[75] 14. Das Ziegenkind.

Es war einmal ein Bauer und eine Bäuerin, die bekamen keine Kinder und waren darüber sehr betrübt. Eines Tages betete die Frau zum lieben Gott: »er möge ihr ein Kind geben und wenn es auch ein Zicklein wäre.« Drauf ward ihr Leib gesegnet, sie gebar aber statt eines Kindes ein Zicklein, welches frisch und munter heranwuchs. Eines Tages sprach die Mutter zur jungen Ziege: »wenn ich nur Jemand hätte, der dem Vater einen Krug Wasser auf den Acker brächte!« Und diese erwiderte: »binde ihn an mein Gehörn, und ich trage ihn hin.« Die Mutter band ihr also den Krug an die Hörner, und sie trug ihn zu ihrem Vater. Auf dem Rückweg kam sie an ein heimliches sonniges Plätzchen, da setzte sie sich hin, zog ihr Fell ab und lauste es. Als sie so da saß, kam ein Prinz durch den Wald, der auf der Jagd war, erblickte sie von Weitem, und näherte sich ihr leise und seine Augen[75] staunten über ihre Schönheit, welche wie die Sonne strahlte. Wie er aber näher treten wollte, wurde sie ihn gewahr, schlüpfte sogleich in ihr Fell und lief nach Hause.

Der Prinz schickte ihr nach, um zu wissen, wo sie hinginge, und als er es erfahren, da ging er heim und sagte zu seiner Mutter: »schicke Brautwerber in das und das Haus, denn ich will die Ziege zur Frau nehmen, welche dort wohnt.«

Wie das die Mutter hörte, fing sie an zu jammern und zu weinen, und rief: »mein Sohn, wenn du dich vermählen willst, so nimm doch eine Prinzessin von Deinesgleichen, aber keine Ziege.«

Doch er sagte: »entweder diese oder keine!« und blieb dabei. Als die Mutter inne wurde, daß ihr Sohn sich nicht abbringen ließ, ergab sie sich endlich in seinen Willen und schickte zwei Weiber ab, welche bei der Mutter um die Ziege freien sollten. Die ließ aber die Weiber gar nicht ausreden, sondern ergriff einen Prügel, schlug damit auf sie los und rief: »da habt ihr was für den Spott, den ihr mit mir treibt! Ich habe keine andere Tochter als dies Tierchen, das mir Gott zu meinem Troste geschenkt hat, und das ist keine Frau für einen Prinzen.«

Da gingen die Weiber in das Schloß zurück und erzählten, wie es ihnen ergangen. Der Prinz aber bat seine Mutter, nun selbst hinzugehen, und übel oder wohl, mußte sie das tun, denn vor Liebesgram hatte der Prinz schon fünf Tage lang nichts gegessen. Darauf ging die Königin zur Mutter der Ziege und sprach: »du mußt die Ziege hergeben, es hilft Alles nichts! denn so und so steht es mit meinem Sohne.« Da sah die Mutter ein, daß es nicht anders gehe, sie fügte sich also und gab der Königin die Ziege mit, und die brachte sie zu ihrem Sohn. Als[76] dieser die Ziege erblickte, küßte und herzte er sie und fing wieder zu essen und zu trinken an.

Die Ziege war munter und lustig nach Ziegenart, trieb allerlei Kurzweil und stellte auch manchen Schaden an.

Eines Tages machte die Königin einen Blätterkuchen; die Ziege aber ging hin und zerriß ihr die Teigblätter mit dem Horn, und dafür gab ihr die Königin eins mit dem Walgerholz. Den andern Tag nahm die Magd das Brot und trug es in den Ofen. Die Ziege aber ging ihr nach und verdarb mit ihren Hörnern ein Bretzelbrot, und der Bäcker gab ihr eins mit dem Schüreisen.

Um diese Zeit verheiratete sich der Vetter des Königs und lud ihn und sein Haus zur Hochzeit ein. Nachdem alle fertig waren um hinzugehen, banden sie die Ziege an einen Feigenbaum. Kaum waren sie aber fort, so schlüpfte die Ziege aus ihrem Felle, zog goldene Kleider an, ging auch auf die Hochzeit und setzte sich zu ihrer Schwiegermutter. Als diese sah, wie schön die Fremde war, sprach sie bei sich: »Ach, wenn doch die Frau meines Sohnes so schön wäre!« und fragte sie: »woher bist du, mein Kind?« Und diese antwortete: »von dem Walgerholze.« Drauf gingen sie auf den Tanzplatz und tanzten, und wie sie dort ihr Mann erblickte, erkannte er sie. Als der Tanz zu Ende war, da warf sie einen goldenen Apfel unter die Leute, um sie irre zu machen, und lief weg und steckte sich wieder in ihr Ziegenfell. Drauf kam auch die Königin mit ihrem Sohne nach Hause und sagte zu ihm: »Hast du die schöne Fremde gesehen?«

»Ja wohl Mutter. Hast du sie gefragt, wo sie her ist?«

»Ja mein Sohn, aber ich weiß nicht mehr, welchen Ort sie nannte, ich hab's vergessen.«

»Wenn sie morgen wiederkömmt, so frage sie doch mir zu Liebe noch einmal!« sagte der Prinz.[77]

Die Mutter versprach das, und als sie des andern Tags wieder auf der Hochzeit waren, da erschien auch das Ziegenkind wie am ersten Tage, und setzte sich neben seine Schwiegermutter. Da fragte diese: »Woher bist du, mein Kind?« »Vom Schüreisen!« antwortete das Mädchen, und ging darauf hinunter und tanzte. Und als der Tanz zu Ende war, da warf sie wiederum einen goldenen Apfel unter die Leute, um sie irre zu machen, lief weg, schlüpfte in ihr Fell, und als die anderen zurückkehrten, da fanden sie sie unter dem Feigenbaum liegen, an dem sie angebunden war.

Der Prinz aber sann hin und her, wie er ihr das Fell entwenden könne. Und als die Königin wieder von der schönen Fremden sprach, sagte er zu ihr: »Hast du sie gefragt, Mutter, woher sie ist?« Und diese erwiderte: »Sie hat mir's gesagt, mein Sohn, aber ich hab's wieder vergessen.«

Am andern Morgen stand der Prinz auf, ging zu dem Bäcker und sagte: »Heize deinen Ofen, bis er glühend wird, schließe aber kein Brot ein.« Drauf ging er zu seiner Mutter und sagte: »Geht einstweilen zur Hochzeit; ich werde nachkommen!« Sie gingen also hin ohne den Prinzen, und dieser versteckte sich an einen Ort, von wo er sehen konnte, was die Ziege mache. Als nun diese aus ihrem Fell schlüpfte und zur Hochzeit ging, da nahm er das Fell und warf es in den Backofen. Der Geruch von dem brennenden Felle drang aber bis zum Hochzeitshaus und bis in den Saal, wo das Mädchen tanzte. Da schlüpfte es fort, rannte bis zum Ofen und wollte sich hineinstürzen. Der Prinz aber war ihr nachgelaufen; er fing sie in seinen Armen auf und sprach: »Ich habe dich nicht für den Backofen genommen, mein Herz!« Darauf trug er sie auf seinen Armen in das gläserne Gemach[78] des Schlosses und ging nicht auf die Hochzeit, sondern koste mit ihr.

Nach einer Weile schickte die Mutter die Amme nach dem Sohn, um zu sehen, wo er bleibe. Die fragte ihn: »Warum kommst du nicht zur Hochzeit?« »Ich habe Kopfweh«, erwiderte er; »aber die Mutter soll sich nicht stören lassen. Am Abend komme ich, um sie abzuholen.« Die Mutter wartete jedoch vergebens auf ihn. Und als sie endlich nach Hause kam, da sagte ihr der Prinz: »Da Mutter, nimm die Schlüssel zum gläsernen Saale und hole mir einen Trinkbecher.« Diese ging hin, öffnete die Türe und es glänzte darin so sehr, daß sie erschrak und schrie: »Es ist ein Geist im Saal! es ist ein Geist im Saal!« Der Prinz aber lachte, nahm sie bei der Hand, führte sie in den Saal zurück und sagte: »Sieh doch einmal recht hin, Mutter!« Und als die Schnur aufstand und der Königin die Hand küßte, fuhr er fort: »Siehst du Mutter, das ist die Ziege!« Und die Königin umarmte und küßte sie und sprach: »Warum hast du dich so lange versteckt, mein Kind?« Drauf stellte sie eine Hochzeit an, wie noch keine war gesehen worden, und lud alle Könige von weit und breit dazu ein, und schickte auch nach dem Vater und der Mutter ihrer Schnur. Diese aber fürchteten umgebracht zu werden und versteckten sich.

Als der König hörte, daß sie aus Furcht nicht kommen wollten, ließ er ihnen sogleich neue Kleider machen und ging selbst hin und holte sie herbei. Ihre Tochter kam ihnen bis in den Hof entgegen und küßte ihnen an der Treppe die Hände. Und so fröhlich ging's noch auf keiner Hochzeit her.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 75-79.
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