Lubbert und Saepk.

[321] Gabe. Im Gastbuessteech1 zu Frentjer wohnte einst ein junger Kerl, der Keimpe hieß, er war unverheirathet, hatte aber eine Schwester zur Haushälterin, die etwas jünger war als er, ein flinkes junges Mädchen, Namens Saepke. Er war Kaufmann und hatte nach Verhältniß jener Zeiten ein großes Geschäft in Stopfgarn, Seide und solchen Sachen, besonders auf Grins und Imbden2, wo er alle Jahr mit seiner Kaufmannschaft hinfuhr. Einmal auf der Rückreise von jenen Gegenden stieß er bei der Burgummer Haide auf eine Diebsbande, welche ihn gänzlich ausplünderten, und noch braun und blau dazu schlugen. Sie raubten ihm wol dreithausend Gulden an baarem Gelde und alle seine Sachen.

Da kam Keimpe wieder in Frentjer an so arm wie eine Schwalbe. Mit einem kleinen Päckchen unter dem Arm trat er bei seiner Schwester ins Zimmer, ließ sie die Beulen und Flecke sehen, die sie ihm geschlagen hatten, und erzählte ihr sein ganzes Unglück. Als er fertig war, fing das junge Mädchen bitter an zu weinen, doch das Mitleiden mit seinem Unglück machte die Liebe zu ihrem Bruder noch größer, und sie nahm sich fest vor, ihn, der sie aus dem Ueberfluß unterhalten hatte, in der Dürftigkeit nicht zu verlassen. Das schlimmste war, den Handel einigermaßen in Gang zu halten. Geld zu leihen, dazu saß ihnen das frisische Herz zu hoch, tiefer als jemand fühlten sie die Wahrheit des Sprichworts, der wissen will, wie viel ein Gulden gilt, muß einen leihen. Saepke verkaufte darum lieber ihre goldenen Krönchen und Fingerringe, ihre Goldhauben und Korallen, all ihr Silbergeschirr bis auf den silbernen Gürtel ihrer Großmama, um Keimpe wieder ein wenig Geld an die Hand zu geben. Aber jezt so nackend in Frentjer herumzuhökern, wo sie immer als eine vortreffliche Bürgerstochter verkehrt hatte, das war eine harte Schickung. Sie war so unruhig wie eine Biene, und, o! wie herrlich standen sie sich immer. Sie überlegten deshalb mit einander, ob es nicht am besten wäre, daß sie nach Grins zögen, da kennete so zu sagen niemand[177] sie, und sie könnten sich da behelfen, so wie sie wollten, ohne sich vor jemand zu schämen. Das sollte denn auch erster Tage vor sich gehen, aber vorher noch ereignete sich etwas, was ich euch eigentlich erzählen wollte. Es ist komisch und gräßlich zugleich.

Der Gasthuessteech, wo sie wohnten, hatte seinen Namen von einem Hause, das darin stand mit einer kleinen Kirche dich daran. In dem Hause wohnten allerlei alte und gebrechliche Leute, die nicht mehr gut für sich selbst waren, auch ward wol 'mal ein kranker Reisender darin aufgenommen, der zu Frentjer stecken geblieben. Diese Menschen mit allen den Frauensleuten und Aufwärtern, welche da das Ganze in Ordnung hielten, machten mit einander das ganze Beiert3 aus, was thausende im Jahr kostete, doch waren auch ziemlich viele Bauerhöfe und Grundpachten darunter, über das Einkommen von welchen ein vornehmer Herr, Lubbert Scrok, die Inspection hatte. Dieser Mann wohnte auch da im Hause und hatte ein oder drei von den schönsten Zimmern für sich selbst. Man nannte ihn den Propst dieser Anstalt, er lebte wie ein Banquier, und seine Hausleute litten auch keinen Hunger, aber seine Fingerspizen waren doch bei weitem zu lang, um sich selbst nicht erst zu bedenken. Alle Bauern brachten ihm jährlich ein Achtel Butter oder zwei, auch wol Eier, Käse, Rindfleisch, Biest und alles was so die Zeit brachte, das hieß aus Freundschaft, allein es war eigentlich darum, weil sie sonst aufgehist oder vom Plaz gejagt wurden. Aber der Herr Propst hatte noch mehr Liebhaberei, als am Gelde des Invalidenhauses, er hatte auch Gefallen an andrer Leute Frauenzimmern, und vor allen an jungen üppigen Mädchen, wie Saepke war. Der alte Kerl war so hizig wie eine Hummelbiene! Sie wohnte zwei Häuser von dem Hospital ab, und er säumte darum nicht, ihr dann und wann einige süße Birnen oder hübsche Dockemartens aus dem Gasthuys-Garten zu schicken. Das begab sich meist, wenn Keimpe aus war, und dann kam er selbst auch wol einmal,[178] um ein Abendgesprächchen zu halten, was ihm nicht oft fehlschlug, denn sie war recht häuslich. Gegenwärtig kam er noch öfter, quantsweise um sie im Unglück zu trösten, und da er ihr gut, dachte er, ins Verständniß gebracht hätte, daß es allzumal reine Freundschaft mit ihm wäre, war es nun nach seinen Gedanken die goldne Stunde, um einen tüchtigen Zug zu thun. Geldmangel, meinte er, würde bei dem Frauenzimmer wol schwerer wiegen, als ihre Ehrlichkeit. So schickte er denn eine alte Vettel aus dem Gasthuys ... [denn wo der Teufel selbst nicht kommen kann, da schickt er ein altes Weib hin.]

Der Pfarrer. Denk an deine Mama, Freund!

Gabe. Das ist auch so. Doch es ist schon heraus, Herr Pfarrer. – Nun, Herr Lubbert schickte auf'n Schlag Mittag ein Gasthuys-Mütterchen zu Saepke, die ihr sagte, daß der Propst etwas ausfündig gemacht hätte, um ihr aus der Geldpein zu helfen, daß er es aber vor keinem Menschen, auch vor ihrem Bruder nicht aussagen wollte. Die linke Hand müßte nicht wissen, was die rechte thäte. Sie müßte darum Nachts um zwölf Uhr nur in den Garten kommen, alsdann würde er über das Gehege kommen, und alles mit ihr besprechen, denn ihr müsset wissen, daß Keimpes Garten und der des Hospitals an einander stießen. Saepke roch bald, wo diese Barmherzigkeit hinaus wollte, nahm es aber dennoch ein halb Stündchen in Betracht, und sagte dem alten Weibe, daß sie dann wiederkommen sollte, um Bescheid zu holen. Sobald als das alte Fell fort war, sagte Saepk ihrem Bruder, was vor sich ging, der, als er diese Geschichte vernahm, ingrimmig ward. Diebe hätten ihn arm gemacht, ein reicher Mann wollte ihn auch noch zu Schanden machen! »Als ein guter Frise,« und er streckte die Faust aus, während er dieses sagte, »als ein guter Frise fege ich einem armen Mann die Schuhe ab, aber wehe den Großen! Ich stampfte sie lieber sieben Fuß in die Erde, ehe ich einen schwarzen Blick von ihnen ertrüge. Den reichen Stinker werd' ich kriegen, das schwör' ich ihm!« Und hiemit hieß er Saepk, dem Probst sagen zu lassen, daß sie kommen wollte, er würde wol aufpassen, daß ihr nichts zu Leide geschähe.

Das Glöckchen der Gasthuys-Capelle schlug zwölf Uhr, da sprach[179] Keimpe, »Es ist Pferdemittag. Saepk! zum Propsten hin.« Saepk ging hintenaus in den Garten, wo Altohmchen schon bereit stand, mit einer Leiter über das Gehege zu klettern. Er stieg über. Es war pechdüster, und jedermann zu Frentjer schlief. Propst Lubbert, welcher meinte, von keinem bemerkt zu werden, drückte seiner Liebsten zwanzig goldne Vögel in die Hand, und unterweilen schmeichelte und streichelte er sie recht artig. Aber mit einem Sprung war Keimpe auch dabei, und gab dem alten Spürhund eine Ohrfeige, daß er mit seiner groben Haut in die Johannesbeersträuche purzelte, und ein paar Stöße mit dem Fuß oben im Kauf dazu, die keine sanften waren, denn es war ein untersezter und starker Kerl, der Keimpe. Lubbert sagte weder Kuk noch Muk und blieb liegen wie ein Stein. »Das kommt zu grob an,« schrie Saepk. »Das könnte wol sein,« sprach Keimpe. »Im Dunkeln ist's Knüffelwerk. Wart, ich werde die Laterne holen.« Er kam mit der Laterne, um das Spiel zu beleuchten, und siehst du wol, Lubbert thaten die Zähne nicht mehr weh. Der Stoß war an die Schläfe gekommen, er war todt, maustodt, kann ich euch sagen.

Nichte Jieldouw. Da habt ihr's schon wieder! Ewig hast du's mit morden zu thun.

Gabe. Nun, anders wollet ihr doch sicher nicht danach hören. Allen Liedchensingern läufst du immer vorbei, wenn aber einer mit einem Gemälde dasteht, worauf Vater und Mutter mit allem Volk ermordet werden, dann stehst du und lauschest, als wenn du mit dem Hintern in lauer Milch säßest. Komm, Mutter, laß 'nmal umgehen für den Schreck.

Nichte Jieldouw. Ja, für den Schreck! Es wird wol eine Schlächterei werden. Fahr fort, laß nur 'mal hören.

Gabe. Nun, Lubbert war todt. Da war guter Rath theuer! Es würde nicht am besten mit ihnen stehen, wenn das Gericht des andern Morgens die Leiche in ihrem Garten fände. Dies verursachte ihnen eine so unerträgliche Angst, daß sie, wären die Thore von Frentjer damals schon aus den Angeln gewesen, da herausgeflogen wären so weit als sie Land hätten finden können. Aber die Noth, die hohe Noth lehrte sie[180] beten. Keimpe ließ die Leiche über das Gehäge in den Gasthuys-Garten taumeln, schleppte dieselbe hierauf an die Gallerie des Hauses, welches er mit dem Schlüssel, der in Lubberts Tasche stak, öffnete, und hier sezte er den Propst gegen die Thür des Ganges an, so weit als eine schlaffe Leiche aufrecht sizen kann. Damit meinten Keimpe und Saepke, wäre das Ding ganz vollständig in den Klinken, und schlichen in aller Stille zu Bette. Unglücklicherweise hatte der Armenvater, der dicht an der Gallerie schlief, das Geräusch vernommen. Er streifte flink etwas Kleidung an, und dann hin nach der Gang-Thür, wo todt Lubbert von außen gegenanlehnte. Mit Fahrt warf er die Thür offen, und, plump! da lag Lubbert, und der Vater Hals über Kopf über ihn hin. Der Vater flog wieder in die Höhe, und holte Licht. Aber wie bestürzt sah der Mann aus, daß der Propst da vor ihm läge, todt wie ein Stein. Darauf sofort thausend Gedanken, wie das gekommen wäre. Er hätte die Thür mit einer solchen Uebels-Gewalt aufgestoßen, wer weiß, ob Lubbert, der wol einmal mit dem Mistwagen auf'm Lauf war, nicht grade davor gestanden, um wieder zu Bette zu gehen. Solch eine schwere mit Eisen bedeckte Thür wäre kein Spaß! Aber was noch schlimmer, desselbigen Morgens wären er und der Propst noch an einander gewesen, und dieser hätte ihn ausgeschimpft, er wäre keine Torfsode hoch, alle alten Weiber hätten die Ohren dabei gespizt. Sollten sie nicht sagen, er hätte den Propst ermordet? Der Vater sah die Leiche noch einmal an, kehrte sie um und um, aber endlich schüttelte er den Kopf und sprach bei sich selbst, »Du liegst da schon mit deinem geschlossenen Munde, Kerlchen! aber hier kannst nicht bleiben, heraus mußt du, und heraus sollst du.« Allein wo sollte er in tiefster Nacht mit einem solchen Leichnam hin? Da kam ihm etwas in den Sinn! Die ganze Nachbarschaft wußte, daß der Propst ein gutes Auge auf Saepk hatte, die Armenhaus-Mütterchen hatten schon davon geschwazt, daß es breit Werk wäre mit ihnen beiden, und daß ihr Bruder dem Propst untersagt, je wieder in seine Thür zu kommen. »Der Teufel!« dachte der Vater bei sich selbst, »Ich will meinen Baas auf Saepkens Haustreppe bringen, dann wird man sagen, daß Keimpe ihn hintergangen.« Sogleich schleppte der Vater den Leichnam nach vorne[181] auf die Straße, und legte ihn vor Saepkens Hause nieder, danach that er einen harten Schlag auf die Thür, und kroch bald wieder in die Federn.

»Herr Jerem! was ist das?« rief Saepk, und flog erschrocken auf, »Sollten wir verrathen sein? Keimpe! schnell auf, sieh 'nmal zu.« Keimpe lag in der andern Kammer, aber der war schon so wach und schreckhaft, wie sie, denn es war da binnen mit den beiden kein reiner Kram. Keimpe sprang aus dem Bette, und sie ihm auf Socken folgend nach vorne zu, als sie aber da die Leiche wieder vor ihrer Thür fanden, dachten sie nicht anders, als daß der Teufel Lubbert wiedergebracht hätte, um sie beide an den Galgen zu bringen. Das wollte Saepk dem Bösen dennoch verbauen! Sie gab deshalb ihrem Bruder ein Briefchen, worin der erste Vers aus dem Evangelium Johannis geschrieben stand mit sieben Kreuzen darunter. Mit diesem Briefchen im Aermel kriegte Keimpe wieder eine Stüze unter dem Herzen, und er nahm den Propst zum zweiten Mal auf die Schulter, um ihn hier oder da niederzulegen. So hatte er den Leichnam gut zehn Häuser weit getragen, als er ein Schemchen von dem Misthaufen des Gasthuys-Bauers in's Auge krigte. »Da ist dein Grab, Freund!« sprach Keimpe bei sich selbst und ließ den Propst gleiten. Die Mistgabel stand glücklicherweise noch auf dem Düngerplaz, und Keimpe augenblicklich an's Graben, aber er hatte noch kein tiefes Loch gemacht, als er auf einen großen Sack mit Gut stieß. Er fühlte 'nmal, doch es war kein Korn oder Geld oder solcherlei Sachen, es schien eher Fleisch zu sein. Er that sein Bestes, um die Masse herauszuziehen, und pflückte so lange als er den Sack auf die Dünge hatte. Jezt fühlte er deutlich, daß Kopf und Pfoten dran saßen. »Was Teufel nun!« sprach Keimpe bei sich selbst, »sollten sie noch einen Propst todtgeprügelt haben?« Alsbald machte er den Sack auf, und sah zu seinem größten Erstaunen, daß ein fettes geschlachtetes Schwein darin saß. »Komm!« sagte Keimpe, »das ist süß um sauer! Wir werden 'nmal mit euch umtauschen, Kameraden!« und er nahm den Barg aus dem Sack, und ließ dafür an die Stelle Lubbert hineinglitschen, so schmiß er ihn in das Loch, that etwas Dung darauf, und ging mit dem Barg zu Saepke zurück.[182]

Aber nun werdet ihr fragen, wie das Schwein dort in den Misthaufen kam. Wolan, der Gasthuys-Bauer hatte den Tag grade seinen Bach geschlachtet und in der Scheure aufgehängt, Abends hatten zwei Diebe ihn da weggekapert, da ihnen aber dann noch zu viele Schier-Ale liefen, als daß sie ihn in die Stadt hinaufschaffen konnten, hatten sie denselben so lange im Dunghaufen begraben, tief in der Nacht, wenn alles Volk auf die Seite wäre, sollten sie ihn da wieder herausholen. Mittlerweile waren sie nach einem Heg- und Hehlhäuschen unten am Bollwerk gegangen, wo sie tüchtig vom Haerlemmer Zapfen auf die Gesundheit des Gasthuys-Bauers tranken. Das war schon ein rarer Fall! Da fand sich ein wahres Quodlibet von Gesellschaft vor: ein Bäcker, der durch den Backofen geflogen war, ein paar Dweilen oder Strohjunker, die die glühenden Striemen ihrer Sklaverei auf der Haut trugen, und noch stolz darauf waren, auch zwei Inspectoren, die ihr eigen Geld verschlampampt hatten, und jezt auf das der Stadt und des Landes passen sollten, ferner ein Bürgerssohn, der hier kam, um das sauer verdiente Stüwerchen seines Vaters zu verwürfeln, dann noch die beiden Schweindiebe, und ein Spizbube, der zehn Jahre im Zuchthause gewesen war. Wenn man diesen Mann frug, warum er so lang gesessen, antwortete er immer »um den Glauen,« und wenn man ihn dann frug, welchen Glauben er hätte, sprach er, »ich glaubte, daß eines andern meines wäre, und darüber waren die Teufels-Herren des Gerichts so zornig, daß sie mich gegeißelt und gebrandmarkt haben, und oben im Kauf dazu noch zehn Jahr lang dabei weben ließen.«

Alle diese losen Buben soffen da in dem Gribus wie Mäuse. Immer wiederkehrend hörte man da das Wort, »Komm, lasen wir das Kind ein Mäulchen geben! Es ist besser, das Geld als den Mann zu versaufen,« und dann gingen die Becher und Gläser wieder, klingklang Gloria, lustig in die Runde. Dies dauerte so lange als das Geld am Ende auf war und der Credit dazu, und nun ging es ihnen, wie allen Säufern, der eine nach dem andern fing an über leeren Magen zu klagen. Sie hatten schon einige trockne Weißbrödchen eingeschlungen, und es war jezt an ein Näpfchen mit Grüben und etwas harten Schinken gekommen,[183] was der Wirth zum Besten gegeben hatte. Als das aber auch auf war, stand einer von den Schweindieben auf und sprach: »Wolan, Männer! so werd' ich euch 'nmal tractiren auf Ferkelspeck, hänget den Kessel nur über,« und damit ging er mit seinem Kameraden nach dem Misthaufen, um den Barg zu holen. Als sie mit dem Sackvoll Gut zum Hause herein stampften, stand die ganze Gesellschaft verwundert über solch 'nen Bauchvoll Fleisch. »Das ist ein Professor!« riefen sie alle, »ich darf wetten, daß er achtzig Pfund Seide hat.« Jezt alle mit einander an's Werk! Hier war einer, der etwas Spreu und Späne zusammenschrapte, dort stand einer und schliff Messer, ein andrer holte Wasser oder machte Feuer an. Die Magd, ein grobes vierschrötiges Weibsbild, ward mittlerweile so neugierig, wie das Schwein wol aussähe, daß sie es fast nicht länger aushalten konnte. Sie wickelte denn das Bändchen vom Sackhals sachte los, wippte den Sack bei den untersten Tüpfeln auf den Kopf um, und schüttelte das Thier heraus. Plums! da lag todt Lubbert vor ihren Füssen auf der Flur! Die Magd that einen gräßlichen Schrei, die Saufbrüder, plözlich stumm geworden, wurden bleich wie ein Weißfisch, der Krugwirth, ein unbeschnittener Kerl, stellte sich an wie ein Hofhund, weil er meinte, daß dies auf sein Land wehen würde. Er wollte bei allen Heiligen wissen, wer hier der Mörder wäre. »Morden?« sprach einer von den Bargdieben, »Nein, Mensch! das findet hier keinen Plaz. Willst du genau wissen wie es sizt? Bauer Jouke hat heute geschlachtet, wir haben seinen Bach gekapert, und der Teufel, um uns den Nacken zu brechen, hat ihn in den Armenhaus-Propst verwandelt. Aber halt dich nur still, Baas! Es wird dich nichts danach überkommen. Das Thier gehört Jouke Bauer, und Jouke Bauer soll es auch wieder haben. Es würde mir grauen, wenn der Mann ein Strohhälmchen zu kurz käme.« In einem Augenblick schleppten sie Lubbert nach der Scheune des Gasthuys-Bauers hin, und hängten ihn da auf an demselbigen Balken und in demselbigen Tau, wo sie den Barg abgeschnitten hatten. Eins und andres hiebei verursachte so viel Geräusch, daß Joukchen, welcher dicht am Heuraum schlief, und noch schon wol aufpaßte, wach ward und eine Ahnung krigte, es wären etwa Liebhaber[184] da um sein Bargschwein. Ohne sich Zeit zu lassen, auch nur seine Strümpfe anzuziehen, ging er im bloßen Hemd nach der Scheune, um einmal zu fühlen, ob das Schwein noch hinge. Er tastete und tastete, und fand wol Menschen-, aber keine Bargfüsse, und was das übelste war, das Tau, das für das neue Schlachtvieh zu schwach zu sein schien, brach entzwei, und so plumpte todt Lubbert oben auf Joukchen, und beklappte ihn unter einem Schanzläufer4, den er noch an hatte, ganz und gar. Da lag der Altbauer, heulte und mordbrüllte nicht wenig, grade als wenn der Arge in der Hölle ihn unter hätte. Seine Frau, seine Kinder, der Knecht, die Magd, der Hund, es flog alles nach der Scheune. Stellt euch nun 'nmal recht vor, wie bestürzt die Menschen aussahen, als sie Joukchen da nackend unter dem todten Propst des Armenhauses fanden. An diesem Ding konnten sie weder Kopf, noch Schwanz finden! Sie frugen wol, konnten aber keinen Aufschluß kriegen. Mit diesem Ereigniß waren sie sehr in Verlegenheit, und standen lange in Zweifel, was hier zu thun, aber endlich lief es darauf hinaus, der Baas wäre fort, däuchte sie. Der Propst also müßte da heraus auf welche Weise immer, das Gericht würde sonst meinen, daß sie ihn todtgeschlagen hätten, denn gesternabend wäre er noch dagewesen, um Butter zu bestellen, und der Bauer hätte sich recht viel mit ihm über den Preis herumgezankt. Aber wie kriegten sie ihn heraus? Es liefe gegen halbfünf, und begönne schon zu dämmern, ihn weit zu schleppen, das könnte nicht. Bauer Jouke's Knecht, ein achtsamer junger Kerl von Herbaium, war der einzigste, der hier Rath wußte, und ihnen allen aus dem Pökel half. Sie hatten da ein hübsches muthiges Pferd auf'm Stall, das noch nie am Werk gewesen. Einst hatten sie es vor dem Heuwagen gespannt gehabt, allein es war so läufisch gesinnt, daß sie's aufgeben mußten. Dieses Pferd holte der Knecht vom Stall, legte einen Sattel drauf, sezte den todten Lubbert darauf und band ihn mit Seilen so fest, daß die Masse weder weichen noch wanken konnte, wie sehr es auch flog und schlenkerte, dann band er ihm noch die Zügel sammt einer Peitsche in den Händen[185] fest, so daß der Propst, wenn er ein Bissel steifer im Rücken gewesen, beinahe so grad saß wie ein Reiter. Sobald als die Geschichte völlig fertig war, wurden die Scheunethüren offen geworfen, und sofort gab der Knecht dem Pferd einen ungnädigen Schlag mit der Peitsche auf den Hintern, daß das Thier wie ein Rauch zum Stall hinausschoß, die Gasthuys-Gasse hinauf. In demselbigen Augenblick flog der Bauer mit Frau und Kinder, mit Knecht und Magd zur Thür hinaus, und schrieen alle so laut als sie konnten: »Halt! Halt! Menschen, halt! der Propst ist auf'n Lauf!« Es war ein wenig vor fünf, da die Handwerker grade zu ihrer Arbeit gingen, und augenblicklich waren in und um die Gasthuysgasse ein hundert Menschen auf den Beinen, um das Pferd zu wenden. Aber jemehr sie schrieen und hemmten, desto hiziger und scheuer ward das Thier. Es sezte auf die lezt so toll da durch, daß ein jeder wol gern Plaz machte. Das war in einem und demselben Galopp Straße ein Straße aus, Gang auf Gang nieder, und grade als sollte das Spiel einen Mund haben, als das Pferd halb Frentjer so durchflogen war, kam es endlich im Gasthuys-Steg wieder an Land. Die Gasthuys-Männlein und Weiblein hatten auch von dem Mirakel gehört, sie waren deshalb schon alle in Regung und Bewegung, und standen in oder vor der Thür, um auszukucken. Aber sobald als ihr Patron auf seinem Wettrenner um die Ecke des Stegs drehte, und jeder schrie, »Plaz, Menschen!« stob der ganze Haufe zum Hause herein, und sie jammerten allesammt, »Nehmt euch in Acht! wahret euch! Unser Propst ist närrisch geworden! Menschen, nehmt euch in Acht!« Dennoch blieben vier Zimmerburschen mitten auf der Straße stehen, um das Thier zum Stehen zu bringen, und die klatschten und heulten so gewaltig, daß das Pferd umschwenkte, und zur Gasthuys-Thür, die weit und wag offen stand, einflog. Das ging kugelschnell durch den breiten Gang, in den Gasthuysgarten hinein, quer durch die Johannisbeersträucher und Schnittbohnen hindurch, und als es ein oder zweimal darin herumgetrabt, sollte ein Anlauf gethan werden, um zur Thür wieder herauszukommen. Doch unglücklicherweise traf das Pferd in seinem Lauf eine Stelle, wo eine tiefe Höhle zu einem Brunnen für das Armenhaus gegraben[186] ward, und da taumelte es Hals über Kopf hinein. Das Thier kam auf dem Rücken an Land, und Lubbert darunter, zusammengeklappt wie ein Taschenmesser, indem die Taue, woran er fest saß, von dem Fall zerborsten waren. Jezt zogen die Gasthuys-Leute gölt und wild herauf, um das Unglück ihres Herrn Propsts zu betrachten, und sie sprachen alle mit einander, daß der Mann verkehrt im Kopf geworden, und daß der Fall ihm den Rest gegeben hätte.

1

Hospitalgasse, Invalidenhausgasse.

2

Das ist Emden. Daß Groningen Grins heißt auf frisisch, ist oben bemerkt.

3

Das größte Zimmer in St. Antoni Gasthuys zu Leeuwarden, von vielen unter einander gemischten Leuten bewohnt. Die Beierstraat dicht daran hat davon den Namen. Eigentlich heißt das Wort Chaos.

4

Westfrisisch scansloper, nordfrisisch Skansluper, holländisch schanslooper, ein Regenrock mit einer Kappe.

Quelle:
Clement, Knut Jungbohn: Der Lappenkorb von Gabe Schneider aus Westfrisland, mit Zuthaten aus Nord-Frisland.. Leipzig: 1846, S. 177-187,321.
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