mit Perlen und Diamanten geziert und sie selber leuchtete wie die Sonne am Sommertag. Ihre Locken wallten im Wind und ein goldnes Horn trug sie um den Hals, und wie sie über die Fluren ritt, blies sie eine Weile und dann sang sie wieder. Ihr Gewand glänzte von grasgrüner Seide und darüber war ein Sammetmantel geschlungen, von klarem Kristall waren ihre Steigbügel und die Zügel von lauterem Gold und rings am Roß klangen viele feine Silberglöcklein. Drei Hunde führte sie an der Leine und unter ihrem Gürtel steckte mancher Pfeil. Thomas lag in ihren Anblick versunken unter dem stattlichen Baum. »Das ist die Himmelskönigin, die das Kind trug, das für uns starb. Und rede ich nicht zu der stolzen Frau, so bricht mir vor Sehnen das Herz entzwei. Ich will all meine Kraft zusammenraffen und will sie treffen bei Eldontree.« Rasch sprang er auf und eilte über den Hügel hinab und traf sie bei Eldontree. Unter den grünenden Zweigen ließ er sich auf die Knie. »Huldreiche Herrin, erbarme dich mein! Himmelskönigin, du kannst es wohl!« Da sprach die stolze Frau: »Thomas, laß solche Worte sein! Die Himmelskönigin bin ich nicht, nie erstieg ich so hohen Rang. Ich bin die Elfenkönigin, und wenn ich auch prächtige Kleider trage, so reite ich doch nur dem Wilde nach und meine Hunde folgen meinem Ruf.« »Wenn du hier nur zu deiner Kurzweil reitest, herrliche Frau, so gewähre mir die Gunst, daß ich bei dir liegen[291] darf!« Sie sprach: »Thomas, das wäre Torheit. Ich bitte dich herzlich, laß mich in Frieden, denn ich sage dir fürwahr, das würde meine Schönheit vernichten.« »Liebliche Frau, erbarme dich mein! Immerdar möchte ich weilen bei dir! Hier gebe ich dir mein Treuwort darauf, wo du auch seist, in Himmelshöhen oder in Höllenpein.« »Mann aus Staub, das wird mich entstellen; aber dir soll dein Wille geschehen. Wisse, daß du das Schlechteste wähltest, denn meine Schönheit wirst du zerstören.« Unter den grünenden Zweigen streckte sich die glänzende Frau ins Gras und Thomas lag ihr bei. »Thomas,« sprach sie, »dir gefällt dies Spiel. Aber du entstellst mich für den ganzen Tag, darum bitte ich dich, Thomas, laß mich in Ruh!« Thomas stand auf und betrachtete die Frau. Ihr Haar hing ihr wirr ums Gesicht und ihre Augen lachten nicht mehr so blau wie zuvor, ihr Gewand war zerrissen und ihr Körper so fahl wie geschmolzenes Blei. Da sagte Thomas: »Weh mir, weh! Das ist ein grausiger Anblick! Nun ist ihr Antlitz welk, das vorher leuchtete wie Sonnengold.« »Nimm nun Abschied, Thomas, von Sonne und Mond und vom Laub, das an den Bäumen sprießt; für diese zwölf Monde mußt du mit mir gehn und die Erde sollst du nicht schauen.« Unter den grünenden Zweigen ließ er sich auf die Knie: »Huldreiche Herrin, erbarme dich mein! Himmelskönigin, du kannst es wohl! Wehe,« sprach er, »wie weh ist mir! Nun erreicht mich mein Sündenlohn. Meine Seele, Jesus, empfehle ich dir, wo auch mein Leib fahren wird.« Sie führte ihn abwärts von Eldonhill in den verschwiegenen Hügel hinein. Da war es finster wie Mitternacht, durch Wasser wateten sie bis zum Knie. Sie wateten durch Ströme von rotem Blut, denn all das Blut, das auf Erden fließt, rinnt durch die Quellen von diesem Land. Drei Tage lang hörte Thomas nichts als das Rauschen der Flut, schließlich sprach er: »Wie weh ist mir! Aus Mangel an Nahrung sterbe ich fast.« Sie führte ihn in einen schönen Garten, da wuchsen Früchte in großer Zahl, Birnen reiften da und Äpfel und Pflaumen und in den Feigenbäumen baute die Nachtigall ihr Nest, Papageien flatterten und die Drossel sang ohne Ruh. Thomas griff nach der Frucht mit der Hand, denn der Hunger trieb ihn dazu. Da sprach sie: »Thomas, laß das sein, denn alle Plagen, die in der Hölle sind, haften an dieses Gartens Früchten. Wenn du sie pflückst, das sage ich dir fürwahr, dann fährt deine Seele zum höllischen Feuer. Thomas, tu, was ich dich heiße! Lege dein Haupt in meinen Schoß und du sollst den schönsten Anblick sehen, den je ein Mensch aus deinem Lande sah.«[292] In ihren Schoß legte er sein Haupt und sie sprach zu ihm: »Siehst du dort den schönen Weg, der über jenes Gebirge führt? Das ist der Weg zum Himmel, wenn die sündigen Seelen ihrer Pein ledig sind. Siehst du nun jenen andern Weg drunten bei dem grünen Gebüsch? Das ist der Weg zu den Freuden des Paradieses. Siehst du den dritten Weg, der durch die grüne Ebene führt? Das ist der Weg, wo sündige Seelen ihre Qualen leiden. Siehst du nun jenen vierten Weg drunten im tiefen Tal? Das ist der Weg zum Ach und Weh, zum brennenden Höllenfeuer. Und siehst du auf jenem Hügel dort das prächtige Schloß? Es trägt den Preis von allen Städten und Türmen, nichts ist auf Erden seinesgleichen. Fürwahr, Thomas, das Schloß gehört mir und dem König dieses Landes. Ach, mir wäre besser, verbrannt und gehenkt zu werden, als daß er erführe, daß du bei mir lagst. Wenn du nun zu jenem Schlosse kommst, so bitte ich dich, daß du deine Zunge hütest, was du auch hören und sehen magst, denn wenn du nur ein Wort sprichst im Elfenland außer zu mir, so kommst du nie zur Erde zurück. Von dreißig stolzen Rittern wird mein Herr bei Tisch bedient, und ich will ihm erzählen, wenn ich am Hochsitz tafele, wie ich dich sprach bei Eldontree.« Thomas stand still wie ein Stein und betrachtete die stolze Frau, sie glänzte so weiß wie Elfenbein und saß wie zuvor so schön und reich geschmückt auf ihrem milchweißen Zelter, ihre Hunde liefen wieder um sie und sie blies ins Horn. Sie schlugen den Weg zum Schlosse ein und traten in die Halle. Thomas ging ihr nach; da kamen der schönen Frauen viele und knieten vor der Herrin nieder. Man hörte da Harfen- und Saitenspiel und alle Arten von Spielmannskunst. Da tanzten die Ritter zu drei und drei, da war Lärm und Freude und Spiel, da waren wunderschöne Frauen, die tanzten und sangen in reichem Schmuck. Fünfzig Hirsche wurden da hereingetragen, Hunde leckten ihr Blut auf und Köche standen mit Waidmessern dabei und zerlegten das Wild. Thomas blieb, und die Kurzweil, die ihn umgab, war größer, als ich euch sagen kann. Bis eines Tages die liebliche Herrin zu ihm sagte: »Rüste dich, Thomas, denn du mußt fort und darfst nicht länger hier verweilen. Spute dich, soviel du vermagst und ich will dich geleiten bis Eldontree.« Thomas sagte mit trübem Gesicht: »Liebreiche Herrin, laß mich hier, denn erst drei Tage verweile ich ja!« »Fürwahr, Thomas, sage ich dir: du bist hier drei Jahre und mehr, und länger kannst du nicht bei uns sein. Und willst du den Grund wissen: so höre: morgen kommt der höllische Feind und sucht sich unter diesem Volk seine Beute aus,[293] du aber bist stattlich und schön, deshalb fürchte ich, er möchte dich wählen. Um alles Gold, das je es gab von hierher bis ans Ende der Welt, du sollst von mir nicht betrogen sein und darum sollst du mit mir gehn.« Sie brachte ihn wieder nach Eldontree unter die grünenden Zweige; in Huntleybank ist es lustig zu weilen, wenn die Vögel singen bei Tag und bei Nacht. »Fern über jenen blauen Hügeln hatte mein Falke sein Nest. Der Falke wird des Seeadlers Beute, deshalb wird ihm nirgends Ruh. Fahr wohl, Thomas, ich ziehe wieder meinen Weg, über jene braunen Felder wandere ich.« »Gib mir ein Zeichen, schöne Herrin, daß ich sagen mag: ich sprach mit dir.« Sie gab ihm einen Apfel und sprach: »Wähle, Thomas, was du willst: du magst der beste Harfenspieler oder der beste Sänger werden.« »Harfenspielen mag ich nicht, die Rede ist wichtiger im Spielmannshandwerk.« »So gebe ich dir die Zunge, die niemals lügt, und wo immer du fährst in Hochland und Flur, ich bitte dich, rede nichts Böses von mir! Fahr wohl nun, Thomas, ich ziehe wieder meinen Weg, ich kann nicht länger bei dir verweilen.« Thomas war traurig und die Tränen rannen ihm aus den blauen Augen. »Jetzt, liebe Herrin, sage mir, ob wir für immer und ewig scheiden sollen?« »Nein,« sprach sie, »Thomas, bei Gott! Wenn du in Erceldoune sitzest und wieder den Weg nach Huntleybank nimmst, dann will ich wiederkehren und dich treffen, Thomas, wenn ich kann.« Sie stieß auf ihrem Zelter in ihr Horn und ließ Thomas unter dem Baum zurück, gen Helmesdale nahm sie ihren Weg und so trennten sie sich.

Quelle:
Tegethoff, Ernst: Märchen, Schwänke und Fabeln. München 1925, S. 291-294.
Lizenz:
Kategorien: