Der Florentiner.

[79] Es war einmal ein Florentiner, der jeden Abend in Gesellschaft ging und Leute hörte, die gereist waren und viele schöne Dinge gesehen hatten. Er war immer in Florenz geblieben, hatte nichts zu erzählen und hielt sich für einen Dummkopf. Er bekam eine große Lust zu reisen. Geld hatte er, und eines schönen Tages entschloß er sich, packte seinen Koffer und reiste ab.

Er geht und geht, und als es Nacht wird, findet er sich beim Hause eines Pfarrers. Er klopft und bittet um Herberge für die Nacht. Im Gespräch mit dem Pfarrer beim Abendessen erzählte er, warum er auf die Reise gegangen war. Der Pfarrer, als er das gehört hatte, sagte: »Auch ich möchte gern ein Stück Welt sehen und etwas erzählen können. Wenn es euch recht ist, gehen wir zusammen.« – Der Florentiner war hocherfreut, Gesellschaft gefunden zu haben. So gingen sie zu Bette und brachen am anderen Morgen zusammen auf. Bei Dunkelwerden kamen sie zu einem Landsitz und baten den Verwalter um Aufnahme. Und auch dieser, als er hörte, weshalb sie reisten, bekam Reiselust und sagte, er wolle anderen Tags mit ihnen gehen.

Wirklich machten sie sich tags darauf alle drei auf den Weg. Als sie eine Weile gewandert waren, vertieften sie sich in einen Wald und fanden darin eine prachtvolle Straße, auf der sie lange fortgingen. Sie führte sie endlich zu einem herrlichen Palast. Da klopften sie an, und der Riese, der darin wohnte, öffnete ihnen in Person, und da sie um Nachtquartier baten, ließ er sie eintreten. Er fragte, wohin sie gingen, und sie sagten: »Wir wollen etwas herumschweifen.« – »Gut,« sagte der Riese zum Florentiner. »Wenn ihr aber bei mir bleiben wollt, in meiner Pfarre fehlt ein Pfarrer, in der Faktorei ein Faktor, und auch für den dritten wird sich eine Stelle finden.« – Alle drei nahmen an undblieben bei dem Riesen, der jedem eine Kammer gab und ihnen sagte: »Morgen werde ich jedem seine Stelle anweisen.«

Am Tage darauf kommt der Riese, holt den Pfarrer und nimmt ihn mit sich in ein Zimmer. Der Florentiner, sachte, sachte, geht ihnen aus Neugier nach, hält das Auge ans Schlüsselloch und sieht, daß der Riese dem Pfarrer ein paar Blätter zeigt und, während der sie betrachtet, plötzlich einen Säbel nimmt, ihm den Kopf abhaut und ihn in einen Steinkasten wirft, der in dem Zimmer steht. Das haben wir gut gemacht, daß wir hieher gekommen sind! sagte der Florentiner.

Als sie zu Mittag aßen, sagte der Riese: »Den Pfarrer habe ich an seine Stelle gebracht. Jetzt werde ich dem Faktor zu seiner verhelfen.« – Nach Tische nimmt er den Faktor und führt ihn in dasselbe Zim mer, und der Florentiner hinterdrein. Durch das Schlüsselloch sieht er, daß der Riese den Schreibtisch öffnet, ein paar Blätter herausnimmt und sie dem Faktor zeigt, dann, während der sie durchsieht, ihm einen Hieb mit dem Säbel gibt, ihm den Kopf abhaut und ihn auch in den steinernen Kasten wirft. Jetzt kommt die Reihe an mich! sagt der Florentiner.

Beim Nachtessen sagt der Riese zu ihm, daß er auch den Faktor an seine Stelle gebracht habe, und daß er bald auch für ihn etwas finden würde. Der Florentiner aber, der dahin, wohin die anderen gegangen waren, nicht auch gehen wollte, zerbrach sich den Kopf, wie er entwischen könnte, und verfiel auf etwas. Der Riese hatte nur ein Auge, auf dem er schlecht sah. »Schade!« sagt zu ihm der Florentiner. »Sie sind so schön, aber dies Auge ... sehen Sie, ich weiß eine Medizin, mit der könnte ich Sie heilen. Es ist ein Kraut, das ich hier auf der Wiese gesehen habe.« – »Wirklich?« sagte der Riese, »es findet sich hier auf der Wiese? Dann wollen wir gehen und es pflücken.« – So führte er ihn zu der Wiese, der Florentiner aber besah sich im Hinausgehen genau, wie die Schlösser an der Tür waren, um entwischen zu können.[82]

Als sie auf der Wiese waren, pflückte er irgend ein Kraut, sie kehrten dann ins Haus zurück, und er warf das Kraut in eine Pfanne voll Öl, um es zu kochen. Als es dann gekocht war, sagte er zum Riesen: »Ich mache Euch darauf aufmerksam, daß der Schmerz heftig sein wird. Doch müßt Ihr Euch nicht rühren, und es würde gut sein, ich bände Euch auf diesen Marmortisch, sonst könnte die Operation mißglücken.« – Der Riese, dem sehr daran lag, sich das Auge in Ordnung bringen zu lassen, sagte dem Florentiner, er möge ihn nur anbinden. Das tat der denn auch gründlich, nahm dann das siedende Öl und schüttete es ihm in die Augen. »Du hast mich blind gemacht!« heulte der Riese. Der Florentiner aber, ganz leise, flüchtet die Stiegen hinunter, öffnet die Tür und hinaus. Der Riese aber, der jetzt alle beide Augen verloren hatte, erhebt sich und zog sich mit der Kraft, die er hatte, den Marmortisch nach und beginnt mit der Tafel auf dem Rücken dem Florentiner nachzusetzen. »Komm her!« ruft er ihm nach; »komm her! Habe keine Angst! Wenigstens nimm noch ein Andenken mit.« – Und er wirft ihm einen Ring nach. Der Florentiner hebt ihn auf und steckt ihn an den Finger. Der Finger aber wird ihm augenblicklich zu Stein, und er selbst konnte sich nicht mehr von der Stelle bewegen. Er sucht sich den Ring vom Finger zu ziehen, es glückt ihm aber nicht, und der Riese war ihm schon nahe. In Verzweiflung nimmt er ein Messer, das er in der Tasche hatte und schneidet sich den Finger ab, da konnte er sich wieder bewegen und entfloh eilig, denn der Riese, schwer wie er war und mit dem Tisch auf dem Nacken, war nicht imstande ihn einzuholen. So kam er nach Florenz, ganz außer Atem und hatte genug. Die Neigung, die Welt zu durchschweifen und von seinen Reisen zu erzählen, kam ihm nicht wieder.


(Pisa)

Quelle:
Heyse, Paul: Italienische Volksmärchen. München: I.F. Lehmann, 1914, S. 79-83.
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