[344] 54. Von Autumunti und Paccaredda.

Es waren einmal ein König und eine Königin, die hatten ein schönes großes Reich. Sie hatten aber keine Kinder, und hätten doch so gerne einen Sohn gehabt, um ihm das Reich zu lassen. Da wandte sich die[344] Königin an die Mutter Gottes von Autumunti1, und sprach: »Heilige Mutter, wenn ihr mir einen Sohn gewährt, so will ich ihn Autumunti heißen, und euch sein Gewicht in Gold schenken.«

Ein Jahr war noch nicht vergangen, als die Königin einen wunderschönen Knaben gebar, und ihn Autumunti nannte. Das Gold aber schickte sie der Mutter Gottes nicht, sondern dachte: »Das hat immer noch Zeit, ich kann es ja auch einen andern Tag schicken.« Autumunti wuchs heran, und wurde mit jedem Tage schöner und stärker. Da er nun sieben Jahr alt geworden war, erschien ihm einmal die Mutter Gottes im Traum und sprach zu ihm: »Autumunti, sage deiner Mutter, sie solle ihres Gelübdes gedenken.« Am andern Morgen erzählte Autumunti seiner Mutter, es sei ihm eine schöne liebliche Frau im Traume erschienen, und habe ihm das und das gesagt. »Ach, Kind,« sprach die Königin, »das war die Mutter Gottes, die mahnt mich daran, daß ich gelobt habe, ihr dein Gewicht in Gold zu schenken, wenn du mir bescheert würdest.« Da ließ die Königin aus der Schatzkammer einen Klumpen Goldes holen, der war so schwer als Autumunti, und sprach: »Mache dich auf, mein Kind, und bringe selbst das Gold zur Mutter Gottes von Autumunti.«

Also machte sich der Knabe auf, und brachte der Mutter Gottes das Gold, weil er aber noch so klein war, verirrte er sich auf dem Heimwege, und konnte den Weg nicht zurück finden. Endlich kam er an ein Haus, und weil er hungrig und durstig war, klopfte er an; in dem Hause aber wohnten der Menschenfresser und seine Frau. Zu denen war einige Zeit vorher ein wunderhübsches kleines Mädchen gekommen, das hieß Paccaredda und hatte sich auch verirrt. Als der Menschenfresser die kleine Paccaredda sah, wollte er sie fressen, seine Frau aber fand Gefallen an dem schönen Kinde, und sagte, sie wollten es bei sich behalten, als ihre kleine Magd. Also blieb Paccaredda bei dem Menschenfresser und seiner Frau, und diente ihnen, und die Hexe hatte sie sehr lieb, und[345] hielt sie wie ihr eigenes Kind. Als nun Autumunti an die Thür klopfte, machte ihm die Hexe auf, und dachte: »Nein, was für ein schönes Kind, das gibt einen herrlichen Braten.« Der Menschenfresser aber erbarmte sich des schönen Knaben, und sprach: »Als Paccaredda kam, hast du mir nicht erlaubt, sie zu fressen. Jetzt will ich auch nicht, daß du den Autumunti frissest, sondern er soll bei uns bleiben und uns dienen.« Also blieb auch Autumunti bei dem Menschenfresser und seiner Frau, und diente ihnen.

Die alte Hexe aber konnte ihn nicht recht leiden, und trug ihm immer schwere Arbeiten auf.

Eines Tages ging sie in den Wald, und band ein großes Bündel Holz zusammen, und ließ es liegen, und als sie nach Hause kam, schickte sie den armen kleinen Autumunti hin, er solle das Holz holen. Paccaredda aber sprach zu ihm: »Wenn dir das Bündel zu schwer ist, so sprich nur: ›Holz, mache dich leicht, aus Liebe zu meiner Schwester Paccaredda.2‹« Da ging Autumunti in den Wald, und als er das große Holzbündel sah, erschrak er, denn er konnte es nicht einmal aufheben, geschweige denn nach Hause tragen. Er sprach aber: »Holz, mache dich leicht, um meiner Schwester Paccaredda willen,« und siehe da, das Holz wurde so leicht, daß er es ohne Mühe nach Hause tragen konnte. Wenn ihm die alte Hexe nun eine schwere Last zu tragen gab, so sprach er seinen Spruch, und alsbald wurde sie leicht. So wuchsen Autumunti und Paccaredda heran, und kamen nach und nach in das Alter der Vernunft.3

Da sie nun Gefallen an einander fanden, sprach eines Tages Autumunti: »Weißt du, Paccaredda, ich bin eines großen Königs Sohn. Wir wollen entfliehen, und zu meinem Vater gehen, und uns dann heirathen.« Paccaredda war es zufrieden, und in der Nacht, als der Menschenfresser und seine Frau fest schliefen, entflohen die Beiden[346] mit einander. Als die Hexe am Morgen erwachte, war Paccaredda ihr erster Gedanke, sie mochte sie aber rufen, so viel sie wollte, Paccaredda kam nicht. Da sie nun gewahr wurde, daß Beide fehlten, gerieth sie in einen heftigen Zorn, weckte den Menschenfresser und rief: »Dieser Autumunti, den du wie einen Sohn behandelt hast, ist mit meiner armen Paccaredda fortgelaufen. Schnell, mache dich auf und verfolge die Beiden.« Da machte sich der Menschenfresser auf, und weil er viel schneller laufen konnte, als die beiden Flüchtlinge, so hatte er sie bald eingeholt. »Ach, Paccaredda,« rief Autumunti, »der Menschenfresser ist ganz dicht hinter uns!« »Sei nur ruhig,« antwortete sie, »ich werde zum Garten und du zum Gärtner darin.« Da wurde sie in einen Garten verwandelt, und Autumunti in den Gärtner, und als der Menschenfresser herbei kam, frug er ihn: »Sagt mir, guter Freund, habt ihr vielleicht einen Jüngling und ein Mädchen gesehen, die hier vorbeiliefen?« »Was wollt ihr? Kohlrabi? Die sind noch nicht reif!« antwortete Autumunti. »Nein, ich spreche ja nicht von Kohlrabi,« sagte der Andre, »ich meine, ob ihr Zwei gesehen habt, die hier vorbeigelaufen sind?« »Ach so, ihr verlangt Lattich; da müßt ihr in einigen Wochen wiederkommen.« Der Menschenfresser verlor die Geduld und rief ärgerlich: »So geh, und laß dich segnen!«4 Weil er aber nicht wußte, auf welche Seite hinaus die Beiden gelaufen waren, so kehrte er nach Hause zu seiner Frau zurück; die frug ihn: »Nun, hast du sie nicht mitgebracht?« »Ach was,« sprach er, »ich traf einen Gärtner, den frug ich, ob er sie hätte vorbeikommen sehen, er aber sprach nur von Kohlrabi und Lattich, da ließ ich ihn stehen und kehrte um.« »Was fällt dir ein!« rief die Frau, »gleich geh hin und laufe ihnen wieder nach.«

Also mußte sich der arme Mann aufmachen, und zum zweitenmal den Beiden nachlaufen. Unterdessen hatten Autumunti und Paccaredda ihre natürliche Gestalt wieder angenommen, und waren weiter geflohen. Da sie nun den Menschenfresser abermals dicht hinter sich sahen, sprach[347] Paccaredda: »Ich werde zur Kirche und du zum Sakristan,« und alsobald wurde sie zur Kirche, und Autumunti zum Sakristan. »Guter Freund,« sprach der Menschenfresser, »habt ihr einen Jüngling und ein Mädchen hier vorbeilaufen sehen?« »Jawohl,« antwortete der Sakristan, »die Messe wird bald anfangen.« »Wer spricht denn von der Messe!« rief der Menschenfresser, »ich frage euch, ob Zwei hier vorbeigelaufen sind?« »Wenn ihr beichten wollt, so müßt ihr morgen wiederkommen,« erwiederte Autumunti. Da verlor der Menschenfresser die Geduld und rief: »Geh, laß dich segnen!« und kehrte nach Hause zurück. Als nun seine Frau ihn frug, was er ausgerichtet habe, brummte er: »Laß mich in Ruhe; ich habe einen Sakristan gefragt, ob er sie nicht habe vorbeilaufen sehen, er sprach aber von der Messe und vom Beichten, da habe ich ihn stehen lassen, und bin wieder umgekehrt.« »Nein, seht doch die Dummheit!« rief die Frau, »gleich gehst du noch einmal zurück und holst die Beiden ein.« »Nein, jetzt habe ich es satt,« sprach der Mann, »jetzt kannst du selbst deiner Paccaredda nachlaufen.«

Da machte sich die Frau auf den Weg und verfolgte die Beiden, und hatte sie beinahe eingeholt. Als Paccaredda sie kommen sah, rief sie: »Werde du zum Strom, und ich zum Fischlein darin!« Da wurde Autumunti zum Strom und Paccaredda wurde zum muntern Fischlein, das schwamm lustig hin und her. Die Hexe aber wußte wohl, was es mit diesem Fischlein für eine Bewandniß habe, und wollte es fangen. So oft sie es aber auch ergriff, sprang ihr das Fischlein doch gleich wieder aus der Hand, daß sie endlich die Geduld verlor, und rief: »Ja, geh nur, wenn aber die Zeit kommt, wo du ein Kind gebären sollst, dann will ich mich an dir rächen. Nicht eher sollst du deines Kindes genesen, als bis ich die Hände von meinem Kopf genommen habe.« Damit faltete sie die Hände über dem Kopf und ging nach Haus.

Autumunti und Paccaredda aber setzten ihren Weg fort, und kamen bald in die Stadt, wo der König wohnte. Autumunti aber schämte sich, seine schöne Braut in ihren zerrissenen Kleidern vor seine Eltern zu führen, deßhalb sprach er zu ihr: »Bleibe hier vor der Stadt, derweil[348] ich gehe, und dir im Schloß schöne Kleider hole.« »Ach nein, thu das nicht,« bat sie, »denn wenn du dich von deiner Mutter küssen lässest, so vergissest du mich, und kommst nicht wieder zu mir.« Er aber versprach ihr, sie nicht zu vergessen, und ging allein auf's Schloß. Denket euch nun, welche Freude der König und die Königin empfanden, als ihr lieber Sohn wiederkam, den sie so viele Jahre als todt beweint hatten, und der nun ein schöner Jüngling geworden war. Seine Mutter warf sich ihm an den Hals, und wollte ihn küssen, er aber ließ es nicht geschehen, sondern sprach: »Nein, liebe Mutter, ihr dürft mich nicht küssen, sonst macht ihr mich unglücklich.« Weil er aber hungrig und müde war, wollte er erst schlafen, ehe er zu seiner Paccaredda zurückkehrte. Als er nun schlief, gedachte die Königin ihre große Sehnsucht zu stillen und ihn zu küssen. Da schlich sie hinzu und küßte ihn, und in demselben Augenblick hatte er seine Paccaredda vergessen, blieb bei seinen Eltern und führte ein fröhliches Leben.

Die arme Paccaredda aber saß und wartete auf ihn, und als er immer nicht kam, so dachte sie endlich: »Gewiß hat er sich von seiner Mutter küssen lassen, und hat meiner vergessen.« Da weinte sie bitterlich und war sehr betrübt, sie verlor aber dennoch nicht den Muth, sondern ging hin, kaufte zwei Tauben, und sprach einen Zauberspruch über dieselben aus. Mit den Tauben ging sie aufs Schloß, und bot sie dem Königssohn zum Verkauf an, und der Königssohn, dem sie gar wohl gefielen, kaufte sie. Aber ob er gleich mit Paccaredda sprach, erkannte er sie doch nicht. Als er nun den Tauben ihr Futter vorstreute, fing die eine von ihnen an, und sprach zur andern: »Soll ich dir eine schöne Geschichte erzählen?« »Ja, thu das« antwortete die zweite Taube. Da erzählte die erste die ganze Lebensgeschichte des Autumunti, und wie er zusammen mit der armen Paccaredda bei dem Menschenfresser gelebt hatte. Als aber der Königssohn den Namen Paccaredda hörte, da erinnerte er sich seiner schönen Braut, und er machte sich eilends auf, mit schönen Kleidern und einem prächtigen Wagen, fuhr zu Paccaredda hinaus und führte sie im Triumph aufs Schloß. Sie war aber nahe an[349] der Zeit, wo sie gebären sollte, und die Königin pflegte sie, als ob sie ihre eigene Tochter gewesen wäre. Als aber ihre Stunde kam, konnte sie das Kind nicht zur Welt bringen, denn die Verwünschung der alten Hexe ruhte noch auf ihr.

Da rief der Königssohn einen treuen Diener seines Vater herbei, und schickte ihn in die Gegend, wo die Hexe wohnte, und befahl ihm, alle Todtenglocken läuten zu lassen, und wenn die Alte frage, wer gestorben sei, so solle er sagen: »Eure Tochter Paccaredda.« – »Wenn sie nun die Hände vom Kopf nimmt,« fuhr er fort, »dann lasse mit allen Glocken Gloria läuten, und wenn sie dich fragt, was nun geschehen sei, so antworte: ›Eure Tochter Paccaredda hat ein Kind zur Welt gebracht.‹« Der Diener that, wie im befohlen war, und kam in die Gegend, wo die alte Hexe wohnte. Da nun alle die Todtenglocken läuteten, stand er unter ihrem Fenster, und sie rief ihn an und sprach: »Sagt mir doch, für wen ist das Todtengeläute?« »Eure Toter Paccaredda ist gestorben,« antwortete der Diener. »O meine Tochter, meine liebe Paccaredda,« jammerte die Frau und zerschlug sich mit den Händen die Brust. In demselben Augenblick genas Paccaredda eines wunderschönen Knaben. Da ließ der Diener mit allen Glocken Gloria läuten, und die Hexe horchte verwundert auf und frug, warum denn nun Gloria geläutet werde? »Eure Tochter Paccaredda hat ein Kind zur Welt gebracht,« sprach der der Diener. Da merkte sie, daß sie betrogen worden war, und platzte vor Wuth. Autumunti aber heirathete die schöne Paccaredda, und sie blieben reich und getröstet, wir aber sind hier sitzen geblieben.

1

Vom hohen Berg.

2

Ligna, facitivi leggi, pri l' amuri di me soru Paccaredda.

3

A l' età di ragiuni.

4

Va, fatti benedire! d.h.: Geh zum Kuckuck!

Quelle:
Gonzenbach, Laura: Sicilianische Märchen. Leipzig: Engelmann 1870, S. CCCXLIV344-CCCL350.
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