8.
Der Bär als Richter.
(Aus Tawastland.)

[231] Zwischen einigen Thieren, nämlich dem Wolf, dem Fuchs, der Katze und dem Hasen, entstand einmal ein Streit, und sie konnten nicht selber über die Sache einig werden. Desshalb holten sie den Bären herbei, dass er als Richter ihren Streit schlichten sollte. Der Bär kam und fragte die Streitenden: »Worüber habt ihr euch entzweit?« – »Wir ereiferten uns über die Frage, wie viele[231] Auswege wohl ein Jeder von uns hat, um in der Stunde der Gefahr das Leben retten zu können«, antworteten die Andern. – »Nun, wie viele Auswege kennst du?« fragte der Bär zuerst den Wolf. – »Hundert«, antwortete dieser. »Und du?« fragte der Bär den Fuchs. Dieser antwortete: »Tausend.« – »Kennst du viele?« fragte der Bär jetzt den Hasen. – »Ich habe nur meine flinken Läufe«, erwiderte dieser. Zuletzt fragte der Bär die Katze: »Kennst du viele Auswege?« – »Nur einen einzigen«, antwortete die Katze.

Da gedachte der Bär Alle auf die Probe zu stellen, um zu sehen, durch welche Mittel ein Jedes in der Stunde der Gefahr sich retten würde. Er warf sich plötzlich zuerst auf den Wolf und drückte ihn halbtodt. Der Fuchs machte eiligst kehrt, als er sah, wie es dem Wolfe erging; der Bär erfasste ihn eben noch am Schwanzende, wovon der Fuchs noch heutigen Tages am Schwanz einen weissen Fleck hat. Der Hase, der flinke Läufe hatte, ergriff die Flucht und rannte davon. Die Katze kletterte auf einen Baum und sang von oben herab: »Der hundert Auswege kennt, ward eingefangen; der tausend Mittel weiss, ward verstümmelt; das Langbein muss noch immer laufen; der nur einen Ausweg hat, sitzt auf dem Baum und behauptet seinen Platz!« So lang ist's.

Quelle:
Schreck, Emmy: Finnische Märchen. Weimar: Hermann Böhlau, 1887, S. 231-232.
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