[122] 22. Die Zwillingsbrüder.

Es war einmal ein Fischer, der hatte zwar sein gutes Auskommen, aber keine Kinder. Eines Tages kam ein altes Mütterchen zu seiner Frau und sagte: »Was nützt dir dein Wohlstand, wenn du keine Kinder hast?« »So ist es Gottes Wille!« antwortete die Frau. »Nein, mein Kind, das ist nicht Gottes Wille, sondern die Schuld deines Mannes, denn wenn der das goldene Fischchen finge, so würdet ihr Kinder bekommen. Wenn also heute Abend dein Mann nach Hause kommt, so sage ihm, er solle hingehn und das Fischchen fangen; das müßt ihr dann in sechs Stücke schneiden. Eins davon mußt du und das zweite dein Mann essen, und dann werdet ihr zwei Kinder bekommen. Das dritte gieb der Hündin, und dann wird sie zwei Welfen werfen. Das vierte gieb der Stute, und dann wird sie zwei Fohlen werfen. Das fünfte vergrabe rechts von der Hausschwelle und das sechste links, und dann werden da zwei Cypressenbäume hervorwachsen.«

Als am Abend der Fischer nach Hause kam, erzählte ihm seine Frau, was ihr die Alte geraten, und er versprach, das goldne Fischchen zu bringen. Drauf ging er in aller Frühe zum Wasser und fing das goldne Fischchen. Sie taten damit, wie die Alte verordnet hatte, und nach der bestimmten Zeit bekam die Fischerin zwei Kinder, die[122] sich so ähnlich sahen, daß man das eine vom andern nicht unterscheiden konnte, die Hündin warf zwei ganz gleiche Welfen, die Stute zwei ganz gleiche Fohlen, und an der Hausschwelle sprossen zwei ganz gleiche Cypressen auf.

Als die Knaben herangewachsen waren, wollten sie nicht zu Hause sitzen bleiben, obgleich sie Gelds und Guts genug hatten, und verlangten in die Welt zu gehn und sich einen Namen zu machen. Der Vater aber ließ sie nicht zusammen gehn, weil sie die einzigen Kinder waren, die er hatte, und sagte: »erst soll der Eine wandern, und wenn der zurück ist, dann kann auch der andere gehen.« Also nahm denn der Eine das eine Pferd und den einen Hund, und sagte zu seinem Bruder: »So lange die zwei Cypressen grün sind, so ist das ein Zeichen, daß ich lebe und gesund bin, wenn aber die eine dürr wird, dann mache dich auf und suche mich.«

Drauf zog er in die Welt hinaus. Eines Tages kehrte er bei einer alten Frau ein, und als er dort des Abends vor dem Hause saß, erblickte er ein Schloß, das auf einem Berge lag, und fragte die Alte: »wem das gehöre.«

»Das ist das Schloß der Schönen des Landes, mein Sohn.«

»Und ich bin hierher gekommen, um sie zu freien!«

»Das haben schon Viele versucht, mein Sohn, und haben darüber ihr Leben verloren, denn sie hat ihnen die Köpfe abgeschlagen und auf die Eisenpfähle gesteckt, die du dort stehen siehst.«

»Das soll sie mir auch antun, wenn's nicht anders ist, denn ich werde morgen hingehn und um sie freien.«

Drauf holte er seine Zither und spielte darauf so schön, wie man es in jenem Lande noch nie gehört hatte, und die Prinzessin selbst kam an's Fenster, um zuzuhören.

Des andern Morgens ließ die Schöne des Landes die[123] Alte kommen, und fragte sie: »Wer wohnt bei dir, der so schön Zither spielen kann?« »Es ist ein Fremder, Prinzessin, der gestern Abends angekommen ist«, sagte die Alte. Und die Prinzessin befahl ihr, den Fremden zu ihr zu führen. Als der Fremde vor der Prinzessin erschien, fragte sie ihn nach seiner Heimat und seiner Familie, und nach diesem und jenem, und gestand ihm endlich, daß ihr sein Zitherspiel sehr wohlgefallen, und daß sie ihn zum Manne nehmen wolle. Der Fremde entgegnete: »daß er eben in dieser Absicht hierher gekommen sei.« Drauf sprach die Prinzessin: »Nun gehe zu meinem Vater und sage ihm, daß du mich zum Weibe verlangst, und wenn er dir dann die Aufgaben gestellt hat, so komme zurück und sage sie mir.«

Der Fremde ging also zum König und sagte ihm: »daß er seine Tochter zur Frau haben wolle.« Und der König erwiederte: »Ich bin's zufrieden, wenn du im Stande bist, das zu tun, was ich dir aufgebe, wo nicht, so kostet es dir den Kopf. Also höre: Draußen auf dem Felde liegt ein dicker Klotz, der mehr als zwei Klafter im Umfange hat, wenn du den mit einem Hiebe deines Schwertes entzwei haust, so geb ich dir das Mädchen zum Weibe. Wenn es dir aber mißlingt, so kostet es dir den Kopf.« Drauf zog sich der Fremde zurück und kam sehr betrübt zur Alten, denn er glaubte nicht anders, als daß er am andern Tage dem Könige mit dem Kopfe büßen müsse, und vor lauter Sinnen, wie er es anfangen solle, um den großen Klotz zu spalten, vergaß er auf seine Zither.

Am Abend trat die Prinzessin ans Fenster, um seinem Spiele zuzuhören, fand aber alles still. Da rief sie ihm zu: »Warum bist du denn heute Abend so nachdenklich und spielst nicht auf der Zither?« und er klagte ihr nun seinen Kummer. Sie aber lachte darüber und rief:[124] »Und über so was grämst du dich? Hole nur schnell deine Zither und spiele was auf zum Zeitvertreib, und komme morgen früh zu mir.«

Da holte der Fremde seine Zither und spielte den ganzen Abend über zur Unterhaltung der Prinzessin; und am andern Morgen gab ihm diese ein Haar aus ihren Locken und sprach: »nimm dieses Haar und wickle es um dein Schwert, so wirst du den Klotz entzwei hauen.« Drauf ging der Fremde hin und spaltete den Klotz mit einem Hiebe. Der König aber sprach: »Jetzt werde ich dir noch Eins aufgeben, wenn du meine Tochter zur Frau haben willst.« »So sprich«, erwiderte der Fremde. »Also höre: Du mußt ein Pferd besteigen, und damit in vollem Laufe drei Stunden Weg machen und in jeder Hand einen Becher voll Wasser halten, und wenn du keinen Tropfen davon verschüttest, so geb' ich dir meine Tochter zur Frau. Gelingt's dir aber nicht, so nehm' ich dir das Leben.«

Da ging der Fremde zur Alten zurück und war wieder so betrübt, daß er auf seine Zither vergaß. Am Abend trat die Prinzessin ans Fenster um ihm zuzuhören, da aber alles still war, rief sie ihm zu: »warum bist du denn wieder so bekümmert und spielst nicht auf deiner Zither?« Darauf erzählte er ihr, was ihm der König aufgegeben habe, und die Prinzessin erwiderte: »laß dich das nicht kümmern und spiele nur zu und komme morgen bei mir vorbei.«

Des andern Morgens ging er zu ihr, und sie gab ihm ihren Ring und sprach: »wirf diesen Ring in's Wasser und davon wird es gefrieren, und du wirst nichts verschütten.« Er tat, wie ihm geheißen, und machte den Weg ohne das Wasser zu verschütten.

Darauf sagte der König: »jetzt will ich dir noch Eins[125] aufgeben, und das soll das Letzte sein. Ich habe einen Schwarzen, mit dem sollst du morgen kämpfen, und wenn du Sieger bleibst, so sollst du meine Tochter haben.« Da kehrte der Fremde voll Freude zur Alten zurück und war Abends so lustig, daß ihm die Prinzessin zurief: »du bist ja sehr vergnügt heut' Abend. Was hat dir denn mein Vater gesagt, daß du so froh bist?« Dieser erwiderte: »er hat mir gesagt, daß ich morgen mit seinem Schwarzen kämpfen solle; das ist ein Mensch wie ich, und den hoff' ich schon unter mich zu bringen.« Da rief die Prinzessin: »Ach, das ist das Schwerste von Allem, denn dieser Schwarze bin ich selber. Man giebt mir einen Trank, und von dem werd ich in einen Schwarzen von unüberwindlicher Stärke verwandelt. Gehe aber morgen auf den Markt und kaufe zwölf Büffelhäute, und umwickle dein Pferd damit; stecke auch dies Tuch zu dir, und wenn ich morgen auf dich losgehe, dann zeige es mir, damit ich ein bischen wieder zu mir selbst komme und dich nicht töte; und wenn du mit mir kämpfest, so mußt du versuchen, mein Pferd zwischen den Augen zu treffen, denn wenn du dieses tötest, so hast du mich besiegt.«

Am andern Morgen ging er auf den Markt, kaufte die zwölf Büffelhäute und umwickelte damit sein Pferd. Drauf begann er mit dem Schwarzen zu kämpfen, und als der Kampf eine Zeitlang gedauert hatte und schon elf Büffelhäute zerrissen waren, da traf der Fremde das Pferd des Schwarzen zwischen die Augen, und wie es tot hinfiel, war der Schwarze besiegt, und der Fremde hatte gewonnen. Da sprach der König: »weil du die drei Aufgaben gelöst hast, so nehme ich dich zum Eidam.« Der Fremde aber erwiderte: »ich hab' noch ein Geschäft abzumachen, doch in vierzig Tagen komme ich zurück und hole die Braut heim.«[126]

Er machte sich also auf und zog nach einem andern Land, kam in eine große Stadt und stieg dort in dem Hause einer alten Frau ab. Nachdem er zu Abend gegessen, verlangte er von der Alten Wasser. Da sagte die Alte: »ich habe kein's, mein Sohn, denn ein Ungeheuer hält unsere Quellen besetzt und läßt uns nur einmal im Jahr daraus schöpfen, wenn wir ihm ein Mädchen bringen. Das frißt er auf und läßt uns dafür Wasser holen. Gerade jetzt ist das Loos auf die Tochter des Königs gefallen, und morgen soll sie hingeführt werden.«

Des anderen Tags wurde die Prinzessin zur Quelle geführt und dort mit einer goldenen Kette angebunden, dann entfernten sich die Leute und ließen sie allein. Als alle fort waren, ging der Fremde zu dem Mädchen und fragte sie, was ihr fehle, daß sie so jammere? Und diese erwiderte: »daß das Ungeheuer kommen und sie fressen werde, und darum jammere sie.« Da versprach ihr der Fremde sie zu befreien, wenn sie ihn zum Manne nehmen wolle, und die Prinzessin willigte mit Freuden ein. Wie nun das Ungeheuer herankam, hetzte der Fremde seinen Hund auf dasselbe, und dieser erwürgte es. Und so wurde die Prinzessin befreit.

Als das der König hörte, willigte auch er in die Heirat, und stellte eine große Hochzeit an. Der junge Ehemann blieb hundert und eine Woche in dem Pallaste, dann aber wurde es ihm zu enge darin, und er verlangte auf die Jagd zu gehen. Der König wollte ihn davon abhalten, aber es gelang ihm nicht. Drauf bat er ihn einiges Geleite mitzunehmen, aber auch das schlug er ab, und nahm nur sein Pferd und seinen Hund mit.

Nachdem er ein gut Stück geritten war, sah er von fern eine Hütte und ritt darauf los, um Wasser zu trinken. Er fand darin eine alte Frau und ging sie um[127] Wasser an. Die Alte sagte: »er solle ihr erlauben, seinen Hund vorher mit ihrem Stäbchen zu schlagen, damit er sie nicht beiße, und dann wolle sie ihm Wasser geben.« Der Jäger willigte ein, und als sie den Hund mit dem Stäbchen berührte, da wurde dieser zu Stein. Drauf berührte sie den Jäger und sein Pferd, und verwandelte auch sie in Stein. Sowie aber das geschehen war, da verdorrte der eine Cypressenbaum vor seines Vaters Hause.

Als das der andere Bruder sah, machte er sich auf, um ihn zu suchen. Er kam in die Stadt, wo sein Bruder das Ungeheuer getötet hatte, und der Zufall führte ihn zu derselben Frau, wo sein Bruder gewohnt hatte. Als ihn diese erblickte, hielt sie ihn für seinen Bruder und sprach zu ihm: »nimm es mir nicht übel, mein Sohn, daß ich nicht zu dir gekommen bin, um dir zu deiner Heirat mit der Königstochter Glück zu wünschen.« Der Fremde merkte den Irrtum und sagte: »das tut nichts, Alte!« und ritt ohne weiteres in das Königsschloß. Als ihn der König und die Prinzessin erblickten, da riefen sie: »wo bist du so lange geblieben? Wir glaubten, es wäre dir was Schlimmes begegnet, weil du so lange nicht kamst.« Als er aber des Nachts mit der Prinzessin schlafen ging, da legte er sein Schwert zwischen sich und seine Schwägerin. Drauf fragte ihn diese: »was hast du denn, daß du so böse tust?« Er aber antwortete nicht, und ging am andern Morgen auf die Jagd.

Der Zufall führte ihn denselben Weg, den sein Bruder eingeschlagen, und er erblickte ihn von Weitem und merkte, daß er versteinert sei. Da drang er in die Hütte und befahl der Alten, seinen Bruder zu entzaubern. Und diese erwiderte: »laß mich deinen Hund mit dem Stabe berühren und dann entzaubere ich deinen Bruder.« Er aber befahl dem Hunde, die Alte bis an die Knie zu verschlingen,[128] und die Alte schrie: »Sag' deinem Hunde, er soll mich gehen lassen, und ich will deinen Bruder entzaubern!« Er aber sprach: »Sage mir den Spruch, damit ich ihn selbst entzaubere«, und als sie das nicht wollte, befahl er seinem Hunde sie bis zu den Hüften zu verschlingen.

Da sprach die Alte: »ich habe zwei Stäbchen, mit dem grünen versteinere ich, und mit dem roten entsteinere ich.« Da nahm der Jäger das rote Stäbchen und entzauberte seinen Bruder, dessen Hund und Pferd, und befahl seinem eigenen Hunde die Alte ganz zu verschlingen.

Als sie nun selbander zum Schlosse der Schwiegerältern zurückkehrten, erzählte unterwegs der eine Bruder dem andern, wie die Cypresse auf einmal vertrocknet sei, wie er sich nach ihm auf den Weg gemacht, wie er zu seinen Schwiegerältern gekommen, und bei seiner Frau geschlafen habe. Da ließ ihm der andere nicht Zeit hinzuzufügen, daß er sein Schwert in die Mitte gelegt habe, sondern erschlug ihn auf der Stelle und kehrte allein zu seinen Schwiegerältern zurück.

Als er sich nun am Abend zu der Prinzessin ins Bett legte, fragte ihn diese: »was hattest du denn gestern, daß du nicht mit mir sprachst, sondern dein Schwert zwischen uns legtest und mir den Rücken zukehrtest?« Da rief er: »Das war ich nicht, sondern mein Bruder, und den hab' ich erschlagen, als er mir unterwegs erzählte, daß er bei dir geschlafen habe.«

»Weißt du noch, wo du ihn erschlagen?« fragte die Prinzessin, »und wo der Leichnam liegt?«

»Das weiß ich genau.«

»Nun, dann wollen wir morgen zu ihm hinreiten.«

Des andern Morgens machten sie sich also auf, und als sie zum Leichnam kamen, holte die Prinzessin ein[129] Fläschchen hervor, das sie zu sich gesteckt hatte, goß einige Tropfen vom Wasser des Lebens auf ihn, und davon lebte er sogleich wieder auf. Als er aufgestanden war, sagte sein Bruder zu ihm: »verzeih' mir, Lieber, daß ich dich totgeschlagen habe, ich wußte ja nichts von dem Schwert.« Darauf umarmten sie sich, und gingen zur Schönen des Landes, welche der ledige Bruder zur Frau nahm, und ließen ihre Eltern zu sich kommen und lebten glücklich und in Freuden.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 122-130.
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