[64] 11. Die Wette der drei Brüder mit dem Bartlosen.

[64] Es war einmal ein Vater, der hatte drei Söhne und davon war der jüngste an einem Fuße lahm. Als nun der Vater auf seinem Totenbette lag, da rief er seine drei Söhne vor sich, nahm Abschied, und verlangte von ihnen das Versprechen, daß sie ihr Lebenlang weder mit einem Bartlosen noch mit einem Hinkenden auf Reisen gehn sollten. Alle drei versprachen ihm das, und darauf starb er zufrieden.

Nachdem sie den Vater begraben hatten, da machte sich zuerst der älteste Bruder auf, um in der Welt sein Glück zu versuchen. Er war aber noch nicht weit vom Hause, so begegnete ihm ein Bartloser und fragte ihn, »wo er hin wolle.« Darauf antwortete der Älteste: »in die Fremde, um mein Glück zu versuchen.« »Da nimm mich auch mit«, sagte der Bartlose. »Nein, das darf ich nicht, denn der Vater hat es uns auf dem Sterbebette verboten, mit einem Bartlosen zusammen zu reisen.« Als er eine Weile gegangen war, begegnete er einem andern Bartlosen, der fragte ihn eben so wie der erste, erhielt aber dieselbe Antwort. Eine Strecke weiter begegnete ihm ein dritter Bartloser, und als auch der ihm seine Begleitung anbot, da dachte der Älteste: es ist nun einmal mein Schicksal, daß ich lauter Bartlosen begegne, also mag es denn sein, und so nahm er denn den Bartlosen als Reisegefährten an.

Nachdem sie eine Weile gewandert waren, schlug ihm der Bartlose vor, daß sie mit einander wetten wollten, wer zuerst über den andern ärgerlich würde, und es solle um das Fleisch des Rückgrats gelten, das der andere[65] dem, der sich geärgert, ausschneiden dürfe. Der Älteste war das zufrieden, und der Bartlose führte ihn in sein Haus und gab ihm auf, seine Heerde zu hüten, und als der Älteste sie austreiben wollte, da gab er ihm einen Laib Brot und sprach: »da nimm das Brot und iß davon so viel du willst und gieb auch dem Hunde davon; aber am Abend mußt du mir es heil zurückbringen.« Als das der Älteste hörte, wurde er zornig und rief: »das ist doch zu arg, denn wie soll ich es anfangen, daß ich mich an dem Brote satt esse, und auch dem Hunde davon gebe, und es doch am Abend heil wiederbringe!« Darauf sprach der Bartlose: »nun hast du die Wette verloren, nun will ich meinen Gewinnst haben«; und da mußte der Älteste so lange still halten, bis ihm der Bartlose das Fleisch von dem Rückgrat geschnitten hatte. Dem Ältesten war dadurch die Reiselust vertrieben, und er ging also wieder nach Hause, sagte aber seinen Brüdern kein Wort von dem, was ihm widerfahren war.

Darauf machte sich der zweite Bruder auf, um in der Welt sein Glück zu versuchen; dem erging es ebenso wie dem Ältesten, und er kam eben so verdrießlich nach Hause. Da sagte der hinkende Jüngste: »wenn es euch nicht geglückt ist, so will ich es probiren, vielleicht geht mir es besser.« »Nun so mache dich auf«, erwiederten die Brüder, und hofften, daß es ihm ebenso ergehen werde, wie ihnen.

Da machte sich der Jüngste auf den Weg und begegnete ebenso wie seine Brüder dem Bartlosen und schloß mit ihm auch dieselbe Wette. Als ihm aber dieser am Morgen, wo er mit der Heerde ausziehen sollte, einen Laib Brot gab und ihm auftrug, davon zu essen und dem Hund davon zu geben und ihn doch am Abend heil zurückzubringen, wurde er darüber nicht ärgerlich, sondern[66] sagte: »ganz wohl.« Nachdem er mit der Heerde eine Weile gezogen war, suchte er sich einen schönen Platz aus, machte dort ein großes Feuer an, dann griff er das beste Lamm aus der Heerde, schlachtete und briet es, und als er es verzehrt hatte, lockte er den Hund an sich heran und schlug ihn tot.

Bald nachher kam ein Ochsenwagen an der Weide vorüber, und wie der Lahme bemerkte, daß dessen Gespann in elendem Zustande und der eine Ochse nahe daran war, umzustehn, spannte er es aus und gab dafür das beste Paar aus seiner Heerde. Darauf fragte er die Leute, denen der Wagen gehörte: »Habt ihr Brot und Wein?« und als diese es bejahten, schlachtete er eine Jungkuh und briet sie und tat sich mit den Fremden gütlich.

Als er am Abend die Heerde heimtrieb und der Bartlose bemerkte, daß davon Stücke fehlten, sagte er zwar nichts zu dem Lahmen, weil er an die Wette dachte, doch sprach er bei sich: »an dem habe ich meinen Meister gefunden.« Aber so ging es nun Tag für Tag, und jeden Abend kam der Lahme mit einer kleineren und schlechteren Heerde nach Hause. Da hielt es endlich der Bartlose nicht mehr aus und fuhr eines Abends den Lahmen mit den Worten an: »Kerl, was ist aus den Ochsen geworden?« Der aber sprach: »Du hast die Wette verloren und nun stehe still, bis ich dir einen Riemen Fleisch aus dem Rücken geschnitten.« Darauf machte er es ihm ebenso, wie dieser es seinen zwei Brüdern gemacht hatte, nahm ihm obendrein alle seine Habe und kehrte damit nach Hause zurück.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 64-67.
Lizenz:
Kategorien: