Der neue Pathelin

[128] Ein Mann suchte einst den Pfarrer auf und sprach zu ihm: »Oh, Herr Pfarrer, ich bin in großer Verlegenheit!« »Was habt Ihr denn, mein Freund?« »Ich habe einen Prozeß mit zwei Leuten wegen derselben Angelegenheit.« »Um was handelt es sich denn? Erzählt mir doch Euren Streitfall!« »Ich habe das nämliche Kalb an zwei Kaufleute verkauft!« »Nun, wenn Ihr mir das Kalb geben wollt, so werde ich Euch aus der Affäre ziehen. Wann habt Ihr Verhandlung?« »Donnerstag, Herr Pfarrer!« »Gut. Ich gebe Euch ein Mittel an, wie Ihr Euch aus der kitzligen Sache retten könnt: wenn man Euch wegen des Kalbes fragt, so antwortet nichts, sondern pfeift nur dem, der Euch fragt, ins Gesicht. Es ist doch ausgemacht, nicht wahr, daß Ihr mir das Kalb gebt!« »Ja, Herr Pfarrer, es soll Euch gehören!« Als es zur Verhandlung kam, pfiff der Mann jedesmal, wenn man ihn etwas fragte, und der Richter, welcher glaubte, es mit einem Verrückten zu tun zu haben, konnte ihn nicht verurteilen. Der Pfarrer kam, um sein Kalb zu holen, aber der Mann fing an zu pfeifen wie bei der Verhandlung, und das war alles, was der Pfarrer von ihm bekommen konnte.

Quelle:
FR-Märchen Bd.2, S. CXXVIII128.
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