25. Blaubart

[235] Es war einmal ein Mann, der hatte schöne Häuser in der Stadt und auf dem Lande, goldene und silberne Geräte, Möbel und Stickereien und goldene Karossen, aber unglücklicherweise hatte dieser Mann einen blauen Bart. Das machte ihn so häßlich und so abstoßend, daß Frauen und Mädchen vor ihm die Flucht ergriffen. Eine seiner Nachbarinnen, eine Dame von Stand, hatte zwei wunderschöne Töchter. Er bat sie um die Hand der einen von beiden und ließ ihr die Wahl, welche sie ihm geben wolle. Sie wollten ihn alle beide nicht, und die eine schickte ihn immer wieder zur andern, da keine sich entschließen mochte, den Mann mit dem blauen Barte zu heiraten. Was sie noch mehr abschreckte, war der Umstand, daß er schon mit mehreren Frauen vermählt gewesen war, und daß man nicht wußte, was aus diesen Frauen geworden sei. Blaubart führte sie, um ihre nähere Bekanntschaft zu machen, mitsamt ihrer Mutter und drei oder vier ihrer besten Freundinnen und einigen jungen Leuten aus der Nachbarschaft auf sein Landhaus, wo man sich volle acht Tage aufhielt. Da gab es nichts als Spaziergänge, Jagdpartien und Fischfang, nichts als Tänze und Feste und sonstige Zerstreuungen; man schlief nicht, sondern verbrachte die Nacht damit, sich gegenseitig lustige Streiche zu spielen; schließlich ging alles so gut, daß die Jüngere herauszufinden begann, der Bart des Hausherrn sei gar nicht so blau und dieser sei überhaupt ein recht ehrenwerter Mann. Als man in die Stadt zurückgekehrt war, wurde die Heirat vollzogen. Nach Verlauf eines Monats sagte der Blaubart zu seiner Frau, er müsse eine Reise in die Provinz unternehmen in einer wichtigen Angelegenheit, die ihn mindestens sechs Wochen fernhalten würde; sie möge indessen, wenn sie Lust dazu habe, ihre guten Freundinnen aufs Land kommen lassen und sich mit ihnen vergnügen. »Hier«, sagte er zu ihr, »sind die Schlüssel zu den zwei großen Möbelspeichern, hier jene zum goldenen und silbernen Tafelgeschirr, das nicht alle[236] Tage in Gebrauch ist, die da zu den Kassetten mit meinen Edelsteinen, und dies hier ist der Hauptschlüssel zu allen Gemächern. Was nun diesen kleinen Schlüssel betrifft, so ist das der Schlüssel zur Kammer am Ende der großen Galerie im unteren Stockwerk. Du kannst alles öffnen, überall hineingehen, aber was dieses kleine Gemach anlangt, so verbiete ich dir, es zu betreten und verbiete es dir so streng, daß, falls es dir dennoch in den Sinn kommen sollte, es zu öffnen, du alles von meinem Zorne zu gewärtigen hättest.« Sie versprach, alles, was er ihr befohlen habe, genau zu befolgen, und er stieg, nachdem er sie umarmt hatte, in seine Kutsche und trat seine Reise an.

Die Nachbarinnen und die guten Freundinnen warteten nicht, daß man sie holte, um die Neuvermählte zu besuchen, so ungeduldig waren sie, alle Schätze des Hauses zu besichtigen, zumal da sie nicht gewagt hatten, während der Anwesenheit des Gatten, dessen blauer Bart ihnen Angst einflößte, hinzugehen. Sie machten sich alsbald daran, durch die Zimmer, Kammern und Garderoben zu laufen, von denen eines immer schöner und kostbarer war als das andere. Zuletzt stiegen sie gar auf die Möbelspeicher, wo sie die Fülle und Pracht der Teppiche, Betten, Sofas und Tische nicht genug bewundern konnten. Sie gerieten außer sich vor Verwunderung und Neid über das Glück ihrer Freundin. Diese aber ergötzte sich nicht am Anblick dieser Schätze, weil die Ungeduld sie verzehrte, die Kammer im untern Stockwerke zu öffnen. So sehr wurde sie von ihrer Neugier geplagt, daß sie, ohne zu bedenken, wie unziemlich es sei, die Gesellschaft zu verlassen, über eine geheime kleine Stiege hinunterrannte, und zwar mit solcher Hast, daß sie zwei- oder dreimal fast den Hals dabei gebrochen hätte. An der Tür der Kammer angelangt, hielt sie eine Weile inne und dachte an das Verbot ihres Mannes, indem sie überlegte, welch ein Unglück ihr zustoßen könne, wenn sie ungehorsam wäre; aber die Versuchung war so groß, daß sie sich nicht überwinden konnte. Sie nahm also den kleinen Schlüssel und öffnete zitternd die Tür des Gemaches.[237] Zuerst sah sie gar nichts, weil die Fensterläden geschlossen waren, aber nach einigen Augenblicken gewahrte sie, daß der Fußboden ganz mit geronnenem Blute überzogen war, in welchem sich die Leiber von etlichen toten Frauen spiegelten, die längs der Wand aufgeknüpft waren. Das waren alle die Frauen, die der Blaubart geheiratet hatte und welche er eine nach der andern umgebracht hatte. Sie glaubte, vor Angst sterben zu müssen, und der Schlüssel zur Kammer, den sie soeben aus dem Schloß gezogen hatte entglitt ihrer Hand. Nachdem sie ihre Lebensgeister wieder ein wenig gesammelt hatte, hob sie den Schlüssel wieder auf, versperrte die Tür und ging in ihr Zimmer hinauf, um sich ein wenig zu erholen, aber umsonst, denn sie war zu sehr erregt.

Da sie bemerkt hatte, daß der Schlüssel zur Kammer blutig war, wischte sie ihn zwei- bis dreimal ab, aber das Blut ging nicht weg, sie mochte ihn waschen, so oft sie wollte, und ihn mit Sand und Kies abreiben, immer blieb noch Blut daran, denn der Schlüssel war verhext, und es gab kein Mittel, ihn völlig zu säubern. Hatte man das Blut auf der einen Seite entfernt, so kam es auf der andern wieder zum Vorschein. Der Blaubart kam schon am gleichen Abend von der Reise zurück und sagte, er habe unterwegs Briefe erhalten, die ihm gemeldet hätten, daß die Angelegenheit, derenthalben er abgereist sei, zu seinen Gunsten geregelt wäre. Seine Frau tat alles, was sie konnte, um ihm zeigen, daß sie über seine schleunige Rückkehr entzückt sei. Am nächsten Tage verlangte er ihr die Schlüssel ab, und sie gab sie ihm, aber mit einer so zitternden Hand, daß er ohne Mühe erriet, was sich zugetragen hatte. »Woher kommt es,« sagte er zu ihr, »daß der Schlüssel zur Kammer nicht bei den andern ist?« »Ich muß ihn oben auf meinem Tisch haben liegen lassen,« erwiderte sie. »Vergiß nicht,« sagte der Blaubart, »ihn mir alsbald zu geben!« Nach mehrmaligem Aufschieben mußte sie den Schlüssel bringen. Als der Blaubart ihn betrachtet hatte, sagte er zu seiner Frau: »Warum ist denn Blut an diesem[238] Schlüssel?« »Ich weiß nichts davon!« antwortete die arme Frau, bleicher als der Tod. »Du weißt nichts davon?« entgegnete der Blaubart, »aber ich weiß es wohl. Du hast die Kammer betreten wollen. Gut, meine Dame, Ihr werdet sie betreten und Euren Platz neben den andern Damen einnehmen, die Ihr darin gesehen habt.« Sie warf sich weinend ihrem Gatten zu Füßen und bat ihn mit allen Zeichen wahrer Reue um Verzeihung, daß sie nicht gehorsam gewesen sei. Sie hätte einen Stein erweichen können, schön und zerknirscht, wie sie war, aber der Blaubart hatte ein Herz, das war härter als Stein: »Ihr müßt sterben, meine Dame,« sagte er zu ihr, »und zwar auf der Stelle.« »Wenn ich sterben muß,« sagte sie, indem sie ihn mit Tränen in den Augen anblickte, »so gewährt mir ein wenig Zeit, um zu Gott zu beten.« »Ich gewähre dir eine halbe Viertelstunde,« erwiderte der Blaubart, »aber keinen Augenblick mehr.« Als sie allein war, rief sie ihre Schwester herbei und sagte zu ihr: »Liebe Schwester Anna (denn so hieß sie), ich bitte dich, steige auf den Turm und sieh, ob meine Brüder nicht kommen; sie haben mir versprochen, daß sie heute kommen wollten, mich zu besuchen, und wenn du sie siehst, so gib ihnen ein Zeichen, sich zu beeilen.« Die Schwester Anna stieg auf den Turm, und die arme zerknirschte Frau rief ihr von Zeit zu Zeit zu: »Anna, liebe Schwester Anna, siehst du noch nichts kommen?« Und die Schwester Anna antwortete ihr: »Ich sehe nichts als im Staub die Sonne glühn und nichts als des Grases Grün!« Unterdessen schrie der Blaubart, der einen großen Hirschfänger in der Hand hielt, mit der ganzen Kraft seiner Stimme: »Komm schleunig herunter oder ich steige zu dir hinauf!« »Noch einen Augenblick, ich bitte dich!« entgegnete ihm die Frau, und gleich darauf rief sie ganz leise: »Anna, liebe Schwester Anna, siehst du noch nichts kommen?« Und die Schwester Anna antwortete ihr: »Ich sehe nichts, als im Staub die Sonne glühn und nichts als des Grases Grün.« »Geschwind, komm herunter!« schrie der Blaubart, »oder ich steige zu dir hinauf.« »Ich komme[239] schon!« erwiderte seine Frau, und dann rief sie: »Anna, liebe Schwester Anna, siehst du noch nichts kommen?« »Ich sehe«, antwortete ihre Schwester Anna, »eine große Staubwolke, die auf uns zukommt.« »Sind es meine Brüder?« »Ach nein, liebe Schwester, es ist eine Schafherde!« »Willst du wohl herunterkommen!« schrie der Blaubart. »Noch einen Augenblick!« entgegnete seine Frau, und dann rief sie: »Anna liebe Schwester Anna, siehst du noch nichts kommen?« »Ich sehe«, antwortete diese, »zwei Reiter auf uns zukommen, aber sie sind noch sehr weit weg.« »Gott sei gelobt!« rief sie einen Augenblick später, »es sind meine Brüder, ich will ihnen ein Zeichen geben, so gut ich es kann, daß sie sich beeilen.« Da hub der Blaubart an, so gewaltig zu schreien, daß das ganze Haus davon erbebte. Die arme Frau ging herunter und warf sich, in Tränen zerfließend und mit aufgelösten Haaren, ihm zu Füßen. »Das hilft dir nichts,« sagte der Blaubart, »du mußt sterben.« Dann packte er sie mit der einen Hand bei den Haaren, schwang mit der andern das Messer und wollte ihr den Hals abschneiden. Die arme Frau wandte sich nach ihm um, sah ihn mit brechenden Augen an und beschwor ihn, ihr nur einen Augenblick zu gewähren, um sich zu sammeln. »Nichts da,« sagte er, »befiehl deine Seele in Gottes Hand!« und er erhob seinen Arm ... In diesem Augenblick wurde so ungestüm an das Tor geklopft, daß der Blaubart jählings innehielt; man öffnete, und sogleich sah man zwei Reiter am Eingang, die den Degen in der Faust geradeswegs auf den Blaubart losstürzten. Er erkannte die Brüder seiner Frau, einen Dragoner und einen Musketier, und ergriff sogleich die Flucht, um sich zu retten; aber die beiden Brüder folgten ihm auf dem Fuße und erwischten ihn, bevor er die Freitreppe erreichen konnte. Sie stießen ihm ihre Degen durch den Leib und ließen ihn tot liegen. Die arme Frau war fast ebenso tot wie ihr Gatte und hatte nicht die Kraft, sich zu erheben, um ihre Brüder zu umarmen. Es fand sich, daß der Blaubart keine Erben hatte und daß somit die Frau Herrin all seiner Habe blieb. Sie[240] verwendete einen Teil davon, um ihre Schwester Anna mit einem jungen Edelmann zu verheiraten, der sie schon lange liebte; einen andern Teil, um für ihre zwei Brüder den Hauptmannsrang zu erkaufen, und den Rest, um sich selber mit einem sehr ehrenwerten Manne zu verheiraten, der sie die schlimme Zeit vergessen ließ, die sie mit dem Blaubart verbracht hatte.

Quelle:
Tegethoff, Ernst: Französische Volksmärchen. 2 Bände. Jena: Eugen Diederichs, 1923, S. 235-241.
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