[109] 86. Von der Füchsin, dem Wolfe und dem Priester.

Es war einmal ein Priester, der kehrte, nachdem er seine Messe gelesen, nach Hause zurück, und trug den Quersack auf der Schulter, in dem die Weihebrote staken, die er erhalten hatte. Als er so seines Wegs ging, da fand er einen toten Fuchs liegen, er achtete aber nicht darauf und ging an ihm vorüber; eine Strecke weiter aber lag ein anderer Fuchs da, und weiterhin noch einer, und um es kurz zu machen, er zählte auf seinem Wege zwölf tote Füchse. Da bedachte er, wenn er diese zwölf Füchse auflesen und ihnen ihre Bälge abziehen würde, so könne er damit ein schön Stück Geld verdienen. Um sich aber die Arbeit zu erleichtern, legte er seinen Quersack ab, der ihm von all den Broten, die darin waren, allein schon auf die Schulter drückte, und dachte ihn bei der Rückkehr wieder aufzunehmen. Als er aber zum Orte kam, wo er den letzten Fuchs gesehn hatte, da fand er nichts mehr dort, und wie es ihm mit diesem gegangen war, so ging es ihm auch mit den andern eilfen. Da gleubte er, daß sie irgend Jemand vor ihm weggenommen habe, und begriff nicht, daß es nur eine einzige Füchsin war, die ihm immer vorausgelaufen und sich tot gestellt hatte, um ihn zum besten zu haben. Als die Füchsin sah, daß er seinen Quersack hingelegt hatte und den Weg zurückging, machte sie sich über den Sack her, holte alle Brote heraus und tat dafür Steine hinein.[109]

Als nun der Priester unverrichteter Dinge wieder zu der Stelle kam, wo er den Quersack hingelegt hatte, nahm er ihn wieder auf den Rücken, und verdrießlich wie er war, über den vergeblichen Weg, den er gemacht, schien es ihm, als ob der Sack viel schwerer drücke, als vorher. Endlich, kam er nach Hause, gab ihn seiner Frau und sagte ihr: »da Frau, nimm den Sack, tue die Brote heraus und hebe sie auf, denn ich bin müde von dem Wege, den ich gemacht habe.« Diese antwortete: »es scheint, daß du heute viele Messen gehabt hast, weil der Sack so schwer ist.« Als sie aber die Hand hineinsteckte und daraus einen Stein nach dem andern hervorholte, da rief sie: »siehe her, lauter Steine, nichts als Steine!« Da zerraufte sich der Priester seinen Bart und rief: »das hat mir die Stink-Marja angetan.«

Lassen wir nun den Priester seine Brote bejammern und sehen wir, was die Füchsin macht. Als diese mit den Broten zu ihrer Höhle ging, da aß sie den ganzen Weg von ihnen, was sie nur konnte, um sich die Last zu erleichtern. Darauf begegnete ihr der Wolf und sprach: »guten Morgen, Frau Stink-Marja, was issest du denn Gutes?« Sie antwortete: »ach, Onkel Musuris, ich hatte lange nichts zu essen finden können, da rieb ich vor lauter Hunger meine Schnauze an die Erde und rief: ›azilulus, bazilulus, azilulus‹, und das machte, daß ein Priester kam und mir alle seine Weihbrote zum Essen hinwarf.« Da fragte der Wolf: »Was meinst du, Frau Marja, sollte ich wohl ebenso glücklich sein wie du, wenn ich es ebenso mache?« Die Füchsin sprach: »und du fragst noch? – warum denn nicht?«

Da nahm der Onkel Musuris Abschied von der Stink-Marja, und auf dem ganzen Wege rieb er seine Schnauze an dem Boden und rief dabei: »azilulus, bazilulus, azilulus«,[110] und das trieb er so lange, bis er mit seiner Schnauze in eine aufgestellte Falle geriet. Als er sah, daß alle seine Mühe, sich aus ihr los zu machen, vergebens war, rief er: »ach Stink-Marja, Stink-Marja, wie hast du mich angeführt!« Während er so in der Falle stak, kam ein Bauer vorbei und sah einen Wolf in der Falle; da nahm er sein Messer heraus und zog ihm sein Fell bei lebendigem Leibe ab, nahm dies mit sich und kümmerte sich nicht weiter um den geschundenen Körper.

Als der Bauer weg war, da stand der Wolf auf und suchte so lange nach der Stink-Marja, bis er sie fand, und nun sprach er zu ihr: »für das, was du mir angetan hast, will ich dich fressen.« »Gut«, sagte die Füchsin, »aber laß mich nur erst nach Hause, um meine Jungen noch einmal zu sehen, und dann kannst du mich fressen.« – »Aber wie soll ich das anfangen, ohne daß du mir davonläufst?« – Da sagte die Füchsin: »du brauchst mich ja nur auf deinen Rücken zu setzen.« Der Wolf tat das, und so ritt die Füchsin auf dem Rücken des Wolfes den ganzen Weg nach ihrer Höhle, und während des Reitens biß sie dem Wolf ein Stück Fleisch nach dem andern aus seinem Rücken. Dieser rief: »ach Stink-Marja, was plagen mich die Fliegen!« Sie versetzte: »ja, es sind Pferdefliegen.« Als sie endlich bei dem Fuchsbau ankamen, der der Stink-Marja gehörte, da schlüpfte diese hinein und kam nicht mehr heraus. Der arme Onkel Musuris versuchte nun selbst in die Höhle zu kriechen, aber sie war so eng, daß er nicht hineinkommen konnte. Da ging er fort, und es dauerte gar nicht lange, so verendete er an seinen Wunden.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 109-111.
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