[133] 24. Janni und die Draken.

[133] Es war einmal ein Mann, der mied die Welt und lebte in der Einöde; er besaß nichts weiter als eine Heerde Schafe, deren Milch und Wolle er verkaufte, und Brot dafür anschaffte; auch schnitzte er hölzerne Löffel zum Verkauf. Er hatte eine Frau und ein Töchterchen. Nach langer Zeit wurde die Frau wieder gesegneten Leibes, und als sie eines Abends die Wehen überkamen, ging der Mann ins nächste Dorf um eine Hebamme zu holen; bis er aber hin und zurück kam, war das Kind schon geboren.

Unterwegs war der Mann einem Mönch begegnet, und dieser bat ihn, er möchte ihn über Nacht bei sich aufnehmen. Der Mann war's zufrieden und nahm ihn mit nach Hause. Da nun weit und breit Niemand zu finden war, um das Kind zu taufen, so erbot sich der Mönch dieses zu tun und gab ihm bei der Taufe den Namen Janni.

Im Laufe der Zeit starben Janni's Vater und Mutter, und er blieb mit seiner Schwester allein; da es ihnen aber in ihrer Heimat schlecht ging, so beschlossen sie auszuwandern. Beim Einpacken fand die Schwester ein Messer, welches der Mönch seinem Paten zurückgelassen hatte, und gab es ihrem Bruder. Darauf machten sie sich mit den drei Schafen, die ihnen ge blieben waren, auf den Weg, und wanderten drei Tage lang.

Da begegneten sie einem Manne, der hatte drei Hunde und schlug ihnen vor, mit ihren Tieren zu tauschen, er wolle ihnen die Hunde geben und dafür die Schafe nehmen. Die Geschwister waren das zufrieden, und nachdem sie getauscht hatten, trennten sie sich wieder voneinander.[134]

Die Geschwister aber zogen weiter und kamen vor ein großes Schloß, in dem vierzig Draken wohnten, und wie diese hörten, daß der Janni gekommen sei, fuhren sie vor Schreck vierzig Klafter tief unter die Erde.

Der Janni fand also das Schloß verlassen, und blieb mit seiner Schwester darin und ging jeden Tag mit den Gewehren, welche die Draken im Schlosse zurückgelassen hatten, auf die Jagd.

Als er eines Tages wieder auf der Jagd war, da kam ein Drakos heraus, um Mundvorrat zu holen, denn er glaubte, es wäre niemand im Schlosse. Wie der Janni's Schwester sah, erschrak er gewaltig; diese aber sprach ihm Mut ein, und nach und nach entspann sich zwischen den Beiden eine Liebschaft.

So oft nun Janni auf die Jagd ging, rief die Schwester den Drakos hervor und koste mit ihm, bis sie von ihm schwanger ward. Da fing sie an zu jammern und fürchtete sich vor dem Zorn ihres Bruders.

Wie nun die Zeit herankam, wo sie gebären sollte, und sie darüber trostlos war, kam der Drakos zu ihr und sprach: »du mußt dich krank stellen, und wenn dich der Janni fragt, was dir fehle, und was du wünschest, so sage ihm: ich wünsche Kirschen, und wenn er dich fragt, wo diese zu finden wären, so sprich: es giebt welche in einem Garten, der einen Tag Weges von hier ist. Dein Bruder wird aber hingehen und nicht mehr zurückkommen, denn dort wohnen drei Brüder von mir, die werden schon für ihn sorgen.«

Die Schwester tat, wie ihr der Drakos geraten, und am andern Morgen machte sich Janni auf den Weg, um die Kirschen zu holen, und nahm auch seine drei Hunde mit sich. Als er bei dem Garten ankam, stieg er vom Pferde, trank Wasser aus der Quelle, welche dort sprang, und[135] fiel in einen tiefen Schlaf. Darauf kamen die Draken herunter um ihn zu fressen; doch kaum wurden die Hunde sie gewahr, so stürzten sich diese auf sie, zerrissen sie in Stücke, scharrten darauf mit ihren Pfoten ein Grab aus und begruben sie, damit sie ihr Herr nicht sähe. Wie nun der Janni aufwachte und seine Hunde mit Blut bedeckt sah, so glaubte er, sie hätten irgend ein Wild gefangen, und zankte sie, daß sie ihm nichts davon übrig gelassen hätten; darauf pflückte er die Kirschen und brachte sie seiner Schwester.

Als der Drakos hörte, daß Janni zurück sei, da fuhr er vor Schreck noch vierzig Klafter tiefer in die Erde; die Schwester aber aß von den Kirschen und stellte sich wieder gesund.

Des andern Tages ging Janni wiederum auf die Jagd, und der Drakos kam hervor und riet der Schwester, sie solle sich noch einmal krank stellen, und wenn sie der Bruder frage, was sie wünsche, so solle sie Quitten verlangen, und wenn er sie frage, wo diese zu finden wären, so solle sie sagen, in einem Garten zwei Tage weit von hier; dort werde aber der Janni sicher zu Schanden werden, denn dort wohnten sechs Brüder von ihm, von denen jeder zwei Köpfe habe. Die Schwester tat, wie ihr der Drakos geraten, und des andern Tages machte sich der Janni auf, und nahm auch seine drei Hunde mit sich.

Wie er zu dem Garten kam, stieg er ab, setzte sich hin, um ein bischen auszuruhen, und schlief ein. Da kamen zuerst drei Draken herunter, und stürzten sich auf ihn, um ihn zu fressen, und als diese die Hunde zerrissen, stürzten auch die drei andern herbei und wurden gleichfalls zerrissen. Darauf scharrten die Hunde ein Grab aus und begruben sie, damit sie ihr Herr nicht sehen solle, und[136] als der aufwachte und sie mit Blut bedeckt sah, glaubte er, sie hätten wieder ein Wild gefangen, und zankte sie, daß sie ihm nichts übrig gelassen hätten; darauf brach er die Quitten und brachte sie seiner Schwester, und nachdem dieselbe davon gegessen hatte, stellte sie sich gesund. Wie aber der Drakos hörte, daß Janni zurück sei, da fuhr er vor Schreck noch vierzig Klafter tiefer in die Erde.

Als am andern Morgen der Janni wieder auf die Jagd gegangen war, ging der Drakos zu der Schwester und riet ihr, sie solle sich noch einmal krank stellen und von ihrem Bruder Birnen verlangen, die drei Tage weit vom Schlosse in einem Garten wüchsen. Denn von dort würde Janni ganz gewiß nicht zurückkehren, weil dort neun Brüder von ihm wohnten, deren jeder drei Köpfe habe.

Die Schwester tat, wie ihr geraten worden, und des andern Tages ging der Janni mit seinen drei Hunden nach den Birnen aus. Als er bei dem Garten ankam, legte er sich nieder, um ein wenig auszuruhen, schlief aber darüber ein. Da kamen zuerst drei Draken herunter, um ihn zu fressen, und als diese die Hunde zerrissen hatten, kamen die sechs andern auf einmal herunter, und kämpften lange Zeit mit den Hunden. Von dem vielen Lärm erwachte der Janni, schlug die Draken tot und sah nun, daß er die beiden ersten Male den Hunden Unrecht getan habe.

Darauf befreite er alle, welche die Draken gefangen hielten, und darunter war auch eine Königstochter. Die wollte aus Dankbarkeit den Janni zum Manne nehmen, er aber schlug es aus und sagte ihr: »für das Gute, was ich dir erwiesen habe, sollst du zu Hause in deinem Schlosse alle Blinden und Lahmen aufnehmen, welche dorthin kommen.« Die Prinzessin versprach ihm das und gab ihm zum Abschiede einen Ring.[137]

Der Janni pflückte darauf die Birnen und brachte sie seiner Schwester, und als diese davon gegessen hatte, stellte sie sich gesund. Wie aber der Drakos hörte, daß der Janni auch von dort wieder glücklich angekommen wäre, fuhr er vor Schreck noch vierzig Klafter tiefer in die Erde, und schlich des andern Tages, als Janni auf der Jagd war, zu der Schwester und sprach: »nun sind wir beide verloren, denn in einigen Tagen wirst du das Kind gebären, und der Janni wird es merken und uns totschlagen; du mußt ihn also fragen, wo seine Kraft stecke, und dann müssen wir ihn selbst umbringen.«

Als Janni am Abend von der Jagd kam und sich neben seine Schwester ans Feuer setzte, da bat sie ihn, er möchte ihr doch sagen, wo seine Kraft stecke, und er versetzte: »in meinen zwei Fingern; wenn diese zusammengebunden werden, so schwindet meine ganze Kraft.« »Das glaube ich nicht«, sprach die Schwester, »wenn ich es nicht selbst sehe.« Da ließ er sich die beiden Finger mit einem Faden zusammenbinden, und fiel sogleich in Ohnmacht. Die Schwester rief nun den Drakos, und der kam hervor, riß dem Janni die Augen aus, gab sie den Hunden zu fressen und stürzte ihn selbst in einen trockenen Brunnen.

Der Zufall wollte, daß an diesem Brunnen ein Zug Reisende vorbeizogen und den Janni darin stöhnen hörten. Sie kamen also heran und fragten ihn, wo er wäre, und er bat sie, sie möchten ihn aus dem Brunnen ziehen, denn er sei ein armer Unglücklicher. Da ließen sie ein Seil hinab und zogen ihn ans Tageslicht. Nun merkte er erst, daß er blind sei, und bat daher die Reisenden, sie möchten ihn in das Reich des Königs führen, dessen Tochter er befreit hatte, und er wolle sie für ihre Mühe gut bezahlen. Als sie ihn nun dorthin gebracht hatten, ließ er die Prinzessin[138] bitten, zu ihm zu kommen. Diese kam, erkannte ihn aber nicht, doch sowie er ihr den Ring zeigte, den sie ihm geschenkt hatte, erinnerte sie sich seiner und nahm ihn mit sich in ihr Schloß, und nachdem sie erfahren hatte, wie es ihm ergangen sei, bot sie alle Zauberinnen auf, um zu erfahren, wo seine Augen wären, und es fand sich eine, welche erklärte, daß sie es wisse, und daß sie ihn heilen wolle. Sie ging also in das Schloß, in welchem seine Schwester mit dem Drakos lebte, gab dort den Hunden etwas zu fressen, und diese brachen die verschluckten Augen wieder aus. Die nahm sie mit und setzte sie dem Janni wieder ein, und der sah nun wie früher. Darauf ging er in das Schloß des Drakos, schlug ihn und seine Schwester tot, nahm seine Hunde, kehrte zu der Prinzessin zu rück und nahm sie zur Frau.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 133-139.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Jenny

Jenny

1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon