[276] 54. Der Jüngling, der Teufel und seine Tochter.

[276] Es war einmal ein Ehepaar, das bekam keine Kinder, und machte daher eine Pilgerfahrt in das gelobte Land. Sie bestiegen also ein Schiff und fuhren damit bis in die Mitte des Meeres. Da stellte sich der Teufel vor dasselbe, hielt es fest, und sprach zu den Eheleuten: »wenn ihr mir das Kind gelobt, das ihr bekommen werdet, so sollt ihr eins haben«, und diese antworteten: »du mußt es uns lassen, bis es zwölf Jahre alt ist, und dann soll es dein sein.« Da ließ der Teufel das Schiff los und jene gaben ihre Pilgerfahrt auf, kehrten nach Hause zurück, und nach neun Monaten gebar die Frau einen Knaben, den erzogen sie mit großer Liebe und Sorge, bis er zwölf Jahre alt wurde.

Eines Tags ging der Knabe an das Meeresufer, um zu fischen, und traf dort einen Mann, der fragte ihn: »wo gehst du hin, mein Sohn?« und jener antwortete: »ich gehe fischen.« Da füllte ihm jener seinen ganzen Sack mit Fischen, gab ihm fünf Äpfel und sagte, »daß er sie seiner Mutter bringen und sie an ihr Gelübde erinnern solle.« Der Knabe aß vier von den Äpfeln und bewahrte nur einen, um ihn seiner Mutter zu bringen und seinen Auftrag auszurichten, vergaß aber darauf, und als er am andern Morgen wieder mit dem Fremden zusammentraf, gab ihm dieser abermals einen Sack voll Fische und fünf Äpfel, und da es der Knabe auch zum zweiten Mal vergaß, den Auftrag seiner Mutter auszurichten, da gab ihm der Fremde noch einmal fünf Äpfel und einen Sack voll Fische und sagte ihm, »daß er damit sogleich nach Hause gehen solle.«[277]

Als nun der Knabe heim kam, fand er das Haus schwarz angestrichen und seine Mutter in großer Trauer. Da fragte er sie, »warum sie so weine«, und sie antwortete: »warum soll ich nicht weinen? die Zeit ist ja gekommen, wo dich der Teufel holen wird.« Doch der Knabe versetzte: »glaubst du, daß ich hier auf ihn warten werde? Ich mache mich sogleich aus dem Staube, und es soll ihm schwer werden, mich zu fangen.«

Darauf machte sich der Knabe auf und lief in die Welt hinein, und als er eine Weile gelaufen war, begegnete er einem alten Mann, der fragte ihn: »wo willst du hin, mein Sohn?« Er antwortete: »dahin, wohin meine Augen blicken.« Als der Alte aber mit Fragen nicht abließ, erzählte er ihm, wie es mit ihm stehe und warum er von Haus weggelaufen sei. Darauf sprach der Alte: »auf dem Wege, den du ziehst, wirst du an eine Quelle mit stinkendem Wasser kommen, und über das darfst du nicht schmähen, sondern mußt hingehn und aus der Quelle trinken und dann sagen: i was ist das für ein gutes Wasser, ich wollte, das hätte ich bei meinem Hause! und dann wird die Quelle dir sagen, wo du hingehn sollst.« Dieser Alte war aber der Herr Jesus Christus.

Darauf ging der Knabe zu jener Quelle, trank Wasser aus ihr und lobte dasselbe sehr. Da sprach die Quelle: »alle Welt schimpft auf mich und du allein lobst mich, und darum höre auf das, was ich dir sage. An dem und dem Orte ist ein See, zu dem kommen drei Neraiden, um sich darin zu baden. Wenn du also dorthin kommst, so mußt du dich verstecken, und wenn sie sich ausgezogen haben und in dem See herumschwimmen, so mußt du ihnen ihre Federkleider nehmen, und wenn sie dann zu dir kommen und dich bitten, sie ihnen wiederzugeben, so[278] gib sie den beiden älteren, aber der jüngsten gieb es nicht eher, als bis sie dir geschworen hat, daß sie dich selbst im Tode nicht vergessen wolle.«

Da bedankte sich der Jüngling, ging an jenen See und versteckte sich dort, bis die drei Neraiden kamen. Die zwei älteren gingen sogleich in das Wasser, die jüngste aber war ängstlich und sah sich erst nach allen Seiten um, bevor sie ihren Schwestern nachfolgte. Nun schlich sich der Jüngling zu dem Orte, wo ihre Kleider lagen, und nahm sie weg, und als sie aus dem Wasser stiegen, da kamen sie zu ihm und baten ihn um ihre Kleider. Er gab den beiden Ältesten die ihrigen, aber der Jüngsten gab er es nicht eher, als bis sie ihm geschworen hatte, ihn selbst im Tode nicht zu vergessen. Darauf nahmen ihn die drei Mädchen mit sich nach Hause zu ihrem Vater, und das war grade der Teufel, dem der Jüngling gelobt war. Als der am Abend nach Hause kam, sprach er zu dem Jüngling: »siehst du den Baum, der hier vor dem Hause steht? den sollst du heute Nacht fällen und zu Brettern versägen, und wenn du damit nicht bis morgen in der Frühe fertig bist, so fresse ich dich.« »Gut!« antwortete der Jüngling, als er aber allein war, da fing er an zu seufzen und zu weinen, denn er wußte nicht, wie er es anfangen sollte, eine solche Arbeit in einer Nacht zu vollenden. In seiner Not ging er zu seiner Frau, der Neraide, die riß sich ein Haar aus, und gab es ihm, und sagte, »er solle es verbrennen«, und kaum hatte er das getan, so versammelten sich alle Teufel und machten sich an die Arbeit, und bevor es Tag wurde, waren sie damit fertig.

Als nun der Teufel aufwachte und die Arbeit getan fand, da rief er: »meine Jüngste hat dir geholfen!« der Jüngling aber leugnete das und behauptete, daß er[279] die Arbeit allein getan habe. Am andern Abend sagte ihm der Teufel: »siehst du jenen Berg? den sollst du heute Nacht abtragen und den Platz, auf dem er gestanden, eben machen.« »Gut!« antwortete der Jüngling. Als aber der Teufel weggegangen war, da lief der Jüngling zu seiner Frau und klagte ihr seine Not. Sie gab ihm wieder ein Haar, und als er das verbrannte, versammelten sich alle Teufel und machten sich an die Arbeit, und bevor es Tag wurde, waren sie damit fertig. Wie nun am andern Morgen der Teufel kam und die Arbeit getan fand, da rief er: »das hast du nicht allein gemacht, meine Jüngste hat dir geholfen.« Der Jüngling aber erwiderte: »nein, ich habe es allein gemacht und mir von Niemand helfen lassen.«

Am dritten Abend sagte der Teufel: »siehst du diese Bretter, die du selbst geschnitten hast? mit den sollst du mir heute Nacht ein Schiff bauen und das muß morgen früh fix und fertig am Strande liegen.« »Gut!« sprach der Jüngling. Als aber der Teufel weggegangen war, lief er wiederum weinend zu seiner Frau und klagte ihr seine Not. Da gab ihm diese einen Stab und einen Laib Brot und sprach: »gehe damit an den Strand und schwinge den Stab, und es werden sich alle Teufel versammeln; dann wirf ihnen das Brot hin und sage ihnen in meinem Namen, daß sie, bevor es Tag wird, das Schiff fertig haben müßten, und dann komm wieder.« Der Jüngling machte es, wie seine Frau ihm geraten hatte, und kehrte zu ihr zurück. Als er aber am andern Morgen zum Strande gehen wollte, sagte sie: »wenn mein Vater kommt und dir sagt, daß du in das Schiff steigen sollst, so tue es nicht, denn er wird ihm einen Stoß geben, daß es bis in die Mitte des Meeres fährt, sondern du mußt ihm sagen: du bist der Vornehmere und mußt[280] daher zuerst hineinsteigen, und wenn er darin ist, so gieb dem Schiff einen Stoß mit dem Knie, damit es bis in die Mitte des Meeres fährt. Dann laufe so schnell du kannst hierher, damit wir entfliehen.« Da machte es der Jüngling, wie ihm seine Frau gesagt hatte, und nachdem der Teufel ins Schiff gestiegen und er dieses bis in die Mitte des Meeres gestoßen hatte, lief er was er konnte zu seiner Frau zurück und setzte sich mit ihr auf die Pferde, welche sie in Bereitschaft hatte. Sie ritten auf diesen bis zu der Gränze des Reiches des Teufels, und da sie nun sicher waren, daß sie nicht mehr gefangen werden konnten, so setzten sie sich unter einen Baum und ruhten aus. Die Neraide erwachte zuerst, und als sie zwei weiße Wolken herankommen sah, da weckte sie ihren Mann und sprach: »siehe, da kommen meine beiden Schwestern, um uns zu suchen, und bald wird auch eine schwarze Wolke kommen, das ist meine Mutter«, und es dauerte nicht lange, so kam auch die schwarze Wolke heran, und nun suchten die drei Wolken die ganze Gränze ab, konnten sie aber nicht finden, weil sie bereits jenseits derselben waren.

Der Jüngling kehrte mit seiner Frau in seine Heimat und ließ sie im Hause einer alten Frau zurück, bevor er in das seine ging, um seine Mutter zu besuchen. Da sprach die junge Frau: »wenn du zu deiner Mutter kommst, so laß dich nicht von ihr küssen, denn wenn sie dich küßt, so wirst du mich vergessen.« Der Jüngling ging nun zu seiner Mutter, aber sie erkannte ihn nicht. Er fragte sie also: »hast du keinen Sohn?« und jene antwortete: »o ja, ich hatte einen, den hat mir aber der Teufel geraubt«, und jener fragte wieder: »hatte er kein Abzeichen auf der Brust?« – »Ja wohl hatte er eins.« – Da entblößte er seine Brust, und als die Mutter das[281] Zeichen sah, wollte sie ihn umarmen, er aber hielt sie ab, und bat sie, ihn nicht zu küssen. Weil er nun von der Reise sehr ermüdet war, so legte er sich nieder, um auszuruhen, und schlief ein; da schlich sich seine Mutter zu ihm und küßte ihn heimlich, so daß er es nicht merkte, und als er aufstand, hatte er seine Frau gänzlich vergessen.

Die Mutter ließ nun das Haus wieder weiß anstreichen, und suchte nach einer Frau für ihren Sohn, und als sie die passende gefunden hatte, verlobte sie ihn mit ihr. Die Neraide erfuhr das alles von der Alten, bei der sie wohnte, und begriff, daß seine Mutter ihn geküßt habe. Da setzte sie sich hin an den Webstuhl und webte sich goldene Kleider und hing sie vor dem Hause in die Sonne. Als nun ihr Mann einmal vorüber kam und die Kleider erblickte, da dämmerte es in ihm auf, als ob er eine Frau habe, die solche Kleider trüge. Er ging also heim und bat seine Mutter, in jenes Haus zu gehn, um zu sehn, wem diese goldenen Kleider gehörten. Die Mutter tat ihm den Willen, und als sie zurückkam, erzählte sie ihm, daß sie einer fremden Frau gehörten, welche so schön sei, daß sie Strahlen werfe. Da ahnte es dem Sohne, daß das seine eigene Frau sei, und er bat daher seine Mutter, noch einmal hinzugehen und die Fremde einzuladen, mit ihr nach Hause zu kommen, und als sie mit der Mutter ins Haus trat, da erkannte er sie wieder und sprach zu seiner Mutter: »diese und keine andere ist meine Frau, diese hat mir das Leben gerettet, und weil du mich im Schlafe geküßt hast, so mußte ich sie vergessen.« Darauf sagte er seiner Verlobten ab, und lebte glücklich und zufrieden mit seiner Frau.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 276-282.
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