[47] 9. Die schöne Katharina

Es war einmal ein Witwer. Der hatte eine sehr schöne Tochter. Die hieß Katharina. Und er nahm sich zur Frau eine Witwe, die eine häßliche Tochter mitbrachte. Und weil diese noch obendrein faul und schmutzig war, mochte niemand sie leiden. Sie wurde darum auch nur »La brutta« (das Scheusal) genannt. Die andere aber, die sich ebenso durch Tugend und Anmut auszeichnete, war weit und breit als die schöne Katharina bekannt. Und sie wurde von Tag zu Tag schöner, trotzdem sie als Aschenpuddel alle grobe Arbeit im Hause verrichten mußte und sonst noch allerlei Drangsal von ihrer bösen Stiefmutter erfuhr, die oft Unmögliches von ihr verlangte.[47]

Eines Tages wurde Katharina mit drei Rocken Flachs in den Wald geschickt, wo sie die Kühe hüten und dabei bis zum Abend drei Strähne Garn spinnen sollte.

Sie spann und spann, aber die Rocken wollten nicht leer und die Spindeln nicht voll werden. Da wurde ihr bange, und sie fing an zu weinen.

Ein ehrwürdiger Greis, der des Weges daherkam, grüßte sie freundlich und riet ihr, nachdem er die Ursache ihrer Tränen erfahren, die Spindeln auf die Hörner der Kühe zu stecken, die alsbald nun den ganzen Flachs aufspannen und auch noch das Weifen besorgten.

Auf dem Heimwege sah Katharina unter einem großen Baume drei schöne Frauen. Die schliefen. Aber die Sonne, die schon schräg stand, schien ihnen gerade ins Gesicht, und der Schatten, den der Baum anfangs gespendet, war von ihnen gewichen.

Da schnitt das mitleidige Mädchen geschwind ein paar dichtbelaubte Zweige vom Baume, breitete sie behutsam über die Schläferinnen und entfernte sich leise, ohne zu ahnen, daß es drei Feen waren, denen sie den Liebesdienst erwiesen hatte.

Wie die Feen erwachten, riefen sie die schöne Wohltäterin zurück und schenkten ihr aus Dankbarkeit drei Wundergaben: Öffnete sie den Mund, um Gutes zu sagen, quollen Blumen hervor. Kämmte sie ihr seidenes Haar, rollten Perlen hernieder. Wusch sie ihre Hände, schwammen prächtige Fischlein, rote, blaue, grüne und goldene im Wasser.

Als nun Katharina mit dem tadellosen Garn nach Hause kam und außerdem noch so herrliche Geschenke mitbrachte, ärgerte sich die böse Stiefmutter im stillen, da sie keinen rechten Grund zum Schelten fand. –

Gleich am nächsten Tage mußte nun die Faule frühzeitig mit drei noch größeren Flachsrocken in den Wald. Aber weil sie[48] träge und ungeschickt war, wurde nichts fertig. Zuletzt stach sie sich gar noch in die Finger, daß dicke Blutstropfen hervorquollen. Und sie weinte vor Schmerz und Verdruß.

Da kam wieder des Weges daher der gute Alte und grüßte sie wohlwollend. Doch sie dankte ihm kaum. Und als er ihr riet, die Spindeln an die Hörner der Kühe zu stecken, schalt sie ihn einen Narren, sprang auf und ließ die Arbeit im Stich.

Auf dem Heimwege sah auch sie die drei Frauen im Sonnenbrand liegen. Aber anstatt sie mit schattigen Zweigen zu bedecken, lachte sie laut über die törichten Schläferinnen und ging weiter.

»Warte ein wenig!« riefen diese ihr nach. »Wir möchten dir doch auch ein Andenken mitgeben.« Das war nun freilich kein schönes: Wenn sie den Mund zu häßlicher Rede auftat oder ihr unsauberes Haar kämmte, kamen nur garstige Dinge zum Vorschein. Und wenn sie sich wusch, wurde das Wasser wie Tinte so schwarz. Und ihre Mutter peinigte vor Zorn die unschuldige Katharina dafür um so ärger.


Eines Tages fuhr der Prinz durch die Stadt. Alle Leute wollten ihn sehen und steckten die Köpfe aus den Häusern oder liefen auf die Straße und riefen: »Evviva!« »Es lebe der Prinz!«

Die schöne Katharina schaute vom Fenster einer Schneiderin herab. Und als er vorüberfuhr und sie in den Hochruf der anderen einstimmte, fielen ihm die Blumen ihres Mundes gerade ins Gesicht, so daß er ganz ärgerlich emporblickte und rief: »Wer wagt es, mich mit Blumen zu werfen, da ich es doch ausdrücklich verboten? Bin ich ein Harlekin?«

Er ließ die Schneiderin zu sich kommen, die nun nicht müde[49] wurde, die Schönheit und die Wundergaben der erschrockenen Katharina zu rühmen. Und nachdem der Prinz sich bald selbst davon überzeugt hatte, erkor er sie zur Gemahlin.

Wie er sie aber in goldener Brautkarosse nach seinem Palaste abholen ließ, setzte sich auch die Stiefmutter mit ihrer häßlichen Tochter in den Wagen. Und als sie über eine Brücke fuhren, warfen sie die schöne Katharina ins Wasser, damit der Prinz nun die Häßliche heiraten sollte. Zum Glück aber wartete er damit noch ein Weilchen. – Und Katharina war inzwischen eine Nixe der Meerfrau geworden, die sie aufgenommen hatte und ihr zwölf goldene Ketten um den Leib legen ließ.


In der Hauptstadt des Prinzen, der bald nachher als Kaiser regierte, lebte auch ein sehr kluger Hirt der täglich seine Herde zur Meeresküste trieb, wo an sonnigen Tagen eine schöne Jungfrau emportauchte. Und hatte sie dort lächelnd ihr Haar gestrählt, verschwand sie wieder in den Wogen und ließ auf dem Sande kostbare Perlen zurück.

Jedesmal, wenn der Hirt am Kaiserpalast vorbeikam, riefen seine Gänse und Puten:


»Qua, quarra, qua!

Kommt schauen am Strande nah

die schöne Katharina!

Als rechte Kaiserin ja

ist sie des Kaisers Wonne

und schöner als die Sonne.«


Der Kaiser, der sehr ungehalten war, dieses Geschnatter alle Tage vernehmen zu müssen, ließ den Hirten zu sich rufen und[50] sprach: »Ich habe genug von dem Lärm, der mich täglich im Morgenschlaf stört und vom Regieren ablenkt. Könnte man wenigstens verstehen, was sie sagen!«

Da berichtete der Hirt getreulich, was das Quaquarra bedeute und was er am Strande gesehen. Zum Beweis zeigte er die Perlen, die er gefunden.

Der Kaiser lauschte ihm staunend und merkte, daß man ihn betrogen hatte. Er befahl dem Hirten, das nächste Mal die Nixe zu fragen, wie sie aus den Ketten der Meerfrau befreit werden könnte, um wieder zum Erdenleben zurückzukehren.

Der Hirt tat, wie ihm befohlen.

»Um mich zu befreien,« sagte die Schöne, »müssen zwölf starke Männer die zwölf goldenen Ketten mit zwölf scharfen Schwertern in einem Augenblicke durchhauen. Wenn das nicht gelingt, werde ich niemals erlöst.«

Am nächsten Morgen begab sich nun der Kaiser mit zwölf wehrhaften Rittern zum Strande, wo die Jungfrau sich sonnte. Auf seinen Befehl zogen die Ritter ihre Schwerter, und in einem Augenblicke fielen die Fesseln zu Boden, und die Schöne war wieder zur Erdenjungfrau geworden. Der Kaiser warf seinen Mantel über sie und führte sie als Gemahlin mit sich in seinen Palast.

Die böse Stiefmutter aber und die ihrer würdige Tochter ließ er verbrennen. –

Quelle:
Zschalig, Heinrich: Die Märcheninsel. Märchen, Legenden und andere Volksdichtungen von Capri. Dresden: Verlag Deutsche Buchwerkstätten, 1925, S. 47-51.
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