7.
Das Eichhorn, die Nadel und der Fausthandschuh.
(Aus Wuokkiniemi.)

[228] Ein Eichhorn, eine Nadel und ein Fausthandschuh lebten in guter Freundschaft bei einander. Einstmals beschlich sie die Langeweile, und sie beschlossen zusammen in den Wald zu gehen. Gesagt, gethan. Das Eichhorn und der Fausthandschuh gingen nebeneinander, die Nadel hüpfte einsam hinterdrein.

Sie mochten eine geraume Weile so gewandert sein ohne eine Beute erblickt zu haben, und die drei Waldläufer schauten schon ganz betrübt darein; da fand die Nadel eine Wasserpfütze. Freudig rief sie den Andern zu:


»Ei, mein Eichhorn, ei!

Handschuh, kommt herbei!

Die Nadel hat 'nen Fund gethan.

Eilt und seht die Beute an!«


Die Andern liefen schnell herbei die Beute in Empfang zu nehmen; aber als sie den Fund der Nadel sahen, wunderten sie sich nicht wenig und sagten: »Ist dies deine ganze Beute?« – »Ja, das ist sie«, antwortete die Nadel; »ist es denn nicht genug?« – »Ach du wunderliches Ding, dass du uns wegen solcher Lumperei herbeirufst!« schalten die Andern und gingen verdriesslich nach Hause, den Streifzug für dies Mal aufgebend. Die Nadel kehrte mit ihnen heim.

Am folgenden Morgen wanderten sie wieder in den Wald hinaus, das Eichhorn und der Fausthandschuh nebeneinander, die Nadel einsam hinterdrein. So mochten sie eine Zeitlang gewandert sein, da fand die Nadel einen alten Baumstumpf und rief, wie gestern, den Andern zu:
[229]

»Ei, mein Eichhorn, ei!

Handschuh! kommt herbei!

Die Nadel hat 'nen Fund gethan.

Eilt und seht die Beute an!«


Die Andern kamen herbeigelaufen, in der Hoffnung, diesmal eine gute Beute vorzufinden. Aber der Anblick des morschen Baumstumpfes versetzte sie in solche Wuth, dass sie beinahe die Nadel geschlagen hätten, die aus Schalkheit ohne Grund die Gefährten herbeigerufen hatte. – Endlich versöhnten sich jedoch die Drei und kehrten zusammen aus dem Walde zurück: das Eichhorn und der Fausthandschuh nebeneinander, die Nadel einsam hinterdrein. – Sie schliefen die Nacht durch, und als der Morgen graute, beriethen sich die Drei, ob sie noch einmal in den Wald gehen sollten, da sie doch nichts erbeutet hatten. Sie wurden aber bald über die Sache einig und wanderten hinaus, das Eichhorn und der Fausthandschuh nebeneinander, die Nadel einsam hinterdrein. Die Beiden fanden auch diesmal gar nichts; aber die Nadel gelangte auf ihrer einsamen Streiferei an ein weites Moor. Dort spähte sie mit ihrem einen Auge scharf im Kreise umher und erblickte richtig einen Hirsch, der im Sumpfe graste. Kaum hatte sie ihn gewahrt, als sie auch schnell in einen Grashalm schlüpfte, und der Hirsch verschluckte sie mitsammt dem Sumpfgras. So kam die Nadel in den Magen des Hirsches und fing an ihn aus Leibeskräften zu stechen. Das konnte der arme Hirsch nicht lange ertragen; er fiel hin und kam elend ums Leben. Als die Nadel dieses merkte, drängte sie sich durch den Leib des Hirsches heraus und fing an seelenvergnügt den Andern zuzurufen:


»Ei, mein Eichhorn, ei!

Handschuh! kommt herbei!

Die Nadel hat 'nen Fund gethan.

Eilt und seht die Beute an!«
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Die Gefährten hörten wohl das Rufen der Nadel, aber sie fürchteten auch jetzt eine Täuschung. Sie beriethen sich miteinander und sprachen: »Wenn wir hoffen dürften, dass die Nadel wirklich etwas Gutes erbeutet hat, würden wir hingehen; aber wer weiss, ob sie nicht wieder lügt.« Trotz aller solcher Bedenken liefen sie doch nach der Richtung hin, woher das Rufen kam, und fanden den todten Hirsch.

Jetzt war mal das Erstaunen gross! Der Fausthandschuh betrachtete die von der Nadel erlegte Beute von allen Seiten, das Eichhorn zeigte unverwandt darauf, und Beide wussten sich vor Verwunderung und Freude gar nicht zu lassen. Darauf sagte die Nadel zu ihnen: »Ich habe die Beute erlegt, nun mag das Kochen derselben euer Geschäft sein.« Die Andern gehorchten der Aufforderung und gingen diensteifrig an die Arbeit. Das Eichhorn spaltete den alten Baumstumpf zu Brennholz, der Fausthandschuh trug Wasser aus der Pfütze herbei; so geriethen ihnen auch die früheren Funde der Nadel zu Nutz und Frommen. Bald kochte die Brühe auf dem Feuer, und das Essen ward gut und schmackhaft. So lang ist's.

Quelle:
Schreck, Emmy: Finnische Märchen. Weimar: Hermann Böhlau, 1887, S. 228-231.
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