Der Köhler

[230] Es war einmal eine kleine Gemeinde, die in der Nähe des Waldes lag. In diesem Walde wohnte ein Köhler. Sonntags bei der Messe war da eine hinkende alte Frau, welche sich immer neben das Weihwasserbecken setzte und jedem Eintretenden den Weihbrunnen verabreichte. Der Pfarrer predigte: »Meine geliebten Brüder, wenn ihr den höllischen Dämon sehen würdet! Er ist so schwarz, so schwarz; er ist fürchterlich anzuschauen!« Der Köhler kehrte gerade vom Walde heim. Da er zufällig bei der Kirche vorüberging, sagte er: »Mein lieber Gott, ich bin zwar recht schmutzig, aber ich bin so lange nicht in der Messe gewesen, daß ich heute unbedingt hineingehen muß!« Er ging auf die Kirche zu. Der Pfarrer beendigte seine Predigt und wiederholte immer dieselben Worte: »Wenn ihr den höllischen Dämon sehen würdet! Er ist so schwarz, so schwarz; er ist fürchterlich anzuschauen!« Auf einmal betrat der Köhler die Kirche. Er hatte ein derart schwarzes Gesicht, daß jedermann[230] davor Angst bekam; alle Welt machte sich aus dem Staube mit Einschluß des Pfarrers, welcher sich hinter seiner Kanzel versteckte. Nur die hinkende Alte blieb übrig, welche sich nicht retten konnte. Diese hatte sagen hören, daß man mit Weihwasser den höllischen Dämon vertreiben könne. Der Köhler wunderte sich, als er alles flüchten sah, und wollte sich der guten Alten nähern, um sie zu fragen, was die Leute hätten. Die Alte wandte sich zum Weihbrunnen, indem sie ihr lahmes Bein nachzog, goß ihm das geweihte Wasser ins Gesicht und sprach zu ihm: »Ach, der hübsche Bursche! Ach, der reizende Liebling! Wie gern würde er mich fressen!« Je mehr Weihwasser sie ihm ins Gesicht schüttete, desto weißer wurde dasselbe. Er fragte sie fortgesetzt, was diese Aufregung bedeuten solle, aber sie goß ihm unaufhörlich Weihwasser entgegen und wiederholte immerfort: »Ach, der niedliche Bettwärmer! Wie nett er die Farbe verändert, wenn er will! Schaut ihn doch an! Ach, wie gern würde er mich fressen! Ach, der liebe Junge; ach, der reizende Kleine!« Schließlich sah sich der Köhler genötigt, die Kirche zu verlassen. Der Pfarrer erhob sich ganz schüchtern hinter seiner Kanzel und fragte die Alte, ob er fort sei. Sie antwortete ihm, daß sie ihn vermittels der Weihwassergüsse vertrieben habe, den hübschen Burschen. Er sei nicht dazu gekommen, sie zu fressen.

Quelle:
FR-Märchen Bd.2, S. CCXXX230-CCXXXI231.
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