Cric und Croc.

[47] In einem fernen Lande war einmal ein berühmter Dieb, den man Cric nannte und nie hatte fangen können. Dieser Dieb wünschte die Bekanntschaft eines anderen Diebes zu machen, der Croc genannt wurde und ebenso berühmt war, wie er; denn er wollte sich mit ihm verbünden.

Nun geschah es, daß, ohne es zu wissen, Cric und Croc sich in demselben Gasthaus trafen, und während des Essens stahl Cric dem Croc seine Uhr. Als dieser nun sehen wollte, wieviel es an der Zeit war, und merkte, daß seine Uhr ihm fehlte, sagte er: Das muß also Cric sein, denn ich habe nichts gemerkt. – Und er[47] stahl dem Cric die Geldbörse. Als dieser dann zahlen wollte und fand, daß sein Geld fehlte, sagte er zu seinem Gefährten: »Du mußt Croc sein,« und der andere: »Ich bin es.« – »Gut! so wollen wir zusammen stehlen.«

Als sie nun in eine Stadt gekommen waren, bestahlen sie den Schatz des Königs. Der König merkte, daß an seinem Schatz etwas fehlte und wußte nicht, was er denken sollte, weil das Haus, wo er ihn aufbewahrte, voller Wachen war. Er ging zu einem, der wegen Diebstahl im Gefängnis war – er hieß Portacalce – und sagte ihm: »Wenn du mir sagen kannst, wer den Schatz gestohlen hat, lasse ich dich frei und mache dich zum Marchese.« – Der Mann antwortete: »Es muß Cric und Croc gewesen sein, denn es gibt keinen berühmteren Dieb als die zwei. Ich aber entdecke sie. Lassen Sie den Preis des Fleisches auf hundert Lire das Pfund setzen, und an das Haus, wo man mir als Almosen Fleisch geben wird, mache ich ein rotes Zeichen, und Eure Majestät wird wissen, wer den Schatz gestohlen hat.«

Genau so tat der König. Jene beiden Diebe kauften Fleisch für hundert Lire das Pfund, und eines Tages, als Portacalce,[48] als Bettler verkleidet, zu ihnen kam, um ein Almosen bittend, gaben sie ihm ein Stück davon. Er aber machte sogleich ein rotes Zeichen an die Tür. Der schlaue Cric, als er es sah, ging und machte das gleiche an allen Türen der Stadt, so daß der König nicht erfahren konnte, wer ihn bestohlen hatte. Portacalce aber sagte zu ihm: »Habe ich Ihnen nicht gesagt, wenn ich schlau bin, so sind sie schlauer als ich! Machen Sie's nun so: Lassen Sie am Fuß der Treppe des Schatzhauses eine Kufe mit heißem Öl stellen. Der Dieb, der zu stehlen kommt, wird hineinfallen, und wir werden ihn sehen.« – Cric und Croc waren mit ihrem Geld zu Ende. Sie gingen, neues zu stehlen, und Croc, der vorangegangen war, fiel in die Kufe und starb. Cric wartet und wartet, sieht ihn aber nicht zurückkommen, geht also nach, und da er sieht, daß er tot ist, schneidet er ihm den Kopf ab und trägt ihn fort, damit man nicht erkennen könnte, wer gestohlen hatte.

Tags darauf gehen die andern, um nachzuschauen, und alle sagten: »Diesmal ist er drin, o gewiß!« – Er war aber ohne Kopf. Da sagte Portacalce zum König, er solle den Toten von zwei Pferden durch die ganze Stadt schleifen lassen, und wo man weinen hören wird, da sei's, wo der Dieb gewohnt habe. Und so taten sie. Als man also bei dem Hause der beiden Diebe vorbeikam, fängt Crocs Weib an zu weinen: Oh, mein armer Mann! Oh, mein armer Gatte! – Cric aber, als er sah, daß[49] sie auf diese Art entdeckt waren, macht sich daran, alle Teller und Schüsseln zu zerbrechen und die Frau zu schlagen. Die Diener des Königs gehen herzu und sehen, daß die Frau weinte, da der Mann sie schlug, weil sie alles Geschirr zerbrochen hatte, und so konnten sie den Dieb nicht finden.

Portacalce aber sagte zum König: »Nun, Majestät, geben Sie einen Ball, und wer mit Ihrer Tochter tanzen wird, wird der sein, der gestohlen hat, sie aber soll, um ihn wiederzuerkennen, ihm ein Stück von seinem Kleide abschneiden.« – So geschah es. Aber Cric, der es gemerkt hatte, schnitt auch allen andern, die dort waren, ein Stück von ihrem Kleide ab. Da ließ der König eine Verordnung anschlagen: Er verzeihe dem Diebe, der den Schatz bestohlen habe, wenn dieser imstande sei, ihm das Leintuch im Bett unterm Leibe zu stehlen.

Nun also kleidet sich der König am Abend aus und legt eine Flinte neben das Bett und wartet auf den Dieb. Cric stieg auf das Dach des Palastes, machte einen Mann aus Stroh, gekleidet[50] wie er selbst, und läßt ihn um Mitternacht herunter vor dem Fenster des Königs. Wie der die Puppe sieht, hält er sie für Cric und feuert einen Schuß auf sie ab, und die Puppe fällt hinunter. Der König läuft geschwinde hinaus, den Toten zu sehen. Indessen schleicht sich Cric in das Zimmer, nimmt das Leintuch und entfernt sich, ohne gehört zu werden, da die Königin ihn für den König gehalten hatte. Am andern Morgen brachte er dem König das Leintuch, und der König war verpflichtet, ihm zu verzeihen, da er sein Wort nicht brechen konnte, und damit er ihn nicht wieder bestehle, gab er ihm seine Tochter, und Cric heiratete sie und wurde königlicher Prinz.


(Monferrato)

Quelle:
Heyse, Paul: Italienische Volksmärchen. München: I.F. Lehmann, 1914, S. 47-51.
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