[84] 74. Die listige Mäherin.

Es war einmal ein sehr schönes Weib, das diente bei einem Drakos und hatte dessen Äcker zu mähen. Während sie über dieser Arbeit war und nicht wußte, wie sie fertig werden sollte, kam ein junger Mann zu ihr und schlug ihr vor, daß er für eine Nacht den ganzen Acker schneiden wolle. Das Weib sagte: »gut, es bleibt dabei, wenn du den Acker geschnitten hast, so komme heute Nacht zu mir.« Darauf ging sie zu dem zweiten Acker, und während sie diesen zu schneiden begann, kam ein anderer junger Mann und machte ihr denselben Vorschlag wie der erste. Sie nahm ihn an, und ging von da zu dem dritten Acker, den sie zu schneiden hatte, und während sie darüber her war, kam ein Zigeuner dazu und machte ihr denselben Vorschlag, und sie nahm ihn an. Darauf ging sie nach Hause, um für ihre drei Schnitter etwas zu kochen.

Am Abend kamen zuerst die beiden jungen Männer und sagten ihr, daß sie ihre Arbeit getan hätten. Sie empfing sie sehr freundlich und hieß sie niedersitzen und[84] sich ausruhen; als sie ihnen aber das Abendessen auftrug und sie sich gütlich tun wollten, da kam auch der Zigeuner von der Arbeit zurück, und in der Freude seines Herzens pochte er gar gewaltig an die Haustüre. Da rief das Weib: »ach, der Drakos kommt, wohin soll ich euch verstecken, damit er euch nicht frißt?« Als das die jungen Männer hörten, sprangen sie auf und verbargen sich hinter dem Getreidebehälter. Da kam der Zigeuner gepoltert und schrie: »guten Abend, Frau, die Arbeit ist getan, und nun komme ich, um meinen Lohn zu verlangen.« Der Lärm, den der Zigeuner machte, erschreckte die jungen Leute so sehr, daß sie über die Hofmauer sprangen; als aber der Zigeuner das Geräusch hörte, glaubte er, daß es der Drakos sei, und lief was er konnte aus dem Hause und rief: »o Jammer und Unglück, der Drakos frißt mich!«

Der Zufall wollte es aber, daß er mit den zwei jungen Männern zusammentraf, und da gab eine Frage die andere, und es kam heraus, daß sie sich vor einander gefürchtet hatten. Sie sprachen also zu einander: »da wir einmal hierher gekommen sind, so wollen wir auch nicht unverrichteter Dinge wieder abziehen.« Als sie aber zum Haus der Schönen kamen, fanden sie es fest verschlossen und all ihr Klopfen und Rufen war vergebens. Da stiegen sie auf das Dach und deckten ein Stück davon ab und ließen den ersten hinunter, und dieser sagte zu den beiden andern: »wenn ich Zezikas rufe, so zieht mich wieder herauf.« Bevor er aber den Boden erreicht hatte, stach ihn das Weib mit einem glühenden Eisen. Da schrie er: »Zezikas!« und die beiden anderen zogen ihn herauf. Nun kam die Reihe an den zweiten und dem ging es grade so. Da sprach der Zigeuner: »ich bin nicht so rasch wie ihr, und ihr dürft mich nicht eher[85] heraufziehen, als bis ich vierzigmal Zezikas rufe.« Als er nun herunterkam und ebenso empfangen wurde wie die beiden andern, da rief er: »Zezikas! Zezikas!« aber er hatte gut rufen; die andern zählten eins, zwei, drei, vier, und zogen ihn nicht eher hinauf, als bis sie auf vierzig gekommen waren.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 84-86.
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